Motorherz. Walter Julius Bloem

Motorherz - Walter Julius Bloem


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das Motorfahren beigebracht, und in etwa Monatsfrist wird Ilse Jakoby ihren Führerschein erhalten. Ein etwas unbequemer Sport. Sie hat sich vorgenommen, ihn dennoch zu erlernen. Der ältere Themal liebt dies lärmende, stinkende, schmutzige, unelegante Fahrzeug mit unbegreiflicher Zähigkeit – er wirbt und arbeitet dafür, auch wenn er seit einem schweren Sturz nur noch selten darauf fährt. Detlev Themal hat zu Ilse Jakoby gesagt: „Sie sollten es auch lernen, Sie würden mir eine grosse Freude damit machen.“ Detlev Themal ist ein merkwürdiger Mensch, weit über seine zweiunddreissig Jahre hinaus gereift; er besitzt eine schier hypnotische Willensgewalt, seine Lebensbahn wird zehnfach höher, ehrenvoller und glänzender aufsteigen als die aller anderen Männer, die Ilse Jakoby kennt ... Auch der Vater glaubt es.

      „Wir müssen herunter, Ilse!“

      Sie prüft die Armbanduhr, deren Brillanten im Sonnenlicht auffunkeln. Schade – die Hülle ist noch fast ganz prall, und etwa zehn Sandsäcke hängen noch an den Korbseiten. Also Ventil – sacht steigt der Ballon herab. Etwa drei Kilometer voraus liegt quer zur Flugbahn ein breiter Strassenwinkel – dazwischen ein Kartoffelfeld mit vertrocknenden, braunen Trieben, also ein schöner Landungsplatz, man wird nicht viel Flurschaden anrichten. Ilse Jakoby drückt den Ballon herab und fängt ihn in hundert Meter Höhe – bindet auch das Schlepptau los.

      Ein Motor surrt fern. Den Sinkenden entgegen wirbelt eine Staubwolke. Ist es der junge Themal? Nein, der hat einen gelben Fahrtanzug an. Jetzt senkt die Bahn des Eridanos sich so steil, dass der Geheimrat einen halbvollen Sandsack ausschütten muss. Das Schlepptau schwappt zwischen Obstbäumen hindurch quer über die Landstrasse. Der Klubmeister Kossack auf seiner rasenden Maschine kann nicht mehr vor der lebendigen Hanfschlange stoppen, sein Vorderrad wird zur Seite gerissen; der Fahrer stürzt aus dem Sattel, seine Maschine überschlägt sich. Aber ehe die beiden entsetzten Zuschauer in den Lüften noch einen Gedanken hätten fassen können, springt der lange Kerl wieder auf die Beine, reisst das Vierzentnergewicht von Stahl und Eisen vom Boden auf und rennt es in Gang, um den Strassenwinkel zu umfahren. „Landen, Ilse, landen!“

      „Drüben, Papa – an der anderen Strasse!“

      Scharf weggeweht, dreissig Meter hoch über gilbenden Sträuchern, treibt der Eridanos dahin. Auf der Strasse lässt ein Motorradfahrer seine donnernde Maschine durch den Strassengraben klettern, schwingt sich wieder in den Sattel und prescht in schneidigem Ritt über die steinhart getrockneten Kartoffelfurchen – dem Ballon entgegen. Dann wendet er, fährt unmittelbar hinter den Landenden motorlärmend drein. Ilse ruft: „Vorsicht, Herr Themal, Vorsicht!“

      Ein zweiter Fahrer schiesst von der Strasse daher. Dicht vor Thomas Themal schlägt der Korb auf den Boden, tanzt aber im nächsten Augenblick wiederum haushoch in der Luft. Warnungsrufe schallen. Abermals prallt der Korb herab – im gleichen Augenblick bauscht sich die Hülle, mitten in der vielgeflickten Seide öffnet sich die Reissbahn, das Gas entweicht, schlaff und tot senkt sich die stolze Hülle des Eridanos zur Seite.

      Zwei Sekunden darauf knattert Thomas Themal heran und berührt den Korbrand, noch ehe die beiden Luftschiffer sich aus dem Gewirr der Stricke befreit haben. Im Sattel sitzend stösst der Student einen schrillen Jubelruf aus und schwenkt den Fuchsschwanz, den Ilse Jakoby ihm gereicht hat. Ernst Kossack befindet sich noch ein Stück entfernt in wilder, halsbrecherischer Fahrt – er hält an, zieht seine Maschine auf den Ständer, schlendert ingrimmig an den Korb heran und sichert sich den zweiten Platz. „Glückwunsch, Thomas – nun hast du den Pokal –“ presst er mit zornigen Lippen hervor und quetscht wütend dem Kameraden die Hand.

      „Vielen Dank, Ernst,“ flüstert der Student, „musst nicht traurig sein. Im nächsten Jahr kannst du ihn dir wiederholen.“ Dann hilft der Sieger seiner lieblichen Beute aus dem Korb. Am Rande der Strasse saust das Klubauto heran, Doktor Themal kommt gelassenen Schrittes daher über das Feld. Über Thomas’ Augen hinweg lächelt Ilse Jakoby dem anderen Themal entgegen –

      *

      Der Garten des Klubheims ist so angelegt und gehalten, wie viele Gärten in der Grunewaldkolonie: ein mächtiger Rasen, jetzt in der Dämmerungsstunde von unzähligen Lichtchen festlich erhellt – ein Blumenrand, ein Springbrunnen, Jasminstauden überall – und hier und dort in schweigender dunkler Höhe die Kiefern. Nackte Stämme werfen purpurn das Licht zurück, das aus den Fenstern und aus den bunten Lampions heraufglänzt.

