Bimini. Arnold Höllriegel

Bimini - Arnold Höllriegel


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er sich schließlich zwar nicht immer in den Hauptstraßen Europas und Amerikas zurechtgefunden hatte, aber immer im Urwald oder in der Wüste. Eines Tages kam er bestimmt am anderen Ende wieder heraus, mit einem verwirrten und zerstreuten Blick, mit der letzten seiner Pfefferminzpastillen zwischen seinen Lippen, mit den Händen in den tiefen Taschen seiner kornblumenblauen Hosen, und mit den denkbar genauesten Informationen in seinem Kopf über die letzten und interessantesten Ereignisse in diesem Urwald oder in dieser Wüste, zum Entzücken der Leser der »Ny Eidende« und der vierzig Weltblätter, die sich jeden Reisebericht Olaf Jaspersens sofort aus dem Dänischen übersetzen ließen.

      Jetzt, während er unsicher und wie in einem unruhigen Schlaf die Ringstraße kreuzte, zehnmal in Gefahr, überfahren zu werden und immer in der letzten Sekunde durch einen flinken Sprung, eine verwegene Wendung gerettet und am Leben erhalten, kam Olaf Jaspersen an einer Plakatsäule vorbei, auf der ein gewisses Plakat klebte. Das Plakat rief auf eine kotzengrob sentimentale Weise das Mitleid des »Goldenen Herzens« von Wien für hungernde Kinder an; es sollte eine große Tanzerei veranstaltet werden. Olaf Jaspersen blickte eben nur einen Augenblick hin, aber eine Woche später las man in »Ny Eidende« den wörtlichen Text dieses Plakates; Olaf Jaspersens Augen photographierten Objekte besser als eine Kamera, und sein Film bewahrte eine einmal belichtete Platte lange, lange auf. Verblüffende Wahrheit des kleinsten Details und unanfechtbar wahrscheinliches Lügen machten Olaf Jaspersens Artikel so ungemein lesenswert. Es war wie ein Kodak mit einer wilden Phantasie.

      Der große Reisende suchte die Kärntner Straße hartnäckig, aber vergeblich an einer Stelle, wo sie keineswegs einmündet, versuchte zweimal in schon besetzte Autos einzusteigen, ging mit der Absicht Rosen zu kaufen, statt in einen Blumenladen in ein daneben liegendes Papiergeschäft, kaufte aus purer Verlegenheit eine Kassette Briefpapier und ließ sie dann listig auf dem Tisch des Blumenladens stehen, sehr zum Vergnügen der kleinen Verkäuferin, denn es war ein sehr feines überseeisches Leinenpapier. Schließlich stieg Olaf Jaspersen, mit einem wunderbaren Rosenstrauß in der Hand, vor dem Haus Cottagegasse 14 aus einem Auto, keine Minute früher oder später als zu der Zeit, zu der zu kommen er der Frau Julia Amberg versprochen hatte.

      Während des Abendessens war Olaf Jaspersen sehr still, und er aß eigentlich nur von der Schokoladentorte. Julia bemerkte es nicht; ein Jahr früher hätte sie es ganz bestimmt bemerkt. Sie war überhaupt ganz anders geworden; jener Zug von leidvoller Sehnsucht war verschwunden, sie schien fester, selbständiger zu sein, ein klein bißchen laut. Das Gespräch kehrte immer wieder zu einem gewissen Film zurück, den Doktor Hofmann verfaßt hatte und dessen Hauptrolle Julia darstellen sollte. Olaf Jaspersen bat den Doktor Hofmann, ihm den Inhalt des Filmdramas zu erzählen, es hatte sieben Akte und war lang, etwas verwickelt. Jaspersen hörte mit dem höflichsten Interesse zu und verstand kein einziges Wort; er sah über seine Schokoladentorte hinweg den Erzähler an, der ein schöner, schwarzer Herr mit einem weichen Kinnbart und einem horngefaßten Zwicker war, im übrigen von angenehmen Manieren und intelligent. Der Däne sah ihn an, dachte: Liebt Sie ihn? Er fand die Antwort nicht, aber das sah er wohl, daß jener irgendeine Macht über Julia gewonnen hatte. Sie saß da, groß, ernsthaft, von weichen Umrissen. Ihre Haare strahlten wieder jene bläulichen Reflexe aus, die Olaf Jaspersen berauschten. Sie schien Doktor Hofmanns langer Erzählung mit fieberhaftem Interesse zu folgen, obwohl sie den Film längst kennen mußte. Olaf Jaspersen begann zu ahnen, daß es ihr nur um den Film zu tun war und nicht um den Mann, aber das tröstete ihn nicht. Die Leidenschaft in ihren Augen galt nicht ihm, das war genug. Sie würde ihn ruhig nach Grönland fahren lassen oder zu den Botokuden.

      Er sagte sofort nach dem Abendessen: »Leider werde ich mich bald empfehlen müssen, Frau Julia, mein Zug geht zeitig früh. Nun ich komme nach meiner Grönlandexpedition bald wieder nach Wien und werde mir dann gewiß gestatten – – – «

      Er sah sie durstig an. Sie sagte: »Aber Jaspersen, was für ein Unsinn!« Olaf Jaspersen betete: Wenn sie mich doch nicht reisen ließe, wenn ich mich doch geirrt hätte!

