Die mechanischen Katzen. Miriam Rieger
davon.
Mit einer Mischung aus Unglauben und Belustigung wandte sich Hellthal an Bender. „Ich bin überzeugt, dass Ihre Plörre mir Übelkeit verursachen wird. Sie haben Glück, dass Martin nicht des Französischen mächtig ist.“
Bender gelang es nicht, seine Überraschung darüber zu verbergen, von Hellthal verstanden worden zu sein. Dass sein Auftraggeber die Sprache beherrschte, hatte dieser während der Vorbereitung auf den Abend mit keinem Wort verlauten lassen. Nun lächelte er spöttisch. „Anders als der kleinkarierte Bierbrauer, der sich für einen Mann von Welt hält, weil er die hiesigen Bauerntrampel mit seiner – wie sagten Sie? – Plörre unter den Tisch säuft, mache ich auch außerhalb Deutschlands Geschäfte. Darunter in Frankreich, und dafür ist es unabdingbar, die Landessprache zu beherrschen. Sie glauben nicht, wie schnell man ansonsten über jenen Tisch gezogen wird, unter dem unser besoffener Gastgeber liegt.“ Hellthal zog mit einer theatralischen Geste seine Taschenuhr hervor und blickte darauf, wiewohl sich ihm gegenüber eine Standuhr befand und er die Uhrzeit kennen musste. „Auch ich muss mich empfehlen. Sie werden bereits geahnt haben, dass ich diese Feiern stets für Geschäftliches nutze. Halten Sie sich an den Plan!“
„Sie ebenso!“, knurrte Bender, doch Hellthal war bereits davongeschritten.
7. Kapitel
Hinter einem Dampfmobil kauerte eine Person, den Blick fest auf ihr Ziel gerichtet. Längst war die Sonne untergegangen, die Dunkelheit hatte sich über die Stadt gesenkt. Nur vereinzelt strahlten die Gaslaternen gegen die Finsternis an und erzeugten fahle Lichtkegel, in denen alles geisterhaft wirkte. Außerhalb dieser Lichtkegel verschwand alles in schwarzen Schatten. Vereinzelt fuhren Dampfmobile vorbei, in der Nähe ratterte die Zahnradbahn. Aus dem Gebäude, das sich schräg auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand und das die Gestalt nicht aus den Augen ließ, kamen Menschen heraus, doch der gesuchte Mann befand sich nicht darunter. Ein derber Fluch entkam den Lippen der Person. Zunächst hatte sie es als amüsant empfunden, ausgerechnet die Polizeidienststelle zu beobachten und einem Kommissar aufzulauern, doch war dieses Gefühl schnell dem der Ungeduld gewichen.
Wenigstens blieb das Dampfmobil, das ein hervorragendes Versteck bot, an Ort und Stelle. Es gab allerdings auch verdammt wenig Alternativen, wenn es weggefahren wurde! Am Anfang hatte die Person gezaudert. War es klug, sich auf dem Parkplatz eines viel frequentierten Gasthauses zu verstecken? Es schien absurd, doch tatsächlich beachtete hier keiner die Gegend genauer. Die Gäste, die das Gasthaus betraten, plauderten oder überlegten bereits, was sie essen könnten. Die, die es verließen, mussten sich erst an die Dunkelheit gewöhnen. Selbst wenn jemand zufällig einen Blick nach außen warf, war die Wahrscheinlichkeit gering, dass jemand auch nur einen Schatten sah. Blickdichte Vorhänge, eigentlich dazu gedacht, die Gäste von neugierigen Vorbeigehenden abzuschirmen, sorgten auch für jemanden, der sich auf dem Parkplatz versteckte, für die nötige Diskretion.
Die Person hinter dem Dampfmobil streckte die Beine aus, die einzuschlafen drohten, als im Gebäude auf der anderen Straßenseite das Gaslicht anging. Ein Mensch trat ins Freie, und durch den Lichtkegel, der auf ihn fiel, erkannte die beobachtende Person ihn sofort.
Mit einem Schlag war jegliche aufkommende Müdigkeit, jede Langeweile wie weggewischt. Er war es. Jetzt galt es, ihn nicht aus den Augen zu lassen.
Die Person stand auf, ließ das Dampfmobil, den Parkplatz sowie das Wirtshaus hinter sich und folgte dem Kommissar. Einen kurzen Moment keimte die Sorge auf, er könnte motorisiert sein. Ein Dampfmobil hätte die Verfolgung schneller beendet, als man das Wort aussprach, denn weit und breit war kein Dampftaxi zu sehen.
Doch der Kommissar machte keine Anstalten, ein motorisiertes Gefährt zu besteigen, sondern schritt die Straße entlang, ohne sich umzusehen. So konnte die Gestalt ihm folgen, und die Dunkelheit war eine gute Verbündete, mit der sie verschmolz und nahezu unsichtbar blieb.
