Die mechanischen Katzen. Miriam Rieger

Die mechanischen Katzen - Miriam Rieger


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zu.

      „Zogen Sie bereits die nicht unwahrscheinliche Möglichkeit in Betracht, dass Hellthals Katze nicht gestohlen wurde und er den Wunsch verspürt, sie zurückstehlen zu lassen, sondern dass der eigentliche Diebstahl von Ihnen ausgeführt werden soll?“

      Ein humorloses Lachen entkam Bender. „Ja, der Gedanke, für einen Einbruch instrumentalisiert zu werden, kam mir. Aber Martin braut Bier, während Hellthal der Zahnradmann ist. Nein, die Konstruktion stammt von Hellthal.“

      „Wäre es nicht besser, den Auftrag abzulehnen?“, sprach Hartmann die Frage aus, die auch Bender bereits durch den Kopf ging. Sollte er Hellthal mit seiner Lüge konfrontieren, um dafür neue serviert zu bekommen, mit denen der Mann vermutlich ebenso gut umzugehen wusste wie mit Zahnrädern? Oder war es besser, ihn in Sicherheit zu wiegen und heimlich des Rätsels Lösung zu suchen? Denn so wenig Bender glaubte, dass die Uhren als Dekoration für Möchtegernweltentdeckende fungierten, so sehr brannte in ihm der Wunsch zu erkennen, welche Bedeutung die mechanischen Katzen tatsächlich hatten. Und war die Neugierde Benders einmal angestachelt, ließ sich das störrische Ding nur durch eines besänftigen: den Erhalt der gewünschten Informationen.

      „Hellthal ist auf der sicheren Seite“, brummte Hartmann in seinen nicht vorhandenen Bart. „Das gefällt mir nicht. Wenn es Ihnen gelingt, ihm die Katze zu besorgen, hat er diese. Wenn nicht, und Sie werden erwischt, werden Sie für den Einbruch angezeigt, und Sie sind derjenige, der in der Klemme steckt.“

      „Ich werde nicht erwischt, wie Sie so schön sagen.“

      „Sind Sie Hellseher?“

      „Ja“, erwiderte Bender. „Das sind alle gefallenen Engel. Wussten Sie das nicht? Wir können bis zu achtundvierzig Stunden in die Zukunft sehen.“

      Mit Erheiterung bemerkte Bender die Überraschung Hartmanns, die dieser kaum zu verbergen versuchte. Der Polizist rang nach Worten, und erinnerte Bender mit den beinahe hilflosen Bewegungen an einen Goldfisch, der aus Versehen aus seinem Bottich herausgesprungen war, auf dem Teppich lag und sich panisch fragte, wo das Wasser abgeblieben war.

      „Warum haben Sie das nicht früher gesagt?“, platzte es aus Hartmann heraus.

      Bender tat, als überhörte er die vorwurfsvolle Note und schmunzelte. „Glauben Sie auch bei einem Verhör ungefragt alles, was man Ihnen erzählt?“

      Immer noch amüsiert beobachtete Bender Hartmanns Reaktion. In seinem Hirn schien es zu rattern wie in einer der Konstruktionen Hellthals, und schließlich saßen alle inneren Zahnräder an ihrem Platz. „Und meinereiner macht sich auch noch Sorgen um Sie!“

      Bender wurde wieder ernst. „Gänzlich zu Unrecht ist dies nicht. Aber ich werde in Erfahrung bringen, was es mit dieser Katze auf sich hat. Wenn Hellthal die Wahrheit sagt, wird nichts weiter passieren. Doch wenn er lügt, kann es sein, dass ich Sie brauchen werde.“

      „Als Freund oder als Polizist?“

      „Als Freund natürlich auch. Aber in erster Linie als Kommissar.“

      Bender stand auf, zog seinen Mantel an und setzte einen schwarzen Hut auf, unter dem seine blonden Locken fast nicht mehr zu sehen waren. „Ich werde einen Spaziergang unternehmen. Das hilft sehr, um einen klaren Kopf zu bekommen und weitere Pläne zu schmieden.“

      „Dieser Spaziergang wird Sie vermutlich in die Nähe des Martin’schen Anwesens führen“, mutmaßte Hartmann.

      „Wer weiß, wohin meine Füße mich führen, während ich mit dem Kopf bei der mechanischen Katze bin? Wenn wir uns das nächste Mal sehen, hoffe ich, Ihnen jene präsentieren zu können.“

      „Sie sind verrückt!“, entfuhr es Hartmann. Bender erwiderte nichts, doch der Anflug eines Lächelns erschien auf seinem Gesicht.

