Bimini. Arnold Höllriegel

Bimini - Arnold Höllriegel


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Feuilletons über Meereseinsamkeit verfassend; denn als das Schiff ihn in La Libertad absetzen wollte, geschah das Unglaubliche: die Behörden der Republik Bimini ließen einen (naturalisierten) Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika durchaus nicht landen. Hesekiel überlegte, meine ich, während der unfreiwilligen Weiterreise nach Ecuador, was er über dieses Erlebnis schreiben sollte: er war in La Libertad oder wenigstens in der Hafeneinfahrt von La Libertad gewesen und konnte als Augenzeuge versichern, daß die Stadt ganz gewöhnlich und friedlich dalag, im Sonnenschein weiß erglänzend. Oder nein, sie sah eigentlich eher grau aus, doch gleichviel, von den Geheimnissen und Greueln, die in der schwülsten Phantasie des »Sunday Californian« spukten, hatte Hesekiel N. Fiedelboum, ein Augenzeuge, nicht das mindeste zu sehen bekommen. Man konnte das schon giftig herausarbeiten und trotz allem Mißgeschick den guten Sam Harris schwer ärgern. Angesichts dieser Möglichkeit ist der Heroismus, der kantische Wahrheitsfanatismus des begabten jungen Reporters der »Sunday Tribune« gar nicht genug zu preisen. Er setzte entschlossen auf das andere Pferd, bestätigte nach seiner Rückkehr aus Ecuador vollinhaltlich die Berichte der gestrandeten Seeleute (des »Sunday Californian« majestätisch schweigend) und erhob ein Gebrüll, daß die wirkliche große Presse endlich aufmerksam wurde. Jawohl, die Republik Bimini hatte düstere Geheimnisse und wurde ängstlich verschlossen gehalten; selbst Hesekiel N. Fiedelboum persönlich hatte nicht landen dürfen oder vielmehr nur auf ganz kurze Zeit, während ein höherer Staatsbeamter, vermutlich der Präsident Iriarte selbst, mit zwei gezogenen Revolvern neben ihm stand. Kein leeres Gewäsch mehr wie in gewissen minderwertigen Blättchen, sondern Tatsachen, Augenzeugnisse, von unserem eigens nach Bimini entsandten Extra-Spezial-Sonderkorrespondenten unter eigener Lebensgefahr gesammelt. –

      Von diesem Augenblick an wurde das Rätsel von Bimini zu einem Thema, der ganzen amerikanischen Presse. Im Lesesaal des »Astoria« vor hoch aufgehäuften Zeitungsstößen sitzend, verfolgte ich den Weg dieser journalistischen Sensation. Erst ein paar Notizen in den Blättern des Westens, zögernd und frostig, weil kein Journalist ein Problem liebt, auf das nicht er, sondern ein Konkurrent zuerst aufmerksam geworden ist. Dann im führenden republikanischen Organ Kaliforniens ein gewichtiger Leitartikel über Japans Machenschaften in der Nähe des Panamakanals, mit Hinweisen auf gewisse, bisher unwidersprochen gebliebene Berichte über seltsame Vorgänge an der Küste von Bimini. Dann Telegramme der Korrespondenten östlicher Zeitungen nach New-York, Chicago und Washington. Dann ein wahrer Wolkenbruch: Artikel und Telegramme scheffelweise. Bimini und die Binchos kamen einige Wochen lang in jedem Zeitungsblatt vor.

      Während die großen Redaktionen Sonderberichterstatter in die Häfen und an die Grenzen der geheimnisvollen Republik schickten oder wenigstens in die Nachbarländer, behalfen sich minder ehrgeizige oder ärmere Blätter mit geographisch-historisch-statistischen Artikeln über Bimini oder mit mehr allgemeinen Betrachtungen.

      Ich sonderte meinen großen Zeitungshaufen in Einzelhäufchen, positive Nachrichten, Allgemeines, Versuche, das Rätsel durch Nachdenken zu lösen.

      Zuerst suchte ich die Blätter heraus, die Korrespondenten nach Bimini entsandt hatten. Kein einziger war in das Land gelassen worden, ob sie nun, wie es die meisten versuchten, in La Libertad hatten landen wollen, oder ob sie von einem Hafen Nicaraguas oder Guatemalas aus zu Lande die Grenze der Binchorepublik erreicht hatten. Kein Zweifel, jede Grenze war auf das strengste bewacht und die Regierung von Bimini ließ keinen Fremden ins Land und keinen Einheimischen heraus. Die armen Korrespondenten konnten diese Tatsache nicht verhehlen, obwohl der eine oder andere so tat, als hätte er ja doch, wenn auch nur ganz kurze Zeit, in Bimini geweilt. Daß die Hafenstadt La Libertad silbergrau schimmernd im Sonnenschein träume, wurde in mehr als einem Artikel versichert, aber wenn das das ganze Geheiminis von Bimini war, schien mir die Bemühung meiner Kollegen eher schlecht belohnt.