      Vor der Freitreppe sammelt sich ein Menschenschwall: auf den Ruf des Majors strömen junge Herren im Smoking und junge Frauen in hellen Sommerkleidern herbei. Nur die tiefgebräunten Gesichter und die Klubabzeichen an den Seidenaufschlägen und im Ausschnitt erinnern daran, was diese Menschen als innerstes Erlebnis pflegen.

      Herr von Gulbrow ruft die Sieger auf: „Thomas Themal!“ Lachend kommt der Student die Treppe herauf; schwarz und glatt sitzt der Smoking um seine breiten Schultern, das braune Gesicht strahlt, die Doppelreihe der prachtvollen Zähne blinkt.

      Droben steht auf einem Tischchen das Prunkstück des Klubs: der Silberne Pokal. Eingraviert darin die Namen vieler früherer Sieger, zweimal hintereinander Kossacks Name. Ein Pfropfen knallt. Ilse Jakoby füllt den Pokal mit Schaumwein und reicht ihn dem diesjährigen Sieger.

      „Ihr Ausweis, Herr Themal?“ schmunzelt der Präses.

      „Hier der Fuchsschwanz, Herr Major!“

      Leicht ist das Kleid der anmutigen Ballonführerin, blühend steigt der Hals aus dem Spitzenschaum des Ausschnitts. Aus Ilses Händen empfängt Thomas die funkelnde Trophäe – ferner eine goldene Klubmedaille zu seinen drei silbernen – letztens einen Gutschein über hundert Liter Benzin und zehn Liter Öl: Stiftung des Geheimrats Jakoby. Die Sitte verlangt es, dass Thomas Themal nun einen Trinkspruch sagt – unvermittelt ruft der Student: „Heil allen schönen, frischen Kameradinnen, die mit uns Seite an Seite über dem Motor streiten! Der Himmel bewahre eure weissen Hände vor Öl und Maschinenschmutz – er sende euch zur rechten Zeit einen guten Kameraden, der euch bei der Panne hilft – er bewahre eure zarten Glieder vor Sturz und Bruch. Allen braven Motorfahrerinnen trinke ich zum Wohl!“

      Er setzt den Pokal zu einem langen Schluck an die Lippen. Als nächster empfängt Ernst Kossack seine Medaille; viel eleganter ist er gekleidet als der jüngere Freund, doch mit Ingrimm sieht Kossack das schöne Siegesstück in die Hand des anderen übergehen. „Was soll ich sagen? Nicht Benzin treibt den ehernen Motor – unser Herzblut treibt ihn! Ich trinke auf das Motorrad – auf unsern eisernen Kameraden, um den wir nicht vergeblich werben, wenn uns nur das rechte Motorherz in der Brust schlägt. Also hinaus in die Welt, sonst ist das Leben nichts nütze –“

      Abermals hat das Dreigestirn der besten Fahrer den Sieg an sich gerissen: für zwei, drei Jahre behaupten die Dauersieger ihren Platz, dann stürmen neue und junge herauf und verdrängen die früheren Sieger. Dritte ist Thora Moebius.

      Mit der gleichen Anmut und Sicherheit, von der sie draufgängerisch und verwegen im Sattel der Maschine vorwärtsgetragen wird, steht sie jetzt in einem weissen Spitzenkleid. Jeder, der sie sieht, hält sie für ein junges, ungewöhnlich sportgestähltes Mädchen – aber Thora macht kein Hehl aus ihren dreissig Jahren. Auf den Spruch des Freundes antwortet sie mit einem Gruss an die Kameraden: „Der Himmel bewahre eure wilden Seelen. Geht nicht auf die Rennbahn, begnügt euch mit der Weite zwischen Wäldern und unter Wolken! Ihr Soldaten der Schnelligkeit – fahrt in Ehren überall dort, wo gute Strassen durch die schöne Welt eilen!“

      Schweigend und sinnend steht der Präses am Treppengeländer. Viele Gesichter sah er im Klub kommen und gehen. Was nach dem Kriege sich hier vereinte, ist meist treugeblieben. Aber was früher hier dem Motor huldigte – in jener Zeit, als man noch alle zehn Kilometer aus mitgeführten Flaschen Öl ins glühende Kurbelgehäuse giessen musste – die Kameraden jener Zeit sind fast alle verschollen und zersprengt: die einen sind grau geworden, haben Familie und Arterienverkalkung bekommen – die anderen liegen unter den Schlachtfeldern Europas und träumen dem Traum von der deutschen Freiheit nach ... Von Gulbrow gründete vor fast zwei Jahrzehnten den Deutschen Motorrad-Club – und zwar mit einem Regimentskameraden, Leutnant Gebhard, der während des Krieges im Luftkampf fiel. Dieser war das einzige Kind eines schwerreichen Industriekapitäns – und zum Gedächtnis des toten Sohnes wurde die wundervolle Villa


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