Bimini. Arnold Höllriegel

Bimini - Arnold Höllriegel


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muß leider annehmen, daß er sich dann betrogen und verraten fühlte; er wird wütend sein, wenn meine Artikel über Bimini aus Kopenhagen nach New-York gekabelt werden. Die »World« hatte sich sehr angestrengt, das Rätsel selbst zu lösen und Barter hätte sicherlich mit mir reisen wollen, wenn er geahnt hätte, was ich plante. Das hat er jetzt davon, daß er einem guten Freund aus der Not half. Ich schäme mich aufrichtig, weiß aber wirklich nicht, wie ich mich anders hätte aus der Sache ziehen können.

      Ich befriedigte meine Wirtin, kaufte mir einen Anzug und einen Wintermantel und fuhr fürstlich in einem Auto zum Astoria-Hotel. Dort ließ ich sogleich durch den Portier eine chiffrierte Kabeldepesche aufgeben. Ich besaß zwar nur noch ganz wenige Dollars, dafür aber das unbeschränkte Vertrauen der Hoteldirektion. Ich genoß das animalische Glück, wieder sauber zu wohnen und anständig zu essen. Ich ging nicht aus, schon um niemanden vom Theater zu begegnen, denn dem Ballett »Minne-Haha« war ich einfach durchgebrannt, auf die Gefahr hin, daß der dritte Huronenhäuptling mit der Friedenspfeife dem Publikum fehlte. Ich wartete ohne jede Unruhe die Antwort des Herausgebers der »Ny Eidende« ab.

      III. Das verschlossene Land

      Ich hatte mir sofort die in den letzten Wochen erschienenen wichtigsten Zeitungen besorgen lassen und benutzte die Tage des Wartens dazu, Näheres über das Rätsel von Bimini in Erfahrung zu bringen. Was die amerikanische Presse darüber veröffentlicht hatte, studierte ich mit der größten Aufmerksamkeit, denn ich wollte einen informierenden Artikel noch vor meiner Abreise von New-York an mein Blatt schicken.

      Die Zeitungen hatten in den letzten Tagen ungezählte Spalten mit Aufsätzen über die interessante Republik und ihren Diktator gefüllt; es war ihnen weder das bolschewistische Rußland, noch der neueste Zank zwischen Deutschland und Frankreich halb so wichtig, von Österreichs endlosen Nöten ganz zu schweigen. Es war aber leicht zu erkennen, daß hinter dem vielen Gerede über Bimini außerordentlich wenig positive Nachrichten steckten. Seitdem die Bimini-Frage plötzlich aktuell geworden war, hatten die Redaktionen aus Nachschlagebüchern und Reisebeschreibungen mühsam allerlei Berichte über diese herzlich unbedeutende kleine Land zusammengekratzt.

      Jede Zeitung hatte mindestens einmal erzählt, wie zur Zeit der Conquista Bimini von dem durch Heines Romanze berühmten Don Juan Ponce de Leon entdeckt worden war, der dort den Brunnen der ewigen Jugend suchte und den Tod fand. Es folgten lange und langweilige Abhandlungen über Biminis Schicksale unter der spanischen Herrschaft, von der das Land dann zugleich mit Mexiko befreit worden war. Es hatte darauf ganz kurze Zeit zu Iturbides phantastischem Kaiserreich gehört und war dann abwechselnd unabhängig oder eine Provinz benachbarter ebenso romantischer Republiken gewesen, allezeit beglückt durch Revolutionen und Bürgerkriege, Diktaturen, Präsidentenmorde, freiheitliche Verfassungen und die dazu gehörigen Massenhinrichtungen, angenehm variiert durch Erdbeben, Vulkaneruptionen und dergleichen. Die Einwohner, in Zentralamerika kurz los Binchos geheißen, waren offenbar das typische Gemisch aus degenerierten Spaniern und buntblütigen Urvölkern, das diesen Teil der Welt mit einem so erfreulich geringen Minimum an Arbeit und einem solchen Maximum an politischer Aufregung besiedelt. Die unteren Schichten waren unzivilisierte Indianer, meist von dem Stamm der Quiché, der noch einen Dialekt der alten Aztekensprache spricht und sich ein hübsches Bißchen ursprünglichen Heidentums zu bewahren gewußt hat; von den herrschenden Klassen schien nicht viel mehr auszusagen, als daß sie sich im Laufe einer verwickelten und an Katastrophen reichen Landesgeschichte als höchst kriegerisch im Frieden und als musterhaft friedfertig in den Schlachten erwiesen hatten. Sonst produzierte das Land Kakao, Zucker, Vanille, Campecheholz, Pulqueschnaps, gelbes Fieber und verblüffend viele Moskitos. In den letzten Jahren vor dem Weltkrieg hatte es wieder einmal unter dem Joch der Nachbarstaaten geseufzt, aber während der großen Wirren nach 1914 war es, ohne daß Europa oder selbst Nordamerika die Nachricht irgendwie beachtet hätte, wieder ein unabhängiger Bundesstaat geworden, La Republica de las Provincias Unidas de Bimini. Die neue Verfassung war die freiheitlichste der ganzen Welt und enthielt namentlich radikale Vorkehrungen gegen die Ursupation der Macht durch einen Diktator. Der Diktator und Tyrann von Bimini hieß Juan Iriarte und stand an der Spitze der historischen Freiheitspartei, der Liberadores. Die Partei, die gegen den Tyrannen kämpft, nannte man die Serviles; natürlich waren sie tot oder wenigstens verbannt. Das war alles, was Lexika und Reiseberichte über die Republik Bimini zu sagen wußten, und eigentlich war es zu viel, denn wen könnte um Gotteswillen so ein Land sonderlich interessieren?