      Keinem einzigen war es geglückt, über die Grenze der verbotenen Republik zu kommen; nahten sie sich zur See, gleich tauchte ein Polizeiboot mit der Bundesflagge von Bimini auf – Sonne, Mond, Sterne, eine Weltkugel, ein rauchender Vulkan und mehrere Adler, gelb, auf grauem Grunde – und ein Offizier in einer schönen, aber in den Farben diskreten Uniform verbot unter einem stets wechselnden Vorwand die Landung. Wer zu Lande an die Grenze kam, fand einen prächtigen neuen Stacheldrahtzaun und dahinter einige Gendarmen mit geladenen Flinten. Was hinter dieser Barriere vorgehen mochte, davon bekam keiner der nach Bimini entsandten Sonderberichterstatter die mindeste Ahnung.

      Ein wenig mehr Glück hatten sie bei ihren Erhebungen in den Nachbarländern. Sie begegneten zwar kaum einem einzigen Menschen, der in den letzten fünf Jahren in La Libertad oder in Ponce de Leon gewesen war, seitdem General Iriarte sich endgültig der obersten Gewalt bemächtigt hatte, gab es keinerlei Verkehr mehr zwischen Bimini und den angrenzenden Republiken. Der Verkehr war übrigens nie sehr rege gewesen, denn das Küstengebiet von La Libertad wird von allen Seeleuten wegen seiner Klippen gefürchtet, der Hafen ist schlecht und zu Lande liegen zwischen Bimini und der übrigen Welt Urwälder und Sümpfe. Ebendeswegen fällt es dem Schiffer auf, wenn er auf der Höhe der Binchoküste einem nach La Libertad steuernden fremden Schiff begegnet, oder dem Farmer, wenn an seiner Estancia vorbei ein Wagenzug gegen die Grenze von Bimini sich bewegt. So hatten die Korrespondenten die erstaunliche Nachricht erfahren, daß Bimini, so streng es sich gegen die Nachbarwelt abschloß, in den letzten Jahren immer wieder von geheimnisvollen fremden Schiffen und von Karawanen fremder Reisender besucht worden war. Irgendwelche Leute ließ der Präsident Iriarte also doch in sein Land und ließ sie es auch wieder verlassen. Sonst schickte er nicht einmal Gesandte in die Hauptstädte der anderen Staaten.

      Meinem Kollegen Lewis Sarsley von der »Chicago Post« war es indessen gelungen, echte Binchos zu interviewen. Es waren Emigranten von der vertriebenen Partei der Serviles, die sich nach Guatemala gerettet hatten. Sarsley hatte ein Gespräch mit dem Führer dieser Partei, dem General Escobar. Er hielt dem amerikanischen Journalist einen längeren Vortrag über die Niedertracht und Grausamkeit des Diktators Iriarte und versicherte, das freie Volk von Bimini würde den schnöden Tyrannen schon in den nächsten Wochen verjagen und die einzigen verfassungstreuen Freunde der republikanischen Freiheit wieder ans Ruder setzen, die bewährten Serviles. Das wollte Escobar durch indianische Spione erfahren haben, die er manchmal durch die Wälder nach Bimini schicke. Es schien, daß doch nicht das ganze Land mit Stacheldraht eingezäunt war.

      Sarsley fragte natürlich begierig, was die Spione über die Zustände in Bimini sonst erzählten. Aber General Escobar wußte entweder nichts oder hatte geheime Gründe, nichts zu verraten; der geriebene alte Gauner beantwortete alle Fragen mit neuen Tiraden über die Freiheit, das Sonne-Mond-Sterne-Weltkugel-Vulkan-Adlerbanner von Bimini und über die Vortrefflichkeit der Serviles. Nun ist dieser Lewis Sarsley ein findiger Bursche; es gelang ihm, in Guatemala einen jener indianischen Spione zu entdecken, von denen Escobar gesprochen hatte. Das gab einen sensationellen Artikel! Leider schien dieser Indianer, als er mit Sarsley sprach, zu viel Pulque im Leibe gehabt zu haben, denn was er über Bimini berichtete, klang vollkommen besoffen. Ein unerhörtes Gefasel von blauen Lichtern, gelben Soldaten und dem aztekischen Gott Quetzalcoatl! Der arme Sarsley konnte kein Wort von dem Unsinn verstehen und klammerte sich nur an die »soldatos amarillos«. Gelbe Soldaten! Ha, so waren Japaner in Bimini!

      Für einen großen Teil der Jingopresse galt das als erwiesen. Mir schienen die gelben Soldaten eher weiße Mäuse zu sein.

      Wer aber waren doch die geheimnisvollen Fremden in Bimini, deren Existenz auch Escobar zugab? Von Japanern hatte er nichts gesehen, dagegen hatten weiße Fremde, »Gringos«, an der Seite Iriartes gegen die Serviles gekämpft, damals vor fünf Jahren, als der Diktator die Freiheit von Bimini vergewaltigt hatte.

      Sarsleys Bericht war der einzige, in dem etwas Positives stand. Die anderen Korrespondenten hatten mit mehr oder weniger Talent die Tatsache verschleiert, daß sie nichts gesehen und nichts erfahren hatten.

      Mir schien es klar, daß in den Vereinigten Staaten selbst manche Leute mehr von den Geheimnissen von Bimini wissen mußten, als diese Sonderberichterstatter. Wer hatte denn den gewissen Stacheldraht bezahlt? Wer die diskreten Uniformen der biminesischen Hafenpolizei? Die Sache sah mehr als verdächtig aus; sie roch ordentlich nach einer großen und smarten Spekulation.

      Die Zeitungen schienen mir im Grunde vorwiegend der gleichen Ansicht zu sein. Ich ordnete die mehr betrachtenden


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