      Sie stand auf, legte ihm ihre Hand auf die Schulter, ergriff förmlich wieder Besitz. »Kommen Sie!«, sagte sie und zog ihn ins Nebenzimmer. Doktor Hofmann ging hinter ihnen drein, ein wenig verlegen.

      Das Nebenzimmer, Julia Ambergs berühmtes Sitzzimmer, enthielt Sitzgelegenheiten, nur Sitzgelegenheiten. Man konnte sich auf den Fußboden setzten, auf den phantastische Polster gelegt waren, oder auf ganz hohe Aussichtswarten, von deren lederbezogenen Höhe man die Beine herabschlenkern lassen konnte. Es gab Schaukelstühle, Diwane, Klubsessel, gepolsterte Ecken. Julia Amberg wußte sich am schönsten, wenn sie saß, sie brauchte weiche Lehnen, Armstützen, verstand es, mit einem edlen alten Lehnessel in einem guten Umriß zu verschmelzen. Der Doktor Hofmann hatte in dem Film lauter Szenen hineingeschrieben, in denen Julia sitzen mußte oder sich setzen. So schön ist sie, pflegte Olaf Jaspersen von ihr zu sagen, daß sie sogar gut aussieht, während sie sich niedersetzt; die wunderbarsten Frauen sind sonst in diesem Augenblick häßlich.

      Jetzt wählte Julia für sich den rechtwinkligen Diwan, der die Zimmerecke füllte; der Doktor Hofmann bekam einen Klubsessel, aber für Olaf Jaspersen wurde auf dem Teppich ein ganzes Nest gebaut, aus seidenen Daunenkissen und vergoldeten Polstern aus geschmeidigem japanischen Leder. Ein niederes türkisches Tischchen stand in der Reichweite seiner Hand, darauf Schalen mit Pralinés und einer Flasche des süßesten Likörs. Mit melancholischer Freude erkannte er, daß Julia es ihm behaglich machen wollte: Will sie doch, daß ich bleibe?

      Julia setzte sich, glitt herrlich auf den Sitz. Sie zündete sich eine Zigarette an und sagte:

      »So, lieber Jaspersen, jetzt werden Sie die ganze Nacht hier sitzenbleiben und erzählen. Schlafen können Sie auch morgen im Zug. Ich bin gewiß, Sie haben die interessantesten Dinge erlebt! Passen Sie gut auf, Hofmann, Sie werden Stoff für einen neuen Film bekommen!«

      Olaf Jaspersen griff zu den Pralinés. Er sah aus, wie ein müdes Kind, das unausstehliche Erwachsenen plagen. Muß im Salon hübsch gerade sitzen und Gedichte aufsagen. Möchte viel lieber fortlaufen und spielen. Um das zu kurze Näschen zuckte ein Wetterleuchten; man hatte diesen Urwaldforscher, diesen Augenzeugen von hundert entsetzlichen Schlachten mehr als einmal öffentlich weinen gesehen, wenn er Ärger erlitten hatte.

      Vielleicht bewahrte ihn diesmal der Doktor Hoffmann davor. Der zog sachlich eine Füllfeder, den etwaigen Filmstoff zu notieren. Die Literatengebärde hatte einen sonderbaren Einfluß auf Jaspersens Stimmung, sie behob ihm gleichsam die peinliche Realität seines Leides. Er sagte mit einem merkwürdigen Lächeln:

      »Filmstoff? Filmstoffe können Sie von mir kriegen. Auch zuviel. Warten Sie, wenn ich erst anfange zu erzählen, dauert es tatsächlich bis morgen früh!«

      (Er empfand: Morgen früh nach Grönland, irgendwohin, rasch. Sie wird mich nicht zurückhalten, sie braucht mich nicht. Da ich gerade hier bin, kann ich ihr ja vielleicht einen guten Filmstoff erzählen. Sie ist anders geworden, ich habe sie verloren. Ich glaube, die ganze Welt ist ihr nur noch ein guter Filmstoff, mit einer prächtigen Hauptrolle für Frau Julia Amberg. Gut. Sehr gut. Ich erzähle ihr jene Geschichte von Bimini, die ganze Nacht lang – .)

      »Oder wollen sie vielleicht vorlesen?« fragte Julia. »Haben Sie Ihre Reisebereichte schon an ihr Blatt geschickt?«

      »Ja,« sagte Olaf Jaspersen, »sie werden gewiß schon zu erscheinen beginnen. Eine Sensation, denke ich, meine Enthüllungen über die unglaublichen Zustände in Bimini.«

      »Bimini?« wunderte sich Doktor Hofmann.

      »Republica Federal de las Provincias Unidas de Bimini«, sagte Olaf Jaspersen. »Der jüngste der zentralamerikanischen Staaten. Nicht weiter erstaunlich, daß Sie ihn nicht kennen, hier in Europa weiß kein Mensch, was in Mittelamerika vorgeht. Aber doch, lesen Sie denn gar keine Zeitungen? In der letzten Zeit war Bimini sogar einigermaßen aktuell.«

      »Nie gehört«, beharrte der Doktor Hofmann. Aber Julia lächelte weise:

      »Ich schon. Ich kann Bimini sogar auswendig!«

      Sie richtete sich in ihrer Diwanecke auf, wippte mit dem Fuß, rezitierte halb singend Verse von Heine:

      »Auf der Insel Bimini

      Quillt


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