Mond über Beton. Julia Rothenburg

Mond über Beton - Julia Rothenburg


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es sein können, oder Schaufensterpuppen.

      Der Typ ist fast bei den Stufen, der Fußweg dort ist eng. Aylin geht etwas schneller, will vor ihm da sein, ein paar Äste knacken. Sie kann jetzt als fleischiges, rosa Etwas ein Gesicht hinter dem Netzstoff des Kinderwagens erkennen.

      Der Typ bleibt stehen, genau da, wo der Weg am engsten ist. Vorbei kommt sie jetzt nicht mehr.

      Bleibt sie eben auch stehen, patt. Die Reifen des Wagens kratzen auf dem Boden herum, kratzen sich bedrohlich ihrem Fuß entgegen.

      Hallo, sagt der Typ. Guckt immer noch so komisch. Er lässt sich Zeit beim Gucken, erst ihren langen, offenen Mantel runter, dann hoch. Dann zu seinem Kinderwagen zurück, als fiele ihm der erst jetzt wieder ein. Das Kind schweigt und glubscht daraus hervor wie eine Porzellanfigur.

      Süßes Kind, sagt Aylin. Total schnuckelig.

      Ja, äh, sagte der Typ, blonde Fussel von Bart sorgsam über das Gesicht verstreut. Das Kind, eigentlich eher Baby, hinter dem Sichtschutz bläst die Backen auf.

      Tja, sagt Blondie.

      Tja, sagt Aylin. Bisschen eng hier.

      Also wenn ich dann –

      Der Junge deutet an ihr vorbei.

      Aha, na klar. Als ob sie jetzt zur Seite treten würde. Nee. Aylin rammt die Beine in den Boden.

      Weißt du, sagt sie. Ich bin ja selbst, nun ja. Sie fasst sich an den Bauch, streicht einmal darüber, wie man das so macht. Der Typ checkt das natürlich nicht, muss mit seinem Blick erst ein paarmal ihrer streichelnden Hand folgen, hoch und runter, jedes Mal glotzen seine Augen etwas mehr heraus.

      Ah, sagt er dann. Oh.

      Ich überlege, ob ich – na ja. Ist ja schon schwer, eine Entscheidung. Man könnte es bereuen, wenn man das jetzt. Ist ja schon süß, also so ein – haaach, ich weiß doch auch nicht, was ich –

      Ich wusste gar nicht, dass –, sagt der Junge und schaut zu ihrem Bauch unter dem Mantel, dann hoch bis zum Hals, wo der Mantel eine Naht zu ihrem Gesicht bildet, dann wieder zurück auf ihren Bauch.

      Also, dass man das bei euch. Dass das erlaubt –

      Ja, sagt Aylin. Ihr Bauchstreicheln hat wohl etwas Hypnotisches. Selbst das Baby stiert ohne Wimpernschlag durch den Netzstoff.

      Dürfte ich vielleicht mal, fragt Aylin und deutet auf das Netz.

      Oh, sagt der Junge. Äh.

      Nur um zu schauen, wie –

      Ja, sagt er. Ja klar.

      Das königliche Baby trägt einen Baumwollstrampler und ein kleines Mützchen, das ihm wie eine Bratpfanne auf dem Kopf sitzt, und sabbert ganz unköniglich. Der Junge hält es ihr hin mit ausgestreckten Armen. Das Baby baumelt daran und sagt nichts. Lässt nur die Beine hängen. Dann sperrt es doch den Mund auf, gähnt.

      Aylin stopft sich das Baby in die Armbeuge, wiegt es hin und her. Wow, sagt sie. Was da alles dran ist!

      Stimmt aber auch wirklich. Und schwer ist das Ding. Dabei aber irgendwie leblos, wie ein Fleischsack, warm zwar und mit beweglichen Knochen, aber ohne Sinn.

      Ja, haha, sagt der Typ und streicht sich über den Bart. Nicht mal ein Knistern macht das wie bei einem richtigen Bart. Er kratzt sich hinter den Ohren. Noch blitzen seine Augen.

      So mit allem Drum und Dran, sagt sie. Fantastisch!

