Die Geisterkutsche. Heiterer Roman. Karl Friedrich Kurz

Die Geisterkutsche. Heiterer Roman - Karl Friedrich Kurz


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Schulter. „Was du unternehmen sollst, lieber Martin? Du sollst gar nichts unternehmen. Glaube mir doch, Mensch, der Doktor befindet sich zu dieser Stunde in schöner Damengesellschaft. Laß endlich den Teufel in Ruhe. Denn da, wo die hübschen Weiber sind, ist ohnedies stets ein wenig Teufelei dabei. Wenn der Doktor sich unterwegs umgezogen hat, dann tat er es doch nur, damit seine Alte nichts spannen soll. Mach du nun nicht unnötigen Lärm. Willst du meinen Rat hören, so fahr in die Stadt zurück und warte auf den Doktor.“

      Mit langen Schritten läuft der Sepp dem Nachtwächter nach. Beide verschwinden, laut schwatzend, in der Dunkelheit.

      Des Sepps Rat ist gut. Aber Martin befolgt ihn nicht. Martin steht bei seinem Pferd und überlegt. Das Pferd will nach Hause, so viel ist klar. Martin, der Kutscher, weiß nicht, was er will. Er weiß nur, daß er nicht in die Stadt zurückfahren will. Daher läßt er dem Pferd seinen Willen, klettert auf den Bock und wickelt die Decke um seine müden Beine. Hugo übernimmt die Führung. Damit beginnt sich die Sache zu verwirren.

      Zwar der Fuhrmann Georg, der Nachtwächter Jochen und des Ochsenwirts Sepp, drei verständige Männer, nahmen des Doktors Verschwinden nicht ernst, sondern legten es als menschliche Schwäche des Fleisches aus. Hingegen Martin, die furchtsame Seele, nahm es sehr ernst. Den Kopf angefüllt mit schweren Gedanken und Unheimlichkeit aller Art, fuhr er auf den Hof, spannte Hugo aus und brachte ihn in den Stall.

      Setzen Sie sich aufs Kanapee

      Die Doktorin, Frau Amalie, saß in ihrer Stube, trank Kaffee und blätterte in einem Modeheft. Ihr Sinn stand nach einem neuen Sommerkleid. Sie konnte sich nicht recht entschließen und sann hin und her, bis Martin durch den langen Gang herantrampelte und an die Tür klopfte. „Herein.“

      Einen kleinen Schritt macht Martin in die Stube, blinzelt ins Licht, seine Schildmütze in zitternden Händen drehend.

      „Wo fehlt es dir, Martin?“ fragt die Doktorin, ohne den Kopf zu heben.

      „Vor allem, gute Frau Doktor — fassen Sie sich!“

      Jetzt schaut die Doktorin auf. „Was denn?“ fragt sie verwundert. „Ist der Doktor in der Stadt geblieben?“

      „In der Stadt? Das will ich nicht behaupten. Nein, das glaube ich kaum.“

      Die Doktorin faltet ihre Hände im Schoß. „Ist ihm etwas zugestoßen?“

      Bekümmert läßt Martin den Kopf auf die Brust fallen. „Allerlei hat sich unterwegs ereignet. Vor allem setzen Sie sich dort aufs Kanapee, Frau Doktor. Wenn ich auch nur ein ungebildeter Mann bin, so weiß ich doch, daß man in solchen Fällen schonend vorgehen muß. Setzen Sie sich, sonst fallen Sie mir schon am Anfang um.“

      Anstatt sich aufs Kanapee zu setzen, springt die Doktorin vom Stuhl auf, wirft das Modeblatt von sich und ruft: „Was ist geschehen? Was, um Gottes willen? Scheute vielleicht Hugo?“

      „Hugo scheut nie. Doch zuerst setzen Sie sich.“

      „Guter Martin!“ ruft die Doktorin. „Rede wie ein vernünftiger Mensch und sag mir mit einemmal, was es zu sagen gibt!“

      „Mögen sie über mich lachen, die verfluchten Heiden und Sünder“, sagt Martin. „Ich sah es doch mit meinen beiden leiblichen Augen. Und daran glaube ich.“

      „Was hast du gesehen?“ fragt die Doktorin ängstlich.