      5. Kapitel

      Die Hände in den Hosentaschen vergraben, marschierte Bender die Straßen entlang. Ein weiterer Frederick-Martin-Entdeckungsrundgang Traunsteins, wie Bender die Tour kurzerhand in einem Anflug von Zynismus benannt hatte, konnte bislang nur hinsichtlich der sportlichen Betätigung und der Frischluftzufuhr als Erfolg verbucht werden. Das auch nur, so man die von den diversen Dampfwagen ausgespuckten und über den Straßen wie eine Glocke hängenden Rauchwolken als solche bezeichnen mochte. Die drei Wirtshäuser hatte Bender im Abstand von zwei Tagen bereits aufgesucht. Er hatte jedoch nichts entdeckt, was auf eine mechanische Katze hinwies oder zumindest Benders Verdacht erregt hätte. Das einzige, was er vorgefunden hatte, waren hektische Betriebsamkeit, laut geführte Gespräche und sich betrinkende Gäste. Selbst Bender musste zugeben, dass zumindest das Wiener Schnitzel und die Bratkartoffeln mundeten und der Salat frisch war, doch das Bestreben, bodenständig und urig zu wirken, machte sich nur am Ambiente und nicht an der Zeche bemerkbar, zahlte man doch für eine gerade so sättigende Portion einen wahren Wucherpreis.

      Fast so utopisch wie das, was Martin für seinen eigenen Wohnsitz ausgegeben haben musste.

      Eine drei Meter hohe Backsteinmauer umgab das Anwesen. Das Tor wurde Tag und Nacht bewacht. Den zwei freilaufenden Wachhunden entging bestimmt nicht, wenn jemand versuchte, heimlich auf das Grundstück zu gelangen. Dem Bellen nach zu urteilen waren sie groß und aggressiv genug, um Eindringlingen den Garaus zu machen. Wachleute machten ebenfalls Kontrollgänge, wie Bender hin und wieder durch das Torgitter hatte sehen können. Ob diese nach einem regelmäßigen Schema abliefen oder mit Absicht stetig wechselten, spielte für ihn kaum eine Rolle. Denn wie hätte er eine Routine beobachten sollen? Von außen war der Garten nicht einsehbar, und auf die Mauer konnte er sich auch schlecht setzen. Nicht nur, weil er sofort gesehen worden wäre, sondern auch, weil in die Mauer zerbrochene Glasscherben eingelassen worden waren. Auch der beste Lohn konnte Bender nicht dazu bringen, seinen Hintern einer derartigen Tortur auszusetzen.

      Musste er sich eingestehen, seine Aufgabe nicht erfüllen zu können?

      Bender blieb stehen, hilflose Wut bemächtigte sich seiner. Auch das Brauereigebäude, in dem Martin nicht nur sein Bier braute, sondern auch sein Lager unterhielt, hatte er aufgesucht, war aber nicht einmal an der Empfangsdame vorbeigekommen. Für Gäste kein Zutritt, hieß es, und sich am helllichten Tag in ein Gebäude einzuschleichen, in dem gearbeitet wurde und er auffallen würde wie eine buntgescheckte Katze, hielt er nicht für ratsam.

      Ein humorloses Lachen entkam Bender, als ihm ein weiteres Gebäude einfiel, das sich in Martins Besitz befand. Es war hoffnungslos, dort zu suchen, doch wollte er keine Möglichkeit auslassen, zumal sich ihm keine weiteren sinnvollen Alternativen anboten und die Straße sich in der Nähe befand.

      Keine zwanzig Minuten später stand Bender vor dem Gebäude, in dem bis vor etwa zehn Jahren ein reges Arbeitsleben geherrscht hatte. Das Haus stand in der Nähe einer viel frequentierten Kreuzung, die über eine Eisenbahnbrücke führte, und machte schon von weitem einen verwahrlosten Eindruck. Es verfügte über vier Stockwerke und nahm gut die Hälfte der Straßenlänge ein. Abblätternde und von Ruß geschwärzte Wandmalereien zeigten, dass einst Kunstgeschmack eine wichtigere Rolle gespielt hatte als Geld, dass aber diese Zeiten unwiederbringlich vorbei waren. Mehrere Scheiben waren eingeschlagen, Fensterläden hingen schief in den Angeln, der Putz bröckelte ab. Der Zaun des angrenzenden Biergartens sah aus, als hätte ein achtloser Riese damit gespielt. Auf der Tafel an der Wand wurde das Tagesmenü für einen Tag angepriesen, der etwa zehn Jahre zurücklag. Frederick Martin hatte diese Brauerei in den Ruin getrieben, der Besitzer hatte sein Eigentum aufgeben müssen und die Stadt verlassen. Was er aktuell machte, wusste man nicht, aber es wurde gemunkelt, dass er nicht wieder auf die Beine gekommen war. Jemand, dem dies sauer aufstieß, hatte mit leuchtend roter Farbe eine Botschaft an die Wand geschrieben:

      Dieses Gebäude verfällt,

      aber Martin hält rauschende Feste ab.

      Wo bleibt die Gerechtigkeit?

      Leute, Finger weg von Martins Bier!

      Rauschende Feste? Bender runzelte die Stirn, doch so sehr er


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