Die Geisterkutsche. Heiterer Roman. Karl Friedrich Kurz

Die Geisterkutsche. Heiterer Roman - Karl Friedrich Kurz


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      Das geht nach Berechnung und könnte nicht besser gehen. Der Doktor schließt die Wagentür. Selbst der Mond hilft mit und wirft seinen matten Schein durchs Fenster. Nur die Schnur um die Pappschachtel zeigt sich boshaft, sie hat so unsinnig viele Knoten, echte Weiberknoten, die gewöhnlich von selbst aufgehen, sich aber niemals im rechten Augenblicke lösen lassen. Ungeduldig zieht der Doktor das Taschenmesser.

      Seine Finger sind fahrig. Der Stahl fährt ihm darum ins Fleisch. Blut fließt. Nur einige Tropfen, die auf die Polster fallen. Wer aber beachtet zu dieser Zeit ein paar Tropfen Blut? Des Doktors Sinn ist auf ganz andere Dinge gerichtet. Jetzt knistert Seide zwischen seinen Fingern. Kleine Schellen klingeln leise. Das Abenteuer beginnt.

      Es beginnt mit der fassungslosen Frage eines entzückten Jünglings: „Rita, ist das denn menschenmöglich? Gibt es dergleichen noch in dieser Welt, Rita?“

      Hastig wirft er die Alltagskleider von sich. Und auch darauf fallen ein paar Tropfen Blut. Sein Blut kocht ja und schäumt. Oh, herrliches Leben!

      Den Doktor packte es mit Gewalt. Er schlüpft in das Seidengewand, er stülpt sich aufs Haupt eine Kappe mit zwei Hörnern. Geladen ist er mit Lust bis zur Bewußtlosigkeit, mit Begehrlichkeit bis zum Platzen. An den Schnäbeln der Schuhe, an den Hörnern der Kappe klingelt es silberhell.

      Kühner und kühner wird der Doktor, befreit von allem Zwang, über sich selber erhoben wird er. Doch als Narr im eigenen Wagen bis vor die Tür des Schwanen fahren, das darf er nicht.

      Sowie die ersten Lichter des Städtchens ins Fenster schimmern, öffnet er wieder den Wagenschlag, beugt sich weit hinaus, um Martin mit einem Fauststoß unter die Rippen zu wecken.

      Er flüstert: „Martin, paß gut auf! Ja, jetzt werde ich dir etwas sagen.“

      Aus gutem Schlummer schrickt Martin auf. „Ha — hö?“ Und er dreht träge den Kopf. Da aber kommt plötzlich Leben in diesen dicken, ruhigen Mann. Einen Blick nur wirft er auf den Kopf mit den Hörnern an seiner Seite. „Jesses!“ schreit er entsetzt und verschwindet blitzschnell auf der anderen Seite vom Bock. Nicht für nichts erfüllten bange Ahnungen Martins Seele. Diese Nachtfahrt erschien ihm unheimlich von Anfang an.

      Gewiß ist es des Doktors Schuld, denn er dachte zuviel an sein Abenteuer und zuwenig an seinen Kutscher. Darum vergaß er Martin aufzuklären, solange es Zeit war. Nun ist es aber zu spät.

      In größter Verblüffung starrt der Doktor über den leeren Kutschersitz hinweg und kann zuerst nicht fassen, was sich hier zugetragen hat. Als er es erfaßt, wird er wütend, nicht auf sich selber, sondern auf den unschuldigen Martin, der in seiner Herzenseinfalt glauben mußte, der Teufel selber sei hinter ihm aufgetaucht. „Aber Martin!“ ruft der Doktor. „Bist du verrückt geworden?“

      Auf diese Frage erhält er keine Antwort. Das Pferd Hugo begreift wohl, daß ungewöhnliche Dinge vor sich gehen, und bleibt stehen.

      „Martin, verdammtes Rindvieh, wo bist du?“ fragt der Doktor. „Was zum Satan? Warum brüllst du?“

      Martin, der Kutscher, kann auch darauf seinem Herrn keine Auskunft geben, weil er, die Fersen im Nacken, auf der Landstraße zurückrennt. Nur Martins Laufschritt hört der Doktor und staunt und fragt sich selber: „Hast du je so etwas erlebt?“

      Dieses ging nicht ganz nach Berechnung. Der Doktor blickt sich ratlos um. Hugo blickt sich ebenfalls um, legt seine Ohren vorwärts und rückwärts und lauscht. Auch Hugo versteht offenbar nicht, weshalb Martin die Flucht ergriff.

      „Sei hübsch ruhig, Hugo, gutes Pferdchen!“ ruft der Doktor ihm zu. „Gleich komm ich zu dir heraus.“ Mit ausgestreckter Hand geht er um den Wagen herum, klopft Hugo den Hals, redet ihm gütig zu. Und Hugo beschnuppert die ausgestreckte Hand, nickt und findet alles wieder in Ordnung. In der Ferne hört man Martins Stiefel auf der Landstraße klappern. „Dort rennt er“, brummt der Doktor.

