17. Mike Müller-Reschreiter

17 - Mike Müller-Reschreiter


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Freundlichkeit.

      „Was soll ich schon vorhaben?“, weiche ich ihr aus.

      „Na, wenn du dich so sehr über Vaters Abwesenheit freust, dann steckt doch die ein oder andere Dummheit dahinter!“ Sie kennt mich zu gut.

      „Ach Quatsch, da steckt keine Dummheit dahinter, ich freue mich nur, dass es in den nächsten Wochen etwas ruhiger sein wird.“

      „Ruhiger?“, plärrt sie entsetzt. ‘Weiber!’, denke ich pubertär. Dass die immer alles so genau wissen wollen.

      Gekonnt spielt sie auf das schwierige Verhältnis zwischen unseren Eltern an, das sich in den letzten Tagen zugespitzt hatte. Sie stritten sich immer häufiger, lauter und intensiver. Wir wissen nicht, worum es genau geht, doch es erschüttert uns ungeheuerlich. Ich verdränge das, so gut ich kann, und gebe den Entspannten.

      „Wird schon nicht so wild sein“, wische ich das Thema fort und widme mich meiner schon lange geplanten geheimen Operation. Vielleicht hat meine Taktik, Erikas Fragen auszuweichen, gefruchtet. Irrtum!

      Sie verstummt und erstarrt zu Stein. Dann kullern die ersten Tränen über ihre weichen Wangen und ich will mir am liebsten in den Hintern beissen. Das Projekt muss also verschoben werden. Heulsusenalarm!

      Vorsichtig setze ich mich neben Erika, lege meinen Arm um sie und ziehe sie fest an mich heran. „Schwesterlein, das habe ich nicht so gemeint, tut mir leid.“ Erika schluchzt. Sie stammelt unter Tränen, wie sehr sie es verletzt, wenn sich Vater und Mutter streiten. Dass sie es bald nicht mehr aushalten würde.

      Ich versuche, so behutsam wie möglich, sie davon zu überzeugen, dass es wohl ganz gut wäre, wenn Vater und Mutter sich eine Zeit lang nicht sehen würden. Vielleicht würde sich dann alles wieder beruhigen. Vater und Mutter müssten einsehen, wie sehr sie sich mögen und alles würde wieder so werden, wie es mal war.

      Meine Schwester beruhigt sich wieder. Dennoch fällt es ihr schwer einzuschlafen. Sie wälzt sich im Bett hin und her. Das Holz knarrt und quietscht, und ich bete, dass sie doch endlich einschlafen möge. Als ich mir sicher bin, dass Erika tief und fest schläft, ziehe ich ganz sachte an der Schublade meines Nachtschränkchens.

      Darin habe ich den Plan für mein neues Flugzeug versteckt, welches mit einem von mir entworfenen Düsenantrieb noch diesen Sommer aufsteigen soll. Den Rumpf, die Tragflächen sowie das Leitwerk habe ich schon fertig.

      Lediglich das Fahrgestell und die Anbringung der beiden Düsentriebwerke stellen mich noch vor ein kniffliges Problem. Es würde auch eine äußerst schwierige Aufgabe werden, das Schwarzpulver zu bekommen, welches dem Flieger den nötigen Schub verleihen soll. Mit meiner Taschenlampe leuchte ich vorsichtig auf die Skizze. Erika scheint weiter fest zu schlafen aber doch sehr unruhig und störend.

      Plötzlich knarrt es im Treppengang. Flugs schalte ich die Lampe aus, stecke sie mit der Skizze unter meine Bettdecke und stelle mich schlafend. Die Tür zu unserem Zimmer geht auf, das Licht vom Flur scheint hinein, und ich erkenne Vater, wie er einen prüfenden Blick ins Zimmer wirft. Als er die Tür wieder schließt, warte ich noch ein paar Minuten und knipse dann die Lampe wieder an.

      Ich will noch einmal alles genauestens überdenken, wie ich an das Schwarzpulver gelangen könnte. Wie ich die Düsen an den Tragflächen befestigen würde, damit keine Gleichgewichtsprobleme auftreten würden, damit sich der Flugkörper nach dem Start nicht spiralförmig in den Boden bohrt.

      Doch je mehr ich darüber nachdenke, berechne, mir es bildlich ausmale, es verkommt zur Nebensache. Meine Gedanken schweifen immer wieder dahin zurück, als Erika zu weinen begonnen hatte.

      Diese Tatsache, der Unfrieden innerhalb meiner Familie, speziell zwischen meinen Eltern, steht fest und breit im Raum. Erika ist sensibler als ich, älter und versteht wohl mehr, worum es geht. Mich betrifft das noch nicht so sehr, denn ich habe den Kopf mit lauter Flausen voll, eifere schon die ganze Zeit auf die beginnenden Sommerferien hin und habe schwer daran zu arbeiten, mich bei meinen gewagten, außerschulischen Aktivitäten nicht erwischen zu lassen.

