Bimini. Arnold Höllriegel

Bimini - Arnold Höllriegel


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das Wasser der Verjüngung.

      Nach dem ew’gen Jugendlande,

      Nach dem Eiland Bimini

      Geht mein Sehnen und Verlangen;

      Lebet wohl, ihr lieben Freunde!

      Alte Katze Mimili,

      Alter Haushahn Kikriki,

      Lebet wohl, wir kehren nie,

      Nie zurück von Bimini!«

      Olaf Jaspersens höfliche Miene gefror und sah aus wie Himbeereis. Diese kokette Rezitation verstimmte ihn. Anders war Julia Amberg. Schon ganz eine Schauspielerin. Er setzte ein strenges Gesicht auf, als ein gestörter Erzähler.

      »Bimini«, sagte er, »liegt durchaus nicht nur in den gesammelten Gedichten von Heine, sondern es liegt unter dem fünfzehnten Grad nördlicher Breite und wird begrenzt von Guatemala und Honduras…«

      »Kleiner Vogel Kolibri,

      führe uns nach Bimini!«

      trällerte Julia und sah Olaf Jaspersen lächelnd an, so daß das Wort Kolibri wie ein Kosename klang. Olaf Jaspersen war zu schwach, um sich dieses Lächelns nicht zu freuen, aber er wußte, daß er Julia verloren hatte.

      »Gut, nach Bimini!« sagte er, und niemand konnte den Seufzer hören.

      Er erzählte die ganze lange Nacht, in seinem weichen Nest aus vergoldeten Kissen, zu Julia Ambergs Füßen, während der Doktor Hofmann für einen fabelhaften Sensationsfilm Notizen machte.

      II. Führe uns nach Bimini

      Ich war in New-York, erzählte Olaf Jaspersen, und hatte meinen Beruf aufgegeben, diesen sonderbaren Beruf, Dinge zu erleben, um sie dann niederzuschreiben. Ich fühlte mich damals allein und unglücklich, ich sage nicht, weswegen. Ich dachte: muß ich außerdem noch ein Reporter sein? Ich kann einige andere Dinge viel besser, zum Beispiel tanzen.

      Ich gab meinen Beruf auf, weil ich in der Laune war, mein ganzes bisheriges Leben aufgeben zu wollen. Ich hörte plötzlich auf, der »Ny Eidende« Berichte zu schicken, da hörte sie auf, mir Geld zu schicken. Ich zog aus dem Hotel Astoria aus, nahm ein Zimmer in einem billigen Boardinghouse, schrieb keinem Menschen meine Adresse. Dann hörte ich auf, Zeitungen zu lesen. Gerade als mein letztes Geld ausging, fand ich ein Engagement im Ballett der Metropolitan-Oper. Elf Dollars wöchentlich. Ich tanzte, als Hurone kostümiert. In dem indianischen Ballett »Minne-Haha«, nach Longfellows Hiawatha, braun angestrichen, mit Federn auf dem Kopf und einer Friedenspfeife in der Hand. Ich tat es nicht ungern, weil ich nicht gezwungen wurde, nachher die Impressionen eines Indianerhäuptlings lebendig zu beschreiben. Nur elf Dollars wöchentlich waren wenig. Ich bin immer so ein Schwein, so oft ich ein neues Leben anfange, stört mich die Erinnerung, daß ich im alten Leben meine gehaßte Redaktion anständige Diäten zu zahlen pflegte. Es ist im Grunde lächerlich, weil ich doch eigentlich sehr gut tanzen kann. Hätte ich nur mit Geduld ausgehalten, gewiß hätte man mir schließlich fürs Tanzen so viel bezahlt wie fürs Schreiben. Plötzlich wieder aus der Vergessenheit auftauchen, ein weltberühmter Tänzer sein, mich von allen Kollegen interviewen zu lassen, welch ein Traum! Ich, Olaf Jaspersen, hätte ich den Reportern gesagt, bin ich selbst, in tausend Masken ich selbst, in Millionen Gesten ich selbst, das heißt: ich tanze. Ich lehne es ab, fortwährend von Dingen zu erzählen, die mich nichts angehen, von Attentaten, Kongressen, Kriegen und Ausstellungen. Ich erzähle fortwährend von mir selbst, das heißt: ich tanze. Das mit dem Schreiben, hätte ich dem Interviewer gesagt, wäre noch nicht so arg, wenn man fortwährend von sich selbst schreiben dürfte. Nur der Tänzer hat das Recht, stets den Gegenstand auszudrücken, der doch jeden Menschen einzig und allein interessiert, sein durch die eigene Haut begrenztes absolutes Königreich –

      Aber für elf Dollars wöchentlich bekommt man zu wenig Bohnen mit Speck und zu viele Wanzen. Vielleicht hätte ich es ausgehalten, und nächstens versuche ich es bestimmt wieder, nur ein Zufall machte mich von neuem zum Journalisten.

      Es geschah an einem Winterabend, an dem »Minne-Haha« nicht gegeben wurde. Ich saß in meinem kläglichen kleinen Zimmer im Osten und weinte, nicht aus Heimweh oder sonst einer Sentimentalität, sondern einfach, weil mir kalt war; wenn ich friere, muß ich immer weinen. Ich hatte noch fünfundsiebzig Cents und überlegte, ob ich mir davon etwas Kohle kaufen konnte. Ich ging auf die Straße, aber der Kohlenhändler hatte schon geschlossen. Ich kam an einem Kino vorbei; da löste ich mir die billigste Eintrittskarte und trat ein, nicht weil mir nach einer Kinovorstellung verlangte, sondern weil das Kino sicher gut geheizt sein würde.

