Die Geisterkutsche. Heiterer Roman. Karl Friedrich Kurz

Die Geisterkutsche. Heiterer Roman - Karl Friedrich Kurz


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Zuruf und Peitschenknallen ermunternd. Hugo weiß aber schon, wie er sich aufzuführen hat; er versucht es hin und wieder mit einem hübschen Zotteltrab; zumeist geht er im Schritt.

      Beim ersten Kreuzweg, ein gutes Stück vor dem Dorfe Endingen, biegt Georg von der Landstraße ab und verschwindet singend in der Nacht. Hugo aber strebt seinem Stalle zu.

      Mit kaltem Schauer im Rücken

      Inzwischen hatte Martin Hilfe geholt.

      Mit Sepp, dem Sohn des Ochsenwirtes von Endingen und dem Nachtwächter Jochen marschiert er auf der Landstraße zurück. Noch immer vor Anstrengung und Aufregung keuchend, erzählt er eine verwunderliche Geschichte.

      „Vor meinen Augen wurde er hinweggerafft“, erzählt Martin.

      „Wer wurde gerafft?“ erkundigt sich frech der Sepp.

      „Wer? Der arme Doktor. Er holte ihn …“

      „Wer holte ihn?“

      „Der mit den Hörnern, Sepp.“

      „Meiner Seel“, lacht der Sepp, „holte er ihn?“

      Der Nachtwächter verhält sich stumm und abweisend. Beides sind sehr weltliche Männer, die nichts von Martins Teufel wissen wollen.

      „Also ich sitze auf meinem Bock, da näherte er sich mir von hinten …“, erzählt Martin weiter.

      „Von hinten“, jubelt der Sepp entzückt. „Hätte er dich von vorn gesehen, wäre er sicher ausgerissen …“

      „Hinter meiner rechten Seite tauchte er auf …“, fährt Martin fort.

      „Ho-ho-ho!“ brüllt der Sepp.

      Der Nachtwächter unterbricht ihn: „Halt endlich deine dumme Schnauze, Martin. Mir deucht nämlich, ich höre dort hinten etwas.“

      „Wo?“ fragt Martin und bereitet sich zu erneuter Flucht vor.

      Aber sie halten ihn von beiden Seiten an semem langen Fuhrmannsmantel fest.

      „Um der Barmherzigkeit willen“, jammert Martin. „Liebe Freunde, laßt mich! Ich bin ein alter Mann. Und wenn es dann zur Flucht kommt, rennt ihr an mir vorbei.“

      „Da bleibst!“ befiehlt der Nachtwächter als Obrigkeitsperson.

      Hierauf zottelt Hugo mit der Doktorkutsche heran. Von weitem schon begrüßt er Martin, bleibt von selber stehn und schnaubt.

      „Wo aber ist der Doktor?“ ruft der Sepp.

      Martin fragt weinerlich: „Sagt ich es euch denn nicht?“

      „Jetzt fängt er schon wieder mit seinem blödsinnigen Hörnerteufeln an!“ ruft der Nachtwächter grob, „Öffne einmal den Wagenschlag.“

      „Was ich mit diesen meinen beiden Augen gesehen hab’ das hab’ ich gesehen“, erklärt Martin, des Nachtwächters Befehl nicht beachtend. „Er rief mich an, und seine Stimme kam mir zuerst vor wie die Stimme meines armen Herrn. ‚Martin‘, rief es, ,Martin Dann rief es noch etwas, was ich nicht mehr verstehen konnte.“

      „Weil du gleich ausgekniffen bist, mein Lieber“, höhnt der Sepp.

      „Ich? Lief ich vielleicht davon? Hat er mich denn nicht vom Bock heruntergestoßen, bevor ich mich recht besinnen konnte? Und da fiel ich also auf die Straße und war bewußtlos. Sobald ich wieder zu mir kam, lief ich dem Wagen nach.“

      „Dem Wagen nach? Wie? Nein, wie du lügen kannst, Martin!“ ruft der Sepp lachend.

      „Alter Schwätzer“, sagt finster der Nachtwächter und befiehlt abermals: „Öffne jetzt die Wagentür!“

      Sehr hastig zieht Martin sich einige Schritte zurück. Entsetzt fragt er: „Was soll ich? Und warum denn ich, lieber Jochen? Nein, das tust du am besten selber. Hier stehst du als Amtsperson.“

      Ein drittes Mal befiehlt der Nachtwächter: „Öffne!“ Denn er selber scheint keine Lust dazu zu haben.