      „Ihn selber, in eigener Person. Vor Ihren Ohren darf ich ihn nicht bei seinem rechten Namen nennen.“

      „Was darfst du nicht — mein Gott!“

      „Hörner hatte er, und seine Ohren waren spitz. Der freche Nachtwächter, der Jochen und des Ochsenwirts gottloser Seppel, das werden bestimmt die nächsten sein, die er holt.“

      Nun wird die Doktorin zornig und erklärt: „Ein Dummkopf warst du seit jeher, Martin. Jetzt aber hast du offenbar den letzten Rest deines Verstandes verloren.“

      „Wenn es sich nur darum handeln sollte, gute Frau Doktor! Habe ich Sie denn nicht gleich gebeten, sich dort aufs Kanapee zu setzen?“

      Verzweifelt schüttelt die Doktorin ihren Kopf und überlegt. „Wenn ich dich richtig verstehe, meinst du mit deinem Unsinn den Teufel?“

      „Stimmt ganz genau. Und da haben also Sie selber den Namen ausgesprochen. Mir persönlich stieß er das Horn in die Seite, so daß ich vom Bock herunterfiel. Ihn aber holte er, nämlich aus dem Wagen heraus.“

      „Mensch, Mann, Martin!“ schreit die Doktorin, die allmählich ihre Fassung verliert. „Du bist ja völlig verrückt. Komm endlich zu dir! Teufel gibt es schon lange nicht mehr.“

      „Sagen Sie das nicht!“ ruft Martin dumpf. „So wahr ich hier vor Ihnen stehe, Frau Doktor, und ein getaufter Christ bin, ich habe alles gesehn … Nackt und bloß, wie er in diese Welt gesetzt worden, trug er ihn fort. Und seine Hörner blinkten im Laternenschein.“

      „Trug ihn fort? Wen denn?“

      „Ihn doch, unsern armen Herrn Doktor.“

      „Blödsinn. Sag mir, wo du den Doktor verlassen hast! Wo ist er?“

      „Er verließ mich! Und wo er ist? Nun, ganz Genaues weiß man in dieser Sache nicht“, meint Martin bedächtig. „Man kann sich jedoch schon vorstellen, wo sie hinkommen, die er eigenhändig abholt.“

      Bei dieser Mitteilung verliert die Doktorin alle Geduld, packt den Kutscher am Rock und schüttelt ihn kräftig. „Da hört doch alles auf, Martin! Erzähl mir, was du weißt, und mach keine unnötigen Worte.“

      Mit weinerlicher Stimme wehrt Martin sich: „Was kann denn ich dafür? Es kam zu plötzlich. Wie hätte ich ihm helfen können gegen solche Mächte? Jetzt liegt nur noch die äußere Hülle von ihm im Wagen.“

      „Was? Die äußere Hülle?“ fragt die Doktorin entsetzt.

      „Seine Kleider nämlich.“

      Entschlossen läuft die Doktorin zur Tür. Martin folgt ihr. Sie gehen in den Schuppen. Die Doktorin reißt den Wagenschlag auf. Und da liegen also unverkennbar des Doktors Kleider. Amalie zieht sie heraus und entdeckt die Blutspuren. Da wird sie weich in den Knien. „Herr im Himmel!“ kreischt sie mit schriller Stimme. „Man hat ihn ermordet.“

      Dem widerspricht Martin. „Ermordet, das will ich nicht gerade annehmen. Des Ochsenwirts Sepp behauptet sogar, es läge eine Pappschachtel mit Fleischeslust dabei.“

      „Eine Pappschachtel?“

      „Die stark nach Sünde duftet …“

      In ihrer Angst schenkt die Doktorin Martins Andeutung keine Beachtung. Sie murmelt: „Das sind seine Kleider, das ist sein Blut.“

      „Offen gestanden, von einem Mord habe ich nichts gemerkt“, erklärt Martin. „Es ging alles still zu. Ich merkte nämlich überhaupt nichts, bis er mir seine Hörner in die Seite stieß. Aber der Herr Doktor gab keinen Laut von sich.“

      Nicht länger hört die Doktorin auf Martins Bericht. Sie läuft ins Haus zum Fernsprecher und ruft Doktor Stende an. Martin steht hinter ihr, kopfschüttelnd und verzweifelte Blicke in die Höhe richtend. „Niemand will mir glauben“, klagt er. „Aber wartet nur, ihr werdet noch an mich denken.“

      „Ist mein Mann bei Ihnen?“ fragt die Doktorin mit schwingender Stimme. „Nein? Gott steh mir bei! Nein? Sie haben ihn überhaupt nicht gesehn? Es ist ihm etwas zugestoßen. Unser Kutscher kam eben mit dem leeren Wagen und seinen blutigen Kleidern zurück.“

      „Nicht möglich“, antwortet eine tiefe, ruhige Stimme. „In unserer Gegend gibt es keine Verbrechen. Wer könnte Ihrem Mann etwas angetan haben?“

      „Nein, ich weiß nicht. Der Kutscher hat dabei völlig den Verstand verloren. Er redet vom Teufel und von einer Pappschachtel. Er ist verrückt.“

      „Der Martin? Oh, dieses Mondkalb! Viel Verstand war da weiß Gott nicht zu verlieren. Aber


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