      Drinnen wurde es mir auch wirklich wunderbar warm, und nicht nur wegen der Zentralheizung. Das Filmbild an der weißen Wand strahlte Sonnenlicht aus, die herrlichste tropische Sonne. So verdrossen ich eingetreten war, der Film fesselte mich vom ersten Augenblick an; einen so schönen, einen so natürlichen glaubte ich noch niemals gesehen zu haben. Das Abenteuerstück, das man vorführte, hieß »Der Schleier der Soledad Ramon«. Es spielte irgendwo im spanischen Amerika und war sicherlich an Ort und Stelle aufgenommen worden, weder vor den Leinwänden eines Ateliers, noch in einer der Filmstädte Kaliforniens, wo es zwar echte Sonne und echte Palmen gibt, wo sie aber zivilisiert und in ein ordentliches Grundbuch eingetragen sind. – Nein, die Szenerie dieses Films war echt bis in die kleinste Einzelheit; das war der wirkliche Urwald, der wirkliche Alligatorensumpf, ein wirklicher Vulkan. Die Illusion war vollkommen; man meinte, die Handlung müßte sich wirklich zugetragen haben. Diese Handlung war romantisch genug, romanhaft sogar, eine Geschichte von wilden Räubern, wilden Bestien, Dolchen, Mord und Eifersucht, aber wirklichen Lebens voll, von einer frappierenden, einer hinreißenden Wahrheit im kleinen und einzelnen. Diese Frau, die Heldin, Soledad Ramon, schien keinen einzigen Augenblick Komödie zu spielen, oder vielmehr immer, wie es eine schöne Frau eben tut; – wenn sie aber auf dem Theater Komödie spielen oder vor dem Kinoobjektiv, dann pflegen sie befangen zu sein und ganz gewöhnlich natürlich zu werden, darum ist alle Schauspielerei so unecht. Diese Frau auf der weißen Wand ließ mich die Existenz aller weißen Wände vergessen; ich sah ihre Schicksale und erlebte sie mit, bangte, wenn sie in Gefahr war, triumphierte, wenn sie gerettet wurde – von einem schönen, dunklen, heldenhaften Mann, der mit ihr durch dieses Stück Leben schritt; wie ein naiver Bauernjunge hätte ich in die Vorstellung hineinschreien wollen, warnen, jammern oder frohlocken, so eng verband ich mich mit den Erlebnissen der Soledad Ramon. Kannte ich nicht ihre ganze Seele? Wenn Sie in tausend Gefahren, in ihrer bunten, heißen Heimatwelt diese sprechenden Augen aufschlug, bedurfte ich keiner erklärenden Inschrift. Was sie mit ihrem männlich schönen Schicksalsgefährten sprach, war deutlich gesprochen ohne Laut. Welch ein Zusammenspiel, welch ein Ausdruck, welch eine große, große Künstlerin! Diese Frau hätte es verdient, der berühmteste Filmstar der Vereinigten Staaten zu sein; aber ich erinnerte mich nicht, ihren Namen jemals gelesen zu haben, noch auch den der »Mirador Company«, der Filmgesellschaft, deren Produkt nach dem Zettel dieses erstaunliche Kinodrama war. Entweder eine ganz neue Gesellschaft, oder eine, die jede Kunst meisterhaft verstand, nur nicht die der Reklame.

      Ich saß da und starrte die göttliche Tropenlandschaft des Films an, Lianengestrüpp, Kolibris, besonnte Estancias, grell belichtete Adobehäuser unter Palmen. Eine tolle Sehnsucht nach all der bunten Welt überkam mich. Olaf Jaspersen, sagte ich mir, mußt du denn wirklich in dieser gräßlichen großen Stadt sitzen, in einem verwanzten Boardinghouse bei zehn Grad Kälte? Olaf Jaspersen, weißt du nicht mehr, wo deine Seele zu Hause ist? Warum ruhst du nicht auf einer von Palmen beschatteten Veranda, warum blickst du nicht auf eine blaue und diamantene Meeresbrandung? Mußt du unbedingt Bohnen und Speck essen, statt Bananen und Mangopflaumen? Rede dir nichts vor, Bananen und Mangopflaumen sind dir lieber! Und dabei weißt du doch sehr gut, wie du dazu gelangen könntest, noch am Ende dieses kalten Monats irgendwo in einer paradiesischen Tropenlandschaft auf einem sehr bequemen Lehnsessel zu liegen; du müßtest nur morgen früh im Depeschenteil des »New York Herold« nachsehen, in welchem Teil Südamerikas jetzt gerade eine Revolution stattfindet, und morgen nachmittag an »Ny Eidende« in Kopenhagen telegraphieren, daß du im Begriffe bist, eine ungemein interessante Expedition nach Bolivien anzutreten oder nach Ecuador; kein Zweifel, daß dir Pedersen sofort das nötige Geld kabelt.

      Vielleicht hätte ich der Verlockung


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