      Die plötzliche und wilde Anteilnahme der nordamerikanischen Öffentlichkeit an Biminis Schicksalen entsprang, soweit ich feststellen konnte, einem Zufall. Ein Schiff einer Reederei von San Francisco hatte an der pazifischen Küste, nicht weit von La Libertad, dem Hafen Biminis, Schiffbruch gelitten; die Hafenbehörden hatten den armen Seeleuten wohl Beistand geleistet, sie aber während ihres kurzen Aufenthaltes in La Libertad merkwürdigerweise als Gefangene behandelt, nur mit verbundenen Augen durch die Stadt gehen lassen und dann schleunigst mittels eines Schoners an die Nachbarküste von Guatemala befördert; es war, als hätte man sie unbedingt verhindern wollen, Bimini zu sehen und die dortigen Zustände kennen zu lernen. Die Schiffsbrüchigen kehrten schließlich nach Frisco zurück; ihre sonderbare Geschichte wurde aber entweder nicht geglaubt oder doch nicht bedacht, bis sie Sam Harris zu Ohren kam, dem Herausgeber des »Sunday Californian«, eines sensationell gesonnenen populären Wochenblattes. Dieser Sam Harris, dem ich begegnet zu sein mich erinnere, muß in einem Augenblick gerade keine Mordgeschichte vorrätig gehabt haben, oder aber er besitzt wirklich jene einzigartige Witterung, die den wahren Journalisten eine interessante Sache erkennen läßt, wenn er ihr noch so beiläufig begegnet. »The Sunday Californian« machte den Bericht der gestrandeten Seeleute sensationell auf, mehr, Sam Harris verwandte viel Mühe und Scharfsinn darauf, nachzuweisen, daß seit mehreren Jahren keinerlei Nachrichten aus Bimini ins Ausland gelangt waren; diese Nachrichten hatten der Welt zur Zeit ihrer fürchterlichen internationalen Katastrophen auffallend wenig gefehlt. Aber das Erlebnis der Seeleute schien zu beweisen, daß die Regierung von Bimini, also der General Iriarte, aus irgendwelchen besonderen Gründen das Land künstlich von der Außenwelt abschloß. Was zum Teufel ging in der Republik Bimini vor? »The Sunday Californian« deutete dunkel, aber deutlich, deutsche oder japanische oder japanisch-deutsche Intrigen an und braute überhaupt aus dem vorliegenden Mangel an bestimmten Nachrichten eine sehr hübsche Pastete, wie ich als journalistischer Fachmann bestätigen muß. Indessen brachte Sam Harris seinen Artikel nur auf der zweiten Seite seines Blattes und wählte für die Überschrift zwar seine größten Lettern, bei weitem aber nicht seine allergrößten; die Sache beruhte bislang nur auf dem Geschwätz irgendwelcher Matrosen und war zwar eine ganz geeignete Sonntagslektüre für die Bürger von San Francisco, nicht mehr.

      Immerhin war die Angelegenheit interessant genug, den Ehrgeiz der »Sunday Tribune« zu reizen, die zum »Sunday Californian« in einem Verhältnis herzinniger Konkurrenz und Brotfeindschaft steht. Die beiden Blätter verwenden einen etwas unproportionierten Teil ihres wöchentlichen Papierquantums dazu, einander Lüge und Schufterei nachzuweisen; da der »Sunday Californian« seinen Aufsatz »Das Rätsel von Bimini« überschrieben und den Senior Iriarte zur »Sphinx von Zentralamerika« befördert hatte – der Name blieb hängen – war der scharfe Gegenartikel in der nächsten Nummer der »Tribune« ›Ödipus‹ gezeichnet; Ödipus löste die Rätsel dieser Sphinx ohne das geringste Nachdenken, es steckte natürlich gar nichts dahinter als die gehirnweiche Sensationsgier des berüchtigten »Californian« und die unglaubliche Dummheit, mit der er sich die Lügen besoffener Seeleute hatte aufbinden lassen.

      Das Gezänk, das nun folgt, hat für die Quellengeschichte des Bimini-Problems nur diese Bedeutung: Nathaniel C. Fiedelboum, der rührige Herausgeber der »Tribune« wurde durch treffliche Sarkasmen des »Californian« so weit gereizt, daß er wirklich und wahrhaftig einiges Geld an die dunkle Sache wandte. Es handelte sich übrigens nur um geringfügige Spesen, denn ich vermute jene Reederei, deren Schiff vor La Libertad untergegangen war, ließ sich, die Reklame bedenkend, unschwer dazu bewegen, den begabten jungen Publizisten Hesekiel N. Fiedelboum, einen Neffen des großen Nathaniel, gratis auf einem anderen Schiff ihrer pazifischen Linie nach La Libertad zu befördern. Er sollte später von dem aus Chile heimkehrenden Dampfer wieder ebenso gratis aus Bimini abgeholt werden, nachdem er die unerhörte Lügenhaftigkeit des »Sunday Californian« an Ort und Stelle erkundet haben würde.


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