Bimini. Arnold Höllriegel

Bimini - Arnold Höllriegel


Скачать книгу
ist: die Sonne, das südliche Meer, ein Tropenwald und der Geschmack exotischer Früchte, mit einem Wort: das Paradies, nach dem wir alle verlangen, ohne es immer zu wissen. Ich ging nach Hause wie in einem Opiumrausch. Zu Hause war es sehr kalt und trotz der Kälte bissen die Wanzen sehr. Ich hatte eine Nacht voll schwerer Versuchungen und bestand sie nicht. Es ist so leicht, gegen sich selbst unanständig zu sein, und es rentiert sich so gut. Ich weiß in jedem Augenblick meines Daseins, daß ich gegen meine Natur lebe, aber – –

      Ich will es kurz sagen: am nächsten Morgen kaufte ich mir für meine letzten Cents Zeitungen. Irgend etwas in mir hoffte noch, es würde nichts darin stehen, kein überzeugender Anlaß, von »Ny Eidende« Geld für eine journalistische Reise zu verlangen. Aber mein Unterbewußtsein zweifelte nicht daran. Es war die erste Zeitung, die ich seit langen Monaten in die Hand bekam; es hätte nichts von Belang darin sein müssen. Aber nein; mein zufälliger Griff schlug sofort die richtige Stelle auf. Sogleich sah ich eine von den ungeheueren amerikanischen Überschriften:

      »Das Geheimnis von Bimini«

      Worin dieses Geheimnis bestand, konnte ich aus dem Artikel nicht ohne weiteres ersehen; offenbar war der Aufsatz der letzte einer langen Reihe und eine große Sensation bereits im Verklingen; jetzt erinnerte ich mich auch, daß im Theater von der Sache gesprochen worden war, ich hatte nur weggehört. In dem Artikel war von dem Morgan-Konzern die Rede und von dem Kupfertrust; nach der Ansicht des Verfassers sollten sie zu General Juan Iriarte, dem Diktator der Republik Bimini, in bedeutsamen geschäftlichen Beziehungen stehen. Warum aber Don Juan Iriarte fortwährend

      »Die Sphinx von Zentralamerika«

      genannt wurde und die Republik, die dieser Mann regierte,

      »Das Verschlossene Land«,

      das brachte ich nicht heraus. Die Angelegenheit war offenbar schon so viel besprochen worden, daß jemand, der die Zeitungen eifriger gelesen hatte als ich, das Problem jedenfalls schon kennen mußte. Die Lösung aber schien dem Kollegen den der New-Yorker-Presse, aus ihrem vagen Herumreden zu schließen, in keiner Weise gelöst zu sein; was immer es war, es war

      »Das grosse Rätsel«.

      Soviel war klar, in den lateinischen Tropenländern, nach denen meine Sehnsucht war, mußte es in diesem Augenblick eine sehr lohnende Aufgabe für reisende Journalisten geben, ein großes politisches oder weltwirtschaftliches Problem, dem die Presse vergeblich auf den Grund zu kommen suchte. Ich sah sofort, daß der große alte Mann Pedersen von der »Ny Eidende« entzückt sein müßte, wenn ich in diesem Augenblick plötzlich wieder auftauchte, und zwar gerade in diesem Bimini; der Kerl liebt solche exotischen Angelegenheiten mehr als den pikantesten Kopenhagener Scheidungsfall und ist ungeheuer stolz darauf, wenn einer seiner Mitarbeiter seine Nase in derartige Sachen steckt, die den Kopenhagener Spießer möglichst wenig angehen. Kein Zweifel, das Geld für diese Expedition war zu bekommen. Wenn ich meinen Herrn Herausgeber richtig kannte, hatte er verzweifelt ins Blaue herumgekabelt, um mich zu erreichen und mir die Reise nach Bimini vorzuschlagen. So grundwenig ich von der Sache bisher wußte, sie hatte den richtigen Geruch; der Zeitungsteufel, der sich da meine unsterbliche Seele wieder einmal kaufte, hatte sich nicht lumpen lassen und mir einen prächtigen Köder hingelegt.

      Wie ich nach Bimini gelangen sollte, den Präsidenten Don Juan Iriarte interviewen, das Geheimnis des verschollenen Landes enthüllen, die Sphinx von Zentralamerika enträtseln, das machte mir keine großen Sorgen. Unendlich viel schwerer war es, das kürzeste Telegramm an Pedersen zu schicken. Ich hatte keinen Heller mehr, und meine wöchentlichen elf Dollars sollte ich erst in zwei Tagen bekommen; dann aber mußte ich mindestens neun davon der Mrs. O’Rafferty geben, meiner Pensionswirtin. Ich war ihr viel mehr schuldig; keine Rede davon, daß sie mich etwa mit meinem Gepäck ausziehen lassen würde. Ich besaß noch einen anständigen Koffer; wenn ich mit ihm vor dem Astoria-Hotel vorfuhr, war alles in Ordnung, man kannte mich dort sehr gut und würde ohne den geringsten Verdacht den Wagen für mich bezahlen, das Geld für die Kabeldepesche auslegen und mir so lange Kredit gewähren, bis Pedersen Geld angewiesen haben würde. Aber das alles doch nur unter der Voraussetzung, daß ich mich in einem anständigen Winterrock, guten Schuhen und sauberer Wäsche präsentierte, und eben daran fehlte es. Wie mit einem imposanten, wenn auch leeren Schrankkoffer die Boardingspelunke der guten Deborah O’Rafferty verlassen? Auf welche Weise kreditwürdig aussehen? Ich trug einen meiner blauen Anzüge, aber schon sehr lange, und einen Sommerüberzieher, in dem ich zu schlafen pflegte, wegen der Kälte. Die Schwierigkeit schien unüberwindlich; ich gestehe, daß ich zuerst ganz verzweifelt war und ein wenig geweint habe.