8. Kapitel
Zwei Stunden waren vergangen, seit Hellthal sich von Bender verabschiedet hatte. Die Zeit hatte er genutzt, um sich auf möglichst diskrete Art umzusehen, wobei er rasch feststellen musste, dass die Detailliebe und die Genauigkeit des Plans sehr zu wünschen übrig ließen. Tatsächlich musste Hellthal diesen aus dem Gedächtnis heraus gezeichnet haben, so, wie er das Anwesen von den bisherigen Feiern kannte. Am liebsten hätte Bender das Stück Papier zerrissen und seinem Auftraggeber ins Bier geworfen, aber es war der einzige Anhaltspunkt, den er hatte.
Das Gebäude war nicht nur von außen beeindruckend. Es verfügte auch über eine Vielzahl an Räumen, von denen einige abgesperrt waren. Die Wahrscheinlichkeit, die mechanische Katze zu finden, sank von Zimmer zu Zimmer, zumal sich überall Gäste und Personal aufhielten, so dass Bender genötigt war, wie ein gelangweilter Gast zu wirken, der auf der Suche nach einem netten Gespräch oder einem Häppchen war. Dass viele weitere Gäste von der Anwesenheit des vermeintlichen Monsieur Dupont erfuhren und sich damit schmücken wollten, einem leibhaftigen Capitaine de police aus Paris die Hand zu schütteln, erschwerte die Aufgabe zusätzlich.
Damit, dass die Katze für alle sichtbar platziert war, hatte Bender von Anfang an nicht gerechnet. Wenn sie überhaupt hier im Hause war, dann ziemlich sicher in einem der verschlossenen Räume. Laut Plan waren vier Zimmer abgesperrt, die allesamt nebeneinander lagen. Blieb zu hoffen, dass diese mit Verbindungstüren ausgestattet waren. Den Weg über die Fenster wollte Bender nicht nehmen. Höhenangst hatte er keine, doch die Gefahr war zu groß, dass jene Gäste, die sich im Garten aufhielten, oder das entsprechende Personal ihn bei seinem Versuch, den Fassadenkletterer zu spielen, erblickten. Ihm blieb also nur eine Möglichkeit. Bender tastete nach dem Dietrich, den er in seine Jackentasche gesteckt hatte, und begab sich auf die Suche nach Hellthal.
9. Kapitel
Ein harter Stoß, und Cornelius Hartmann stürzte. Reflexartig fing er sich mit den Händen ab, dennoch tanzten für einen Moment Lichter vor seinen Augen. Fahrig versuchte er, seinen Angreifer zu packen, doch er fasste daneben. Hände hielten ihn fest, und auf seinen Rücken legte sich ein Gewicht, das ihn nach unten drückte und nach Luft japsen ließ.
„Lassen Sie mich sofort los“, keuchte er in dem Wissen, dass er nicht in der Lage war, Forderungen stellen zu können.
„Ich lasse Sie los, aber schreien Sie nicht.“ Ein Tritt gab ihm deutlich zu verstehen, was ihn erwartete, wenn er sich nicht daran hielt.
„Ich habe verstanden.“ Sofort löste sich der Griff, und Hartmann rappelte sich auf. Noch immer dröhnte es in seinem Kopf, und für das zu schnelle Aufstehen bedankte sich sein Kreislauf mit einem Schwindelanfall. Mit einer Hand versuchte er, sich an einem der Briefkästen festzuhalten, die an der Wand hingen. Zu spät fiel ihm ein, dass sie nach zahlreichen Diebstählen, bei denen die Schlösser gewaltsam aufgebrochen oder die Türen ausgehebelt worden waren, nicht mehr stabil genug waren. Mit einem lauten Poltern fiel der Kasten zu Boden, und auch Hartmann hätte das Gleichgewicht verloren, wenn nicht eine Hand zugegriffen und ihn gehalten hätte.
„Was wollen Sie?“ Er schlug die Hand beiseite und ärgerte sich über sich selbst. Was für ein peinlicher Auftritt! Hartmann atmete tief durch und bemühte sich, gerade zu stehen. Wahrscheinlich tat er das, doch der Boden schwankte. Oder war es sein Kopf, der ihm das vorgaukelte?
„Sie!“, kam es. „Wohnen Sie hier?“
„Ja.“
Hatte diese Person ihm hier aufgelauert? Wenn ja, woher wusste sie, wo er wohnte?
„Worauf warten wir?“
Ein Gegenstand presste sich an Hartmanns Bauch. Er zuckte zusammen. War es ...? Langsam spürte er, wie sich kalter Schweiß auf seiner Stirn bildete. Wenn die Person tatsächlich über eine Schusswaffe verfügte, hatte er ein Problem. Er drehte sich um und nahm die Treppe, dicht gefolgt von der Person. Nur zu deutlich spürte er den Druck der Waffe, die ihm nun an den Rücken gehalten wurde. Die vier Stockwerke