Die mechanischen Katzen. Miriam Rieger
eröffnet, belieferte verschiedene Hotels und füllte die Regale der Lebensmittelläden. Er selbst wohnte in einer Villa, die von außen nicht einzusehen war, den Erzählungen nach aber der von Hellthal in nichts nachstand. Bender seufzte. Wenn die Katzen überhaupt in Martins Besitz waren, mussten sie in der Villa sein. In seinen Büroräumen waren sie bestimmt nicht, denn wer würde auf die Idee kommen, Diebesgut, noch dazu so auffälliges, an seiner Arbeitsstelle in Szene zu setzen? Andererseits, welchen Sinn hatte es, einen solchen Aufwand zu betreiben, um einen Dekorationsartikel zu stehlen, wenn er nachher in einem Tresor sein Dasein fristete? Trotzdem, am wahrscheinlichsten befand sich die Katze im Privatdomizil Martins, das vielfach gesichert und für Bender unerreichbar war.
Ein Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Grübeleien. Sein Kopf schoss nach oben, er eilte zur Tür und riss sie auf.
„Gut, dass Sie da sind, Hartmann“, sprudelte es aus ihm heraus, doch sein Wortstrom riss abrupt ab, als er gewahr wurde, wer vor seiner Tür stand.
Es war nicht Cornelius Hartmann, sondern eine Dame, deren Gesicht er unter dem Hut kaum erkennen konnte. Anders als der Fahrer, der versucht hatte, sich besser zu kleiden, als es sein Auskommen erlaubte, war es offensichtlich das Anliegen der Dame, sich einfacher zu kleiden, als es ihrem Stand gebührte. Ihr Kleid war mausgrau und unauffällig, jedoch war der Stoff zu teuer und die Schuhe aus echtem Leder, was sich hier in den Vierteln niemand leisten konnte. Bender tat, als fielen ihm diese Details nicht auf, und verbarg mühsam seine Enttäuschung, nicht den erwarteten Gast zu sehen.
„Was kann ich für Sie tun?“ fragte er kurz angebunden.
Die Dame hob den Kopf, sodass ein schmales Gesicht zum Vorschein trat, in dem die Augen beinahe übernatürlich groß wirkten. Sie sah hübsch aus, wirkte aber vor allem verzweifelt. „Ich hörte, Sie seien Detektiv, und ich benötige Ihre Dienste.“
„Was Sie nicht sagen. Ich dachte schon, Sie wollten meine Dienste als Friseur in Anspruch nehmen.“
Sie errötete. „Das auch.“ Sie klang schüchtern, doch der Augenaufschlag strafte dem Lügen. „Während wir über meinen Fall sprechen, können Sie mir die Spitzen schneiden und Lockenwickler in die Haare drehen.“
Die Antwort kam so unerwartet, dass Bender lachen musste und seine Meinung änderte. Er hatte vorgehabt, sie mit Verweis auf seinen Zeitmangel auf einen späteren Termin zu vertrösten, doch nun lenkte er ein und bat sie in seine Wohnung. Dass sie keine Verwunderung ob der kargen Möblierung zeigte, rechnete er ihr ebenso hoch an wie die Tatsache, dass sie sogleich zum Thema kam.
„Mein Name ist Constanze.“ Sie versuchte sich an einem Lächeln, doch das Kneten der Finger und das nervöse Zucken der Augen verrieten ihre Nervosität. „Sie sollen ... jemanden für mich finden.“
„Ist Ihnen Ihr Schoßhündchen davongelaufen?“
„Er frisst mir die Speisekammer leer und markiert überall, aber nein, mein Hund ist mir stets treu.“
„Im Gegensatz zu Ihrem Gatten“, schloss Bender. „Ich soll diesem nachspionieren und Ihnen mitteilen, wo er sich aufhält und vor allem, mit wem?“
Constanze strich Falten aus ihrem Kleid glatt, wobei Bender den Eindruck hatte, dass es ihr weniger um das Kleidungsstück selbst ging als vielmehr darum, den Augenkontakt zu vermeiden.
