17. Mike Müller-Reschreiter
silbern eingefasst. Ein schmaler Kerl mit Silberblick und mit für sein Bohnengesicht zu kurzer Nase.
Bevor dieser Mensch an uns heran tritt, wirft er einen prüfenden Blick ins Häuschen. Der Anblick verärgert ihn offenbar, da es ihm einen leisen Fluch entlockt. An der Ordnung im Häusel kann es ja nicht liegen, ergo muss der Posten fehlen.
Als er dann vor uns steht, ringt er sich ein gequältes Begrüßungslächeln ab. Seine Ausstrahlung ist kalt wie Eis im Winter. Seine Gesichtszüge wirken eingefroren, auch wenn er lächelt. Er stellt sich uns als Hauptsturmführer Bartels vor. Seine Stimme ist tief und hat einen unüberhörbaren bayrischen Akzent, welcher sich der strengen Aussprache nicht so recht anpassen will. Er verlangt die Herausgabe unserer Pässe, inspiziert diese derart genau, dass ich ihn schon in Gedanken darin versinken sehe.
Als auch der letzte Zweifel zerstreut ist, weist er uns an, ihm zu folgen. Durch das ominöse Tor hindurch, einen Korridor entlanglaufend, der beidseitig mit Unmengen an Stacheldraht gesichert ist, kommen wir zu einem Gebäude, das fast schon verloren inmitten eines riesigen Platzes steht. Schräg dahinter stehen in einiger Entfernung langgezogene Baracken, die sich dicht an dicht aneinanderreihen.
Die Größe sowie die Weite erschlägt mich förmlich. Alles ist auf das Penibelste gepflegt, sauber und akkurat angeordnet. Wohin man seinen Blick auch schweifen lässt, man erblickt Drahtverhaue, hohe Laternenmasten, Wachtürme, die wie Hochhäuser aussehen, und jede Menge Uniformierte, welche über das Gelände patroullieren.
Doch bis jetzt habe ich keinen einzigen dieser unzähligen gefährlichen Strafgefangenen zu Gesicht bekommen. ‘Vermutlich ist dieses Lager erst kürzlich erbaut worden und man muss die Gefangenen erst alle herbringen’, gebe ich mir gedanklich eine Antwort darauf. Mit meinen Kinderaugen betrachtet, ist es ein Abenteuer, ein unheimliches, jedoch auch ein Beeindruckendes.
Vater hingegen läuft nur stur vor sich hin, immer dem Hauptsturmführer folgend. Er wendet seinen Blick weder nach links noch nach rechts, scheint völlig unbeeindruckt von allem. Seinen Hut salopp auf dem Kopfe tragend, den Koffer in der Hand, läuft er dem Uniformierten hinterher, fast so, als wolle er in einem Hotel absteigen.
Wieder müssen wir warten. Diesmal im Gebäude, auf einer geschwungenen braunen Holzbank. Das Innenleben dieses Gebäudes ist spartanisch eingerichtet, aber es ist hell, mit vielen Fenstern, durch die das Sonnenlicht hineinflutet. Glatt polierte Steinböden, in denen es spiegelt, einsam verwaiste Schränke aus edlem Holz, die sich an hohe Wände schmiegen. Ein paar klobige Gobelins. Jeder Schritt hallt, jeder Ton schallt.
Da sitzen wir dann, ich gaffe zu Vater rüber, der in sich gesunken dahockt und keinen Ton von sich gibt. Diese Stille ist kaum noch zum Aushalten. Wo führt er mich denn hin? Warum? Fragen, die ich mir stelle, die eigentlich schon fast Vorwürfe sind. Ich beiße mir auf die Zunge und habe schwer damit zu kämpfen, Vater nicht mit den Fragen zu konfrontieren, die gegen meinen Schädel hämmern wie die dumpfen Schläge von Pflöcken in einer Stahlschmiede.
Die Warterei hat ein jähes Ende, als sich eine der großen Türen öffnet und ein Offizier der SS, dessen Uniform dem Tadellosen noch eins oben aufsetzt, zu uns in den Flur heraustritt. Beide stehen wir vor dem großen Kerl stramm. Natürlich darf der Hitlergruß nicht fehlen, den ich ja aus dem Effeff beherrsche. Das findet man wohl recht beeindruckend. Mein Vater hingegen hat damit schwer zu schaffen.
„Ihr Sohn?“, möchte der Offizier von meinem Vater wissen. Vater nickt verhalten, versucht sich ein Lächeln abzuringen. „Strammer Bursche, Ihr Sohn! Der kommt bestimmt mal zur SS, wenn er alt genug ist“, prophezeit der Kerl, fast so, als sei mein weiteres Leben bereits verplant und beschlossen, von A bis Z.
Der Offizier bittet meinen Vater in sein Büro. Ich aber muss draußen warten, was mich sehr verärgert, nachdem man mich zuerst so hoch gelobt hat. So eine Uniform würde an mir auch ganz gut aussehen, stelle ich mir vor, und sehe mich schon darin herumstolzieren wie ein bunter Pfau. Wie ich damit die Mädels in der Volksschule beeindrucken könnte. Aber was würden erst Heinz und Werner für Augen machen, wenn ich mit solch einer Garnitur bei ihnen vorbeischauen würde? Die würden wohl platzen vor Neid.
Diese Gedanken flattern mir durchs Hirn bei meinem Versuch, die Zeit totzuschlagen, weil mein Vater eine halbe Ewigkeit in diesem Büro zubringt. Ich laufe den Flur auf und ab, spähe durch die Fenster auf den großen Hof. Vielleicht bekomme ich ja einige dieser Verbrecher zu sehen? Doch der Platz ist wie leergefegt. Nichts, außer Wachsoldaten, welche in der Sonne lümmeln und Zigaretten rauchen.
Immer wieder stiere ich zur Tür hin, hinter der mein Vater mit dem Offizier sitzt. „Mensch, die haben aber viel zu besprechen“, murmele ich vor mich hin.
Die Wachsoldaten, welche gerade noch ganz entspannt auf einer Pritsche saßen, sind auf einmal davongesaust. Als hätte sie der Hafer gestochen, rennen sie mit ihren Karabinern quer über den Hof in Richtung der Baracken, die ich bei meiner Ankunft gesehen habe. Kurz danach knallen Schüsse. Ich fahre zusammen, rutsche auf den Boden und presse mich an die Wand. Im selben Moment fliegt die Bürotür auf und der Offizier schnellt wutentbrannt und wie ein Kutscher fluchend an mir vorbei zur Ausgangstür.
Mein Vater ruft mich, doch ich will, kann mich nicht vom Boden losreißen. Weitere Schüsse platzen, hallen von draußen ins Gebäude. Es bricht ein regelrechter Wirbel aus, der mich tief ins Mark erschüttert. Vater brüllt mich an, ich soll endlich vom Fenster wegkommen. Ich sehe, wie er auf mich zu gerannt kommt, wie in Zeitlupe streckt er seine langen Arme nach mir aus. Dann packt er mich mit seinen drahtigen Händen am Nacken und zieht mich ins Büro.
„Setz dich und verhalte dich ruhig“, sagt er mir mit zitternder Stimme.
„Was passiert denn da, Vati?“, stottere ich schockiert.
„Sei still, Harry!“, befiehlt mir Vater nur und blickt, blass und angespannt, zum Flur hinaus.
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