Motorherz. Walter Julius Bloem

Motorherz - Walter Julius Bloem


Скачать книгу
eine Zwischenlandung und locken unsere Jäger ganz von den Strassen weg ...“

      Das Wild schlägt Haken und narrt die Meute ...

      Auf der Südstrasse hält das Dreigestirn Themal-Moebius-Kossack die bewährte Fahrtbrüderschaft, solange es angehen mag. Am Himmel treibt der Eridanos schräg auf die Landstrasse zu. Der Klubmeister schlägt vor, dass man sich noch weiter östlich entferne. „Das kenne ich –“ sagt Thomas Themal, „die kommen gleich wieder herunter, und der Bodenwind geht Südwestsüd.“

      „Schön. Macht’s, meine Lieben. Ich meinerseits verziehe mich an die Spreewaldgrenze. Sicher – dort werden sie heruntergehen!“ Er winkt, seine rotbraune, schwere Maschine mit den beiden Scheinwerfern knattert in eine Strasse zur Linken.

      Mitten in Thoras fahrtseliges Herz fällt eine Stunde köstlichster Einsamkeit mit dem Freund. Dem Klubmeister gönnt sie den Sieg – denn jener liegt in den Fesseln eines ungeliebten, durch Familientradition aufgezwungenen Berufes, nur im Sport blüht diese graue Seele auf, bedeckt sich mit den Farben einer sauberen Lebensfreude. Doch Thomas Themal nimmt das Leben überall von der schönsten Seite – ihm bringt der Tag Glücks genug. Also Thomas – gönne dem Kameraden seinen Pokal – – aber wenn du ihn dir holst, so will ich mich freuen für dich.

      Die Hände fest um die Lenker gespannt, Zündung und Gasgemisch aufs Optimum regulierend, ziehen die zwei Motorkameraden in die Heide hinein und an Forsten vorbei. In der schnellen Fahrt donnern die Motoren, und die Maschinen sind schon vollkommen staubbedeckt. Solche Fahrt ist eine Sonntagsandacht von besondrer Weihe, zugebracht in der einen, grossen, einigen Kirche Gottes! Dazu singen die beiden Motoren die tiefe Grundmelodie gleich einem Orgelbass – ein ganzer Chor von Stimmen klingt hinein: Das Schwirren der Ventile, das Summen des Dynamos – – dazu singt des Studenten Blut in Lebensjauchzen!

      Sportkameradschaft, wundervolles Bündnis unserer Zeit! Die Mucker wissen es nicht – noch singen uns keine Lieder davon. Man lernt es nicht kennen hinter dem Ofen, nicht im schwülen Tanzsaal oder im trägen Sand. Aber wo der Ski lange Strähnen in den Schnee reisst – wo Hacke und Seil an senkrechten Felsen herauftasten – wo rastlos hämmernde Motoren um die Wette sausen – – dort findest du die Blume der Sportkameradschaft. Stürzest du, so will ich dir helfen – lachst du über Gefahren und Mühen, Kameradin, so will ich Gefahr wie Mühen und dein Lachen herrlicher mitempfinden. Und dass du schön bist und ein junges Weib, das schwingt nur an mein Ohr wie ein ferner, seliger Gesang.

      Thora Moebius weiss: So empfindet Thomas für sie. Solange sie neben dem Freund am Steuer ihrer Maschine sitzt, mildert sich in ihrer Brust die sengende Flamme. Wäre nicht zwischen ihnen die Sportkameradschaft – es wäre nicht zu tragen für Thora. Sie hegt und hütet ihn mit ihrer Seele, kühner und männlicher reift sein Herz. Sie weiss, dass alle Wege versperrt sind – aber sie wartet mit einem starken Mut, dass er eines Tages verwandelte Augen zu ihr aufschlagen wird: Du bist es – –

      Dann – dann – – Weiter kann Thora noch nicht denken –

      Doch mit denselben Augen, die einst erwachen werden aus dem Traum des Kindseins, blickt Thomas Themal immer wieder zur Höhe hinauf, wo der Eridanos im Blauen hängt. „Das ist heute eine besondere Wettfahrt, Thora! Einen Becher und eine Klubmedaille – und privatim ein Herz für mich. Darum jagen wir!“

      Droben im hohen Ballonkorb späht Ilse Jakoby nach ihren Verfolgern. Jetzt befindet sich die Masse der Jäger ganz weit im Osten, viele sind sogar dem Ballon schon über die Zossener Südstrasse hinaus gefolgt. Jetzt schiesst tief, tief unter dem Ballon das Klubauto über die staubige Landstrasse –

      Jetzt zieht Ilse Jakoby kräftig an der Ventilleine. Der Eridanos fällt. Sausender Wind kitzelt von unten nach oben, scharfer Druck presst die Ohren. Der Geheimrat hat die Sandschaufel in der Hand und bremst zum Zorn seines Töchterchens den scharfen Fall. Tiefer, tiefer! Jetzt schreibt die Fahrt schon einen Bogen nach Süden, nun hängt der Ballon hundert Meter hoch über Waldgipfeln, hebt sich ein wenig und treibt nach Südwesten. Alles, was nach Osten gefahren ist, kehrt abermals um und folgt lachend und wütend dem geschickten, fliegenden Fuchs.

