Mond über Beton. Julia Rothenburg

Mond über Beton - Julia Rothenburg


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Aber Burak war ja eh so ein kleines Püppchen, als er zur Welt kam. Oh, ist der süß. Was für lange Wimpern. Scheiß lange Wimpern hatte das kleine verschlagene Ding.

      Also noch mal, etwas zoomen, alles startklar, das rote Lämpchen ist an. Jetzt ist zwar was von seinem Bett auf der anderen Seite der Wand zu sehen, aber besser als Rosa.

      Barış kämmt sich wieder durch die Haare, rückt die Kette zurecht. Ist die Beleuchtung korrekt? Ja, passt alles.

      Was er jetzt macht, hat er noch nicht hundert Prozent drauf, aber er wird immer besser: gucken wie Kaan.

      Aufgepasst, Leute, heute zeige ich euch –

      Nein, das klang scheiße. Ist nicht einfach, den richtigen Ton zu treffen. Aber wenn man’s einmal raushat. Einfach lässig, einfach lässig gucken, Haare richten, Schultern nach hinten.

      Hey Leute, heute zeige ich –

      Hey Leute, ich bin Barış und voll die Schwuchtel, und ich zeige euch heute, wie ich meinen –

      Verpiss dich, sagt Barış, aber Burak denkt gar nicht daran. Spastet auf seinem Bett rum und glotzt immerzu rüber. Hat sogar die Tür offen gelassen. Man hört, wie irgendwer im Hausflur einen Trolley über den Boden zieht.

      Mach ruhig weiter, ich stör auch gar nicht.

      Ich versuch, hier zu drehen, also verpiss dich.

      Gib Kohle, dann geh ich.

      Barış greift zur Hantel, der leichtesten, und wirft sie, na klar bringt das Armmuskeltraining was, ein schöner Bogen ist das, sie kracht auf das Bett, direkt neben Buraks Fuß.

      Bist du behindert?

      Burak hechtet rüber und versucht, ihm die Faust in den Bauch zu rammen, aber Barış kann niemand so leicht was. Er kennt Buraks Tricks. Hat er ihm doch selbst beigebracht. Damals, als er noch nicht so coole Freunde hatte, als er noch heulend auf seiner Mädchenseite saß. Und dann liegt die kleine Ratte schon mit dem Gesicht in den Teppichflusen.

      Jetzt verpiss dich endlich.

      Ich erzähl’s baba, sabbert Burak in den Teppich und strampelt ein bisschen, und Barış lässt los, und da rennt sie, die Ratte.

      Baba, baba, jammert Barış in die Kamera.

      Das rote Lämpchen blinkt noch immer. Barış muss seine Haare neu machen. Und wohl ziemlich viel rausschneiden. Toll, wenn er das heute fertigkriegen will, hat er jetzt echt Stress. Aber seine Follower warten zu lassen, das geht gar nicht, da verliert man sofort alle Abos. Weiß er auch von Kaan.

      * * *

      Stanca steht im Flur und weiß nicht, wie viel Uhr es ist. Die Uhr, die Küchenuhr, ist kaputt, stehengeblieben um drei Uhr fünfzehn in der Nacht, aber jetzt ist es hell, gleißendes Hell von draußen, und im Bad rauscht es.

      Jonas hat die Badezimmertür nicht geschlossen. Wohl vergessen, das kleine, sorglose Jüngelchen. Bestimmt aufgewachsen irgendwo, wo man die Badtür offen lässt. Wo man den Vater und die Mutter nackt den Flur entlangwieseln sieht, die nackten Körper voller Stolz. Studierte Eltern bestimmt, so sieht das Jüngelchen aus. Aber selbst ganz große Augen, ganz große Ohren. Schleicht in der Wohnung rum, schleicht um alles herum und glotzt.

      Vielleicht sind alle Männer so, bevor sie zu Männern werden. Erst alles glotzend in sich aufsaugen, und dann.

      Entschuldigen Sie, wo ist denn das Klopapier?, fragt Jüngelchen.

      Ob er auch ein großer Mann sein wird? Ein Mann, der ein Mädchen. Der ein Mädchen hierherbringt?