      Martin vergräbt beide Hände tief in den Taschen seines Mantels und erklärt, daß keine Macht der Welt ihn zwingen könne. Er rät aber dem Nachtwächter: „Paß du nur auf, Jochen, du mit deinem großen Maul, daß er dir nicht an die Gurgel fährt. Hättest du den Todesschrei von unserem armen Herrn Doktor gehört …“

      Um nicht in alle Ewigkeit als Feigling verlacht zu werden, tritt der Nachtwächter auf die Kutsche zu. Er öffnet den Wagenschlag mit einem Fluch auf den Lippen, aber mit kaltem Schauer im Rücken. Der Sohn des Ochsenwirts hebt die Laterne und leuchtet hinein, Sepp, der lustige Bruder; da vergeht ihm das Lachen für eine Weile.

      Selbst der überlegene Wächter wird zahm und zahnlos vor des Doktors abgelegten Kleidern. „Ja, meiner Seel“, gesteht er. „Hier muß sich etwas Ernsthaftes zugetragen haben. Blut an des Doktors Mantel, auf den Polstern und überall. Ja, meiner Seel …“

      Martin beginnt zu jammern: „Maria und alle Nothelfer! Also völlig blank und nackt hat er ihn geholt. Ach, diese arme Seele.“

      Der Nachtwächter hat sich indessen vom ersten Schreck erholt und flucht mutig und männlich. „Himmelherrgottsakrament!“ schreit er. „Heul nicht, Mensch! Und hör mit deinem Teufel auf, sag ich! Hier gibt es nichts von Teufelholen und solchen Sachen. Mach nicht länger deine Witze, Mann. Verstanden? Denn wenn es sich hier überhaupt um etwas handeln sollte, dann kann es kein Geisterspuk sein. Verstanden? Wenn ich mich nicht sehr irre, liegt sogar ein regelrechter Mord vor.“

      Der lebenskundige Sohn des Ochsenwirts forschte unterdessen neugierig in der Doktorkutsche herum und gewann dabei seine eigene Meinung. „Wieso Mord?“ fragt er pfiffig. „Ich finde keine Spur von Verbrechen. Begreift ihr denn nicht den wahren Zusammenhang? Der Doktor ist seiner süßen Amalie für eine Nacht durchgebrannt. In dieser Stunde tanzt er vergnügt im Schwanen. Ich will nicht länger Sepp heißen, wenn das nicht stimmt.“

      „Aber das Blut?“ wendet der Nachtwächter ein.

      „Blut?“ meint der Sepp. „Es gibt viele Sorten von Blut.“ Und dabei beschnuppert er eine Pappschachtel, die er in der Kutsche fand, von allen Seiten. „Wie das Blut dort vergossen wurde, das kann ich euch nicht sagen. Hingegen dieses hier riecht — hol euch der Teufel — nach Fleischeslust und Sünde, soviel ist sicher und gewiß.“

      „Aber ich sah ihn“, ruft Martin.

      „Wen, mein Lieber, hast du gesehn? Dein Teufel, daran ist nicht zu zweifeln, kam in dieser fein duftenden Schachtel in die Kutsche. Du aber bleibst ein verrücktes Huhn. Beim ersten Geräusch ranntest du davon. Und das sieht dir ähnlich.“

      „Versündige dich nicht!“ mahnt Martin. „Hüte deine lose Zunge!“

      „Hinter diesem Spiel steckt eine Dame, mein Lieber“, erklärt der unverbesserliche Sepp.

      „Lache nicht, Sepp! Das sollst du bereuen. Mit allem treibst du deinen frechen Spott. Doch eines Tags wird auch von dir Rechenschaft verlangt. Das vergiß nicht.“

      Der Nachtwächter überlegte sich indessen den Fall und kam zu folgendem Entschluß: „Mord oder Maskenball — mich geht beides nichts an. Nämlich, wenn sie den Doktor wirklich umgebracht haben sollten, kann dieses unmöglich auf unserm Gemeindeboden vor sich gegangen sein, sondern auf städtischem Boden. Es wäre demnach Sache der Stadtpolizei. Ist hingegen der Doktor seiner Alten durchgebrannt und hat sich in weiblicher Gesellschaft in den Schwanen verzogen, dann ist das des Doktors Sache; mag er in des Herrn Namen sein Vergnügen haben. Ich meinerseits will jetzt nach Hause gehn — und das ist meine Sache.“

      „Jochen, du hast weise gesprochen!“ pflichtet der Sepp bei. „Auch ich will nach Hause gehn. Worauf warten wir denn noch?“

      Da aber bittet Martin: „Liebe Freunde, verlaßt mich nicht! Sagt mir, was ich beginnen soll!“

      „Das ist deine Sache!“ meint herzlos der Nachtwächter.

      Aber


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