      Dicht vor den surrenden Motoren Thomas Themals und der Frau Thora Moebius kreuzt der Ballon zum zweitenmal hoch über die Südstrasse – südwestlich segelt er, lautlos und riesenhaft wie ein Fabeltier. Ilse Jakoby hält den linken Arm in die Stricke gefasst, Sonne blitzt auf ihrem blossen Blondhaar – spöttisch schwenkt sie den Fuchsschwanz zu den Fahrern hinunter.

      Der Student und seine Kameradin halten an. Thora zerrt eine Karte hervor und stellt mit zwei Blicken fest, dass hier südwestlich nur Feldwege führen. Im Augenblick darauf hetzen und jagen die beiden Fahrzeuge auf Zossen zu, ganz weit in den Süden. Dort biegen sie ein – und auf elenden Feldwegen rattern sie immer näher gegen den Eridanos, dessen Korbrand jetzt mit des Geheimrats sachkundiger Hilfe wenige Meter über den wiegenden Ähren eines Erntefeldes im trägen Bodenwinde schwebt. Thomas Themal prescht voraus, er achtet nicht auf die schleudernde, über hartgetrocknete Wagenspuren stampfende Maschine. In den Fussrasten fängt er beinahe stehend die furchtbaren Stösse des Feldwegs ab. Heran muss er als Erster an den Ballon – muss den Silbernen Pokal gewinnen, muss als Sieger vor diesem Mädchen stehen ...

      Er befindet sich noch mehr als einen halben Kilometer von dem Eridanos entfernt und biegt rücksichtslos auf ein Heideblachfeld ein, als der Korb sacht und mit kaum merklichem Stoss auf den Boden aufsetzt. Zugleich sieht Thomas Themal, wie mitten aus einem Wald heraus ein Motorrad über die Wiese rast. Verdammt – Meister Kossack! Der Hutfabrikant liegt fast über dem Lenker. Der Eridanos sitzt bombenfest am Boden ...

      Ilse Jakoby zerrt zwei Sandsäcke los und stellt sie auf den Korbrand – die soll der Geheimrat mit den kranken Händen festhalten. Das Töchterchen selbst hängt sich stöhnend und lachend zwei weitere Säcke in die schlanken Finger. Als Ernst Kossack etwa hundert Meter entfernt ist, stürzt er über den Löchern eines Karnickelbaus. Er lässt die Maschine liegen und rast mit Riesenschritten auf den Ballon zu. Von der anderen Seite kommen Thomas Themal und weit hinter ihm andere Kameraden fahrend über das Blachfeld daher. Schon streckt der Klubmeister in keuchendem Lauf siegtrunken seine Hände aus – –

      Da plumpsen vier Sandsäcke über den Korbrand, wie eine riesige Kanonenkugel schiesst der Eridanos in die Luft ... „Nehmen Sie die Säcke mit –!“ höhnt eine helle Stimme aus der Höhe. Jakobys mächtiges, dröhnendes Spottgelächter verklingt im Blauen ...

      Vor vier umgestürzten Sandsäcken versammelt sich die Schar der knatternden Helden. „So eine Hexe!“ schimpft der Klubmeister. „Noch zehn Schritte, dann hätte ich meinen Pokal gehabt ...“

      Thomas Themal lacht zufrieden, schüttet die Sandsäcke aus und stopft die Hüllen in seine Packtaschen. Zwei Augenblicke darauf fegt Ernst Kossack mit tanzenden Rädern vorbei zum Feldweg.

      Allgemeine Ratlosigkeit. Wo ist hier eine anständige Strasse? Wie lange bleibt der Ballon noch oben?

      Der Geheimrat hat den leichtsinnig sausenden Aufstieg mit dem Ventil abgebremst: „Nicht zu hoch, Ilse – in fünfzehn Minuten müssen wir herunter –“

      Das Mädchen frohlockt: „Haft du eben den jungen Herrn gesehen, Papa – nicht den langen, der zu Fuss lief – den anderen, der als nächster auf seinem Motorrad herankam? das ist der junge Themal –“

      „Themal? Ich denke, mein Assistent fährt mit dem Auto –“

      „Ich meine den jüngeren Themal, den Bruder –“

      „Doktor Themal hat einen Bruder? Seit wann denn? Weiss ich ja gar nicht –“

      „Aber Papa!! Der jüngere Themal ist schon ein paarmal bei uns zum Tee gewesen, ausserdem sitzt er täglich in deinem Seminar –“

      Hoch und weit wird der Ballon südwestlich über Äcker und Felder hingeweht. Durch die friedliche Sonntagmorgenstille tönt das Motorensurren der vollkommen zersprengten Jägerschar. „Ein junger Themal? Es kann sein, dass ich mich dunkel erinnere. Was ist denn mit ihm?“

      Das Töchterchen errötet leicht. „Was an mir liegt: der soll als Erster an den Ballon ...“ Wenn es möglich ist, so will


Скачать книгу