      Martin rennt um sein Leben. Denn Martin glaubt sowohl an die oberen wie an die unteren Mächte.

      Der Doktor aber will nicht länger beim verlassenen Wagen auf der Landstraße stehen und die kostbare Zeit dahinfließen lassen. Die Dummheit seines Kutschers verwünschend, führt er Hugo ein Stück weit, bis zu einem geeigneten Baum am Wegrand. Dort bindet er ihn an und legt die Decke über seinen Rücken. „Bald wird Martin wieder zu dir kommen“, tröstet er ihn und geht eilig davon.

      Hugo steht allein vor einem Baum, legt wieder die Ohren vorwärts und rückwärts und ist nicht zufrieden mit dem Lauf der Dinge. Nie zuvor band man ihn an einem Baum auf offener Landstraße an und verließ ihn. Nach dem langen Weg führte man ihn in den warmen Stall des Schwanen und gab ihm Hafer und Heu. Doch er fügt sich mit der Geduld der Tiere in den Willen der Menschen und läßt bekümmert den Kopf zur Erde sinken.

      „Natürlich“, sagt Georg

      Die Zeit vergeht.

      Es vergeht eine Stunde. Hugo steht vor einem Baum. Da nähert sich vom Städtchen her Wagengerassel und das Klappern hastiger Hufe. Das sind Laute, die Hugo gut kennt. Er weiß, daß es der Fuhrmann Georg mit seiner braunen Stute ist, und wiehert ihnen hell und froh entgegen.

      Dieser Fuhrmann Georg fährt jeden Wochentag zwischen den umliegenden Dörfern hin und her. Dabei begegnet er oft des Doktors Wagen. Im Vorbeifahren ruft er Martin einen Gruß zu, kitzelt ihn zuweilen mit seiner langen Peitsche und erschreckt ihn.

      „Oha!“ ruft Georg jetzt seiner Stute zu. „Halt — was soll denn das dort bedeuten?“

      Damit springt er auf die Straße, sich diese ungewöhnliche Sache näher zu besehen. Hugo reibt zutraulich seine Nüstern an Georgs Ärmel.

      Das Pferd Hugo und der Wagen, das sind reale Dinge, die Georg sogleich erkennt. Dahinter aber birgt sich schwarzes Geheimnis. „Martin!“ ruft er.

      Da er keine Antwort erhält, holt er von seinem Wagen die Laterne, die Doktorkutsche zu beleuchten. Zuerst leuchtet er zum Fenster hinein, dann öffnet er neugierig die Tür. Dann läßt Georg vor Verwunderung die Laterne sinken. „Hier hat sich etwas ereignet“, murmelt er.

      Auf dem Polstersitz liegt in wirrem Durcheinander ein Kleiderhaufen bei des Doktors Mantel und Hut. Erschreckt macht Georg einen Schritt rückwärts. Jedoch Georg fürchtet sich nicht vor den bösen Geistern wie Martin, er glaubt nicht an den Teufel. Er glaubt aber an die Schlechtigkeit der Menschen.

      Als verständiger Mann rennt er nicht fort, um Mordio in die Welt hinauszurufen und Verwirrung zu stiften. Vorher untersucht er die Sache genau. Dabei findet er neben des Doktors Kleidern eine Pappschachtel. Und die Pappschachtel duftet lieblich nach Dame und Fest und Fröhlichkeit.

      Hierauf stellt Georg seine Laterne auf die Erde nieder und setzt sich auf das Trittbrett der Doktorkutsche. Er schließt die Augen und überlegt. Und als der gescheite und lebenserfahrene Mann, der er ist, kommt er zur folgenden Erkenntnis:

      „Die Umstände in dieser Kutsche sind etwas unklar. Sie sind derart, daß man vielleicht an ein Verbrechen denken könnte. Aber ein paar Blutstropfen machen noch keinen Mord aus. Und wozu läge dann die Pappschachtel hier? Ein Mord? Oho! Die Pappschachtel mit dem Wohlgeruch bezeugt das Gegenteil. Soviel ich nun von dem allen verstehen kann, hat unser guter Doktor sich heute nacht einen kleinen Seitensprung gestattet. Viel Vergnügen und meinen Segen dazu! Ja, warum sollte dieser brave Mann seinem scharfen Reibeisen nicht auskneifen? Dieses ist also so klar wie Bachwasser …“

      Der Fuhrmann Georg denkt dann über die Sache weiter nach und sagt zu sich selber: „Was mir hingegen höllisch dunkel bleibt, das ist die Frage, wo die Schlafmütze Martin zu dieser Stunde sich aufhält und warum er den Wagen hier draußen stehenließ.“

      Mit der Zeit löst Georg auch dieses Rätsel und ruft erfreut: „Natürlich. Wenn der Herr Seitensprünge macht, kommt auch sein Knecht auf Abwege. Der verdrehte Schlingel fühlt sich jetzt sicher und hockt dort hinten in der Wirtschaft, anstatt nach Hause zu fahren. Aber heute, mein haariger Liebling“, ruft Georg schmunzelnd, „werde ich dich in lebhaftere Bewegung versetzen.“

      Georg


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