      Alexandru hieß ihre erste Liebe. Auch noch ein Junge damals, auch so schlank, auch so glatte Haut, dunkle Augen, Zottelkopf, Segelohren zwischen den Haaren. Weil er Rumäne war, konnte das nichts werden. Und dann kam der Deutsche. Und dann kam Deutschland, Berlin. Das Kottbusser Tor, erst der Altbau, keine Toilette in der Wohnung, Putz, der bröckelte, Wände, die aussahen, als hätte da jemand. Und dann kam die Wohnung im NKZ, die richtige, die, in der sie sterben wird, wenn es so weit ist. Sie denkt: Wenn ihre Eltern sie früher besucht hätten, nicht erst nach der Wende, als sie schon hier wohnten, im Neubau, dem riesigen mit der frisch gekachelten Toilette, ein echter Luxus, mehrere Zimmer. Die Eltern hätten nicht so geguckt. Die Eltern hätten sich nicht so fremd gefühlt. Die Eltern wären vielleicht auch umgezogen, nach Deutschland Deutschland Deutschland, wären nicht wieder zurückgegangen ins Dorf in der Nähe von Hermannstadt, in dem sonst keiner mehr lebte, alle waren sie ja nach Deutschland gegangen und dort gestorben. Ein Schlaraffenland, hatte der Vater gesagt, das runzelige Gesicht noch verzogen, runzeliger geworden im Angesicht von diesem wunderschönen Beton, diesem Lebensbaum in der Mitte vom Kotti. Schlaraffenland. Mädchen, hier gehörst du hin, hier hast du es gut. Heinrich hatten sie umarmt. Und er hatte sie herumgeführt. Hatte ihnen ein Gästezimmer organisiert. Natürlich, bei ihnen in der Wohnung zu wohnen, das wäre nicht standesgemäß, das machen die Deutschen nicht. Sobald die Eltern weg waren, holte er ihn wieder heraus, den roten Pimmel, so viel Arbeit, leg dich hin, Sabinchen.

      Stanca, du kannst mich duzen, sagt Stanca zum Jüngelchen. Dass der so höflich nach einer Rolle Toilettenpapier fragt. Herzallerliebst ist das, der Knabe, blond wie sie früher. Na ja, nicht richtig blond. Die werden ja auch immer brauner, färben sich passend zu Berlin. Genau wie sie, farblos ist sie geworden wie der Beton, den sie so liebte, damals. Neben, auf, unter dem sie sich von Heinrich lieben ließ, sie weiß gar nicht mehr, was sie sich gedacht hat, immer wieder, hach, hatte Heinrich da gelacht, mein kleines Sabinchen, da hab ich mir ja einen jungen Grashüpfer, so ein Mann wie ich.

      Stanca, sagt Stanca, ich heiße Stanca.

      Jüngelchen guckt ganz herzallerliebst, Grashüpfer, riesige Augen.

      Bitte bitte, sagt Stanca, und: Da drüben sind sie. Da irgendwo.

      Jüngelchen macht die Tür zu, diesmal richtig, sie hätte ja auch nicht gucken wollen, nicht bei so einem Jungen, wer ist sie denn. Ihre Zeit, längst vorbei. Älter als das Haus ist sie. Damit verwachsen. Wie ein Zehennagel eingewachsen, umschlossen von Haut, poröser Haut. Entzündete Zehennägel, an jedem Fuß hat sie einen. Zum Arzt ist sie ja nie gegangen.

      Stanca steht im Flur und weiß nicht mehr, welcher Tag heute ist. Ach doch, ein Klopfen geht durchs Haus, langsam wie der Herzschlag. Heute ist Versammlung.

      * * *

      Heute ist sie ganz merkwürdiger Stimmung. Irgendwie grau, aber nicht mal das richtig, eher unentschlossen, als wäre selbst diese trübe Farbschicht nur oberflächlich aufgetragen, ist doch eh alles egal, so fühlt sich das an, scheiß auf jede Farbe, obwohl doch sonst alles Sonne ist und blau, Schwäne glücklich im Kanal, nicht am Rand. Am Rand dafür viele Touris, halbnackte Typen, irgendwo ein Ghettoblaster. Sogar die Omas, die mittags im Rewe einkaufen, waren besser gelaunt als sonst, minimal zumindest.

      Ist vermutlich so, weil sie heute nicht in Onkel Mutlus Laden gearbeitet hat, sondern nur im Rewe. Da piept es ja ganz anders, und andauernd kriegt sie Telefonnummern von irgendwelchen Hipstern zugesteckt, auf Kassenbons geschrieben und einmal sogar auf eine Packung Deutsches Rind. Sonst käme sie ja auch nicht dazu, ab und an mal woanders zu übernachten. Weg von Onkel Mutlu und den vielen Augen, die im Haus aus den Wänden starren. Aber nach den ersten Dates wird es immer schnell langweilig, darum macht sie so was nicht oft.

      Aber so: An den Tagen, an denen sie nur im Rewe arbeitet, fehlt einfach was. Und da kriegt sie dann gleich so eine Wut, wenn am Kanal jemand denkt, er müsste mit seinem Ghettoblaster alle im Umkreis von tausend Metern mitbeschallen. Und dann fängt auch noch irgendein Volldepp an, Saxofon zu spielen. Aber selbst ihre Wut ist ja trübe. Irgendwo reinschlagen wäre jetzt gut, aber den Arm dafür heben: keinen Bock.

      Wenigstens ist Burak nicht am Kanal, zumindest hört sie nirgendwo seine Stimme, oder sie überhört sie wegen des Saxofons. Dafür kommt ihr schon wieder so ein Milchknabe entgegen, gemächlicher Schritt in seinem Hipster-Parka, bleibt viel zu lange an ihr kleben mit seinem Blick. Dann erst sieht sie den Kinderwagen. Ach nee. Kind haben und dann trotzdem so gucken. Schaut zu ihr hin und dann wieder weg, während die eine Hand den Kinderwagen schiebt, als wäre der nur ganz zufällig


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