      Dann setzte ich mich in meinem ungeheizten Zimmer nieder und schrieb eine Plauderei über das Ballett »Minne Haha«, schauerlichen Kulissenklatsch, aber voll jener »Inside Information«, die amerikanische Redaktionen lieben. Ich hoffte, das Gesudel irgendeiner Zeitung verkaufen zu können. In der Abenddämmerung trug ich das Manuskript zur »World«. Ich wählte gerade dieses Blatt, weil ich mich nicht erinnerte, irgendeinen seiner Redakteure zu kennen; in meiner fragwürdigen Kleidung mochte ich keinem meiner Bekannten begegnen. Aber der erste Mensch, dem ich auf der Stiege begegnete, war Lincoln C. Barter, der amerikanische Kollege, mit dem ich während der Spartakistenkämpfe in Berlin beisammengewesen war. Die Journalisten einer gewissen höheren Klasse, die Sonderberichterstatter der großen internationalen Presse, begegnen einander immer wieder auf allen Schauplätzen der Weltsensationen. Es besteht zwischen den meisten von uns gute Kameradschaft, obwohl wir lächerlicherweise gezwungen sind, untereinander einen wilden Konkurrenzkampf zu führen. Wir trachten, einander journalistisch zu schlagen, unseren Herren Herausgebern zuliebe; das hindert aber nicht, daß sich private Freundschaften anbahnen. Es ist wie in alten Söldnerkriegen, in denen die Condottieri der einzelnen gegeneinander fechtenden Despoten einander getreulich bekämpft, aber einander sonst nicht gehaßt haben. Es gibt eine besondere Freimaurerei der großen internationalen Spezialkorrespondenten; vom beruflichen abgesehen, vertragen wir uns sehr gut.

      Ich hätte dennoch keinen dieser Kollegen aufsuchen und um Hilfe bitten wollen. Barter war erst seit meiner Abkehr vom Metier von der »Evening Gazette« zur »World« übergetreten, sonst wäre ich dieser Redaktion nicht in die Nähe gekommen. Ich wollte als ein Unbekannter dem Subeditor einen Artikel über das neue Ballett verkaufen, ein paar Dollars verdienen und an Pedersen kabeln, nicht aber in meinem Aufzug einem alten und zähen Konkurrenten unter die Augen kommen. Da das Unglück einmal geschehen war und ich dem Kollegen begegnet, erzählte ich dem guten Barter eine lahme Geschichte: Ich hatte es einmal, mangels eines gescheiteren Einfalls mit dem »Slumming« versucht, hatte in den Elendsquartieren Studien getrieben, merkwürdige Berufe ausgeübt, zuletzt sogar Ballett getanzt, und hatte mir, der Echtheit wegen, die Brücken zur Rückkehr ein wenig zu gründlich abgebrochen. Da ich kein Geld hatte, um mich mit meiner heimischen Redaktion in Verbindung zu setzen, kam ich zur »World«, um ihr den Vorabdruck meiner New-Yorker Sittenbilder anzubieten.

      Man wird mir glauben, daß ich kein Wort von der Republik Bimini redete, obwohl ich gar zu gerne etwas über die Sache erfahren hätte. Wenn ich hinreiste, durfte dies niemand in New-York wissen. Ich stehe einigermaßen in dem Ruf, bei meinen Unternehmungen etwas auszurichten, und es hängen sich mir immer sehr gerne allerlei Kollegen an; ich bringe es dann einfach nicht fertig, sie abzuwimmeln. Sie wissen, wie furchtbar unbeholfen ich in solchen Dingen bin und wie wehrlos gegen falsche Freundlichkeit. Dann habe ich die Mühe, und fremde Blätter bekommen meine besten Nachrichten.

      Ich muß dem Kollegen Lincoln C. Barter das Zeugnis ausstellen, daß er keine Sekunde lang meine Geschichte glaubte. Das Herumschnüffeln in den Slums großer Städte ist gar nicht mehr modern und unter dem Niveau eines großen internationalen Reisereporters. Vermutlich nahm Barter ganz einfach an, ich wäre irgendwie auf Abwege geraten und verkommen und wollte ihn jetzt anpumpen. Gut, daß ich nicht von vorneherein versucht hatte, sein Mitleid zu erregen, ihm etwas von unverschuldeter Not oder dergleichen zu erzählen, er wäre sogleich mißtrauisch geworden und hätte eine journalistische Falle gewittert. So aber bewies er sich, wenn auch mit einigem Zweifel im Blick, als ein guter Kerl und Kamerad; er trug meinen Ballettartikel selbst zum Subeditor des »World« und kam mit einer Bestellung auf eine Artikelserie und einem Vorschuß zurück, der nicht nur für die irische Wirtin meines Wanzenpalais, sondern auch für anständige Kleider genügte. Ich zweifelte nicht


Скачать книгу