      Aber jetzt, nach dem Anblick meiner verheulten Schwester, mache ich mir doch den einen oder anderen Gedanken darüber, was zwischen meinen Eltern nicht stimmen könnte. Ich war gerade mal elf, fast zwölf Jahre, da befasst man sich nicht damit, ob die Eltern Differenzen haben oder nicht. Hinzu kommt, dass ich beim Jungvolk bin, wodurch ich viel Zeit mit meiner Gruppe verbringe, deren stolzer Jungvolkführer ich bin.

      Das hat einige Aufgaben inne, die erfüllt werden müssen. Meistens komme ich also erst am frühen Abend nach Hause und bin dann so müde, dass ich gar keinen Sinn mehr habe, um Spannungen in meinem Elternhaus zu registrieren.

      Mehr und mehr begreife ich jedoch nun die Situation, in der wir alle stecken. Es ist gar nicht auszudenken, wenn Vater und Mutter sich trennen würden. Was könnte die Wurzel allen Übels sein? Meine Mutter ist doch eine sehr schöne Frau, umgänglich, liebevoll, umsorgend und tolerant. Sie meckert zwar hin und wieder, aber den Hintern hat sie mir noch nie versohlt. Vater hingegen ist wie ein Dachbalken: kerzengerade, eckig und hart!

      Der Schlaf will und will mich nicht holen in jener Nacht. Meine Gedanken kreuzen sich, schneiden sich, überspannen und zerren an den Nerven. Dass Vater so lange von zu Hause weg sein würde, ist gleichfalls eigenartig wie auch großartig.

      Bis auf drei, höchstens fünf Tage am Stück, war er aber noch nie weg gewesen. Da steckt doch mehr dahinter, als er uns glauben machen will?

      Ich möchte schlafen. Genervt darüber, dass ich um solch eine gottlose Zeit mir das Hirn zermartere über etwas, was ich nicht ändern kann, ziehe ich meine Daunendecke über den Kopf. Durch den Zimmerboden dringen Stimmen herauf. Dumpf drücken sie sich nach oben und klingen durch die Decke in meine Ohren. Es sind die meiner Eltern.

      Eindeutig vernehme ich die raue maskuline Stimme meines Vaters, die immer lauter zu werden scheint. In diese leicht kratzende Stimme mischt sich der glasig dünne Klang meiner Mutter. Auch sie wird nun lauter und schraubt sich in höhere Tonlagen. Dann schieben Stühle über das geraute Parkett.

      Ich steige aus dem Bett und lege mich flach auf den Boden, drehe meinen Kopf nach links und presse mein rechtes Ohr dicht ans Holz. Aber durch die Dämmungen der Decke dringt nichts klar Verständliches, woraus ich etwas schließen könnte. Also erhebe ich mich und sehe nach, ob Erika immer noch schläft oder ob sie der Lärm bereits aufgeweckt hat und sie sich nur schlafend stellt.

      „Pst, Erika, bist du wach?“, flüstere ich in ihre Richtung. Sie gibt keine Antwort. Sie scheint immer noch tief und fest zu schlafen. ‘Vielleicht ist es auch besser so’, denke ich. Die Taschenlampe liegt noch in meinem Bett, so dass ich sie schnell zur Hand habe. Vorsichtig leuchte ich das Zimmer aus, um meine Wollsocken zu suchen.

      Ich habe sie, wie den Rest meiner Sachen, auf den Stuhl neben dem Kleiderschrank gelegt. Als ich sie mir über die Füße gezogen habe, schleiche ich mich zur Tür. Mit angehaltenen Atem drücke ich die Klinke herunter. Mucksmäuschenstill ziehe ich die Tür einen schmalen Spalt auf und zwänge mich hinaus auf den oberen Flur. Nun dringt der Lärm aus der Wohnstube ungefiltert von unten zu mir herauf. Mein Herz rast wie wild. Es schmerzt schon fast, so wie das Blut durch meine Adern wallt. Behutsam setzte ich einen Fuß vor den anderen. Ganz sachte!

      Ich kenne jene Dielen, welche lose sind und bei der kleinsten Berührung einen verräterischen Lärm machen würden. So vergeht etwas an Zeit, bis ich den Treppengang erreicht habe. Dort hocke ich mich nieder und spitze meine Ohren. Nun kann ich jedes Wort klar und deutlich vernehmen, welche sich meine Eltern einander zuwerfen. Mein Blick schweift ständig zwischen der Zimmertür und dem Treppenaufgang, während ich mich anstrenge, die Diskussion meiner Eltern zu verfolgen.

      „Warum?“, kritisiert meine Mutter.

      „Warum?“, wirft mein Vater verständnislos zurück.

      „Warum hast du mir nichts davon erzählt?“, setzt Mutter hartnäckig nach.

      „Weil ich dir nicht alles auf die Nase binden muss“, entgegnet Vater harsch.

      „Ich bin deine Frau, ich habe das Recht alles zu erfahren, was die


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