„Ja“, sagte sie schließlich. Ruckartig hob sie den Kopf und schaute Bender fast trotzig an. „Ich kann mir vorstellen, was Sie jetzt über mich denken. Untreue Gatten auszuspionieren ist vermutlich eine der langweiligsten Aufgaben, die Sie als Detektiv erledigen. Sie werden mich für ein Klischee auf zwei Beinen halten. Ich fühle mich selbst so“, fügte sie zögerlich hinzu. „Aber mein Mann versteckt etwas vor mir, ich weiß es.“
„Ihr Gemahl behauptet, länger arbeiten zu müssen. Er ist sehr verschlossen, führt heimlich Telefonate, und wenn Sie hinzukommen, legt er plötzlich auf, ebenso, wie Gespräche verstummen, die vor Ihrem Eintreffen noch lebhaft geführt wurden.“
Als sie nickte, musste Bender ein Seufzen unterdrücken. Er hätte ihr gern widersprochen, allein: Ihre Nöte waren tatsächlich nicht frei vom Klischee der gehörnten Gattin. Dennoch tat sie ihm Leid, denn auch wenn der Fall aus detektivischer Sicht uninteressant war, war ihm klar, dass sie unter der Situation litt.
„Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Da ich all meine Zeit und Ressourcen in jeden einzelnen meiner Fälle investiere, nehme ich stets nur einen an. Momentan hält mich einer sehr in Beschlag. Doch sobald dieser abgeschlossen ist, werde ich mich Ihnen widmen.“
Constanze verstand den Wink und reichte ihm die Hand.
4. Kapitel
Er begleitete sie zur Tür, als es erneut klopfte.
„Ich bin es“, ertönte dieses Mal die Stimme Hartmanns. Die aufkeimende Hoffnung Benders wurde jäh zerstört, als er sah, dass Hartmann mit buchstäblich leeren Händen kam. Dieser musste Benders Enttäuschung bemerkt haben, denn er hob entschuldigend die Arme, bevor sein Blick auf Constanze fiel.
„Sie haben Besuch“, stellte er überflüssigerweise fest. „Wenn mein Erscheinen ungelegen kommt, werde ich Sie später aufsuchen.“
Constanze setzte ein Lächeln auf und hielt ihm die Hand so hin, dass er einen angedeuteten Kuss hinhauchen konnte. „Das wird nicht nötig sein, Herr...“
„Cornelius Hartmann“, erwiderte dieser automatisch.
„Herr Bender, Herr Hartmann, ich wünsche Ihnen einen angenehmen Tag.“ Sie deutete eine Neigung ihres Kopfes an und trat ins Treppenhaus.
Bender blickte ihr nach. Ob sie wiederkommen würde, vermochte er nicht zu sagen. Bestimmt hatte sie sich mehr erhofft – und ihr war sicher nicht entgangen, dass er nicht nach dem Namen des Gatten gefragt hatte.
„Ich habe alles versucht“, sagte Hartmann, nachdem er mit einem Kaffee Platz genommen hatte. Bevor Bender etwas erwidern konnte, fuhr er fort: „Aber die Unterlagen, von denen Sie gesprochen haben, existieren nicht.“
Um ein Haar hätte Bender seine Kaffeetasse fallen lassen. „Das ist unmöglich“, hauchte er. „Das ist mit Schlampigkeit allein nicht zu erklären. Es hieße, dass der Fall sabotiert wird.“
Hartmann schüttelte vehement den Kopf. „Nein, kein Sabotageakt. Es ist viel einfacher. Aus unseren Archiven konnte nichts entwendet oder versteckt werden, weil nie etwas zu diesem Fall aufbewahrt worden ist.“
Das warf ein neues Licht auf seinen Fall. Nachdenklich betrachtete Bender seinen Gast. „Hellthal meldete seine Katzen gar nicht als gestohlen ...“
„Es sieht ganz danach aus“, bestätigte Hartmann. „Was mich zu der Frage führt, warum er das Ihnen gegenüber behauptete. Bender, ich weiß nichts über Ihren Fall, aber er gefällt mir nicht.“
Hartmann wirkte besorgt wie selten, und Bender konnte es ihm nicht verdenken. Wieso war Hellthal entgegen seiner Behauptungen nicht bei der Polizei gewesen? Und warum hatte er den doch extra von ihm beauftragten Detektiv belogen?
„Ich glaube nicht, dass die Katze nur Dekorationszwecken dient“, sprach Bender den Gedanken aus, der ihm schon länger im Kopf herumspukte.
„Was dann? Warum ist es so wichtig zu wissen, wie spät es in Hongkong oder an anderen für uns exotischen Orten ist?“ Bender spielte mit dem abgebrochenen Henkel seiner Tasse und nahm einen Schluck Kaffee. „Es würde mich wundern, wenn es nur darum ginge, Uhrzeiten abzulesen.“
„Sie denken, Hellthal ließ sich eine plausibel klingende Ausrede einfallen, um den wahren Zweck zu vertuschen? Doch was zeigen sie an, wenn keine Uhrzeiten?“
Bender rührte in der Tasse, die mittlerweile leer war und in der es nichts