      Der Typ hat sich an ihr festgesaugt mit den Augen, oder an dem Baby, wer weiß das schon.

      Aber braucht man das alles?, fragt Aylin.

      Wie, äh?, sagt der Typ.

      Na ja, gehen kann es ja ohnehin nicht oder, da sind doch die Beine im Großen und Ganzen. Kann man die abschrauben, ich meine, bis sie gebraucht werden?

      Ah, haha, sehr witzig, sagt Blondie und lacht hysterisch. Ja, also ausprobiert hab ich’s nicht, aber meine Freundin, also vielleicht, haha, abschrauben, witzig.

      Sehr süß, sagt Aylin.

      Die Augen vom Baby sind groß und viel zu farblos.

      Und jetzt mach mal Ah, sagt sie zu dem Baby. Ah! Aylin bleckt die Zähne.

      Das Baby spielt mit und sperrt den Schlund auf.

      Äh, sagt der Typ.

      Jetzt ist er also da, der Punkt, auf den Aylin gewartet hat. An dem die Stimmung kippt.

      Die Augen fallen dem Typ fast heraus aus dem weißen Gesicht. Also ich muss dann, sagt er, tritt unbehaglich einen Schritt nach vorne.

      Ja, du hast aber einen Riiiesenmund, sagt Aylin zum Baby. Was da alles reeeinpassen würde.

      Das Baby lacht keckernd. Im Babyschlund sind keine Zähne. Fleischig ragt nur ein Vorsprung hinein, wo die mal rauswachsen sollen, eine fleischige Düne vor schwarzem Abgrund. Baby strampelt im Arm, will näher ran an sie mit seinem Schlund. Aylin lässt das Baby in ihren Armen wackeln. Das Baby kreischt vor Vergnügen.

      Der Blonde guckt wie ein Fisch.

      Aylin lässt ihn noch kurz zappeln. Dann sagt sie:

      Hier hast du’s wieder, und drückt dem Typen das Baby in den Arm. Muss los.

      Sie lässt sich Zeit, sie spürt genau, wie sein erschrockener Blick ihr folgt. Der Dramatik wegen lässt sie ihre Haare ein wenig im Wind flattern. Sonne auf offenen Haaren, mit diesem Blick dran.

      Mehmet sagt ja immer: Wenn du so was machst, Aylin, kriegst du das früher oder später zurück. Aber wenn sie Mehmet das von grad eben erzählt, der lacht sich tot.

      Sie muss sich nicht umdrehen, sie weiß auch so, dass Bübchen glotzt, bis sie hinter dem nächsten Busch verschwunden ist. Gleich schon viel besser so ein Tag.

      Aylin atmet Straßenluft und lacht.

      * * *

      Barış zoomt. Ist gar nicht so einfach durch das Fenster. Über die Balustrade hinweg. Vielleicht sollte er rausgehen, sich direkt dort hinstellen. Andererseits, am Ende kommt noch irgendein Spacko auf die Idee, ihm die Kamera abzuziehen. Für die hat er lange genug gespart. Okay, war nicht alles gespart. Er weiß ja, wo Aylin ihr Geld versteckt. Wird er natürlich zurückzahlen, Ehrensache. Wenn das YouTube-Geld kommt, das erste. Wenn er Anzeigen schalten kann, Product Placement. Wenn er 100 000 Klicks hat, oder so, so wie Kaan. Wenn er ein Eightpack hat. Ein bisschen was sehen kann man ja schon.

      Barış zoomt ran, erst auf den Alki, der schon wieder auf dem Dach der Bushaltestelle steht und rumgrölt, sein Bier auf Touris runterschüttet, die zurückweichen und dabei so tun, als mache ihnen das nichts aus. Nein, wir machen hier nen Bogen, weil wir sowieso lieber woanders langlaufen wollten.

      Haha, Story.

      Aber den Alki hat er schon mal hochgeladen, kam nicht so gut an, ist ja im Grunde genommen auch langweilig, wie der da oben rumspastet. Einmal hat er auf die Bushaltestelle gekotzt, die Kotze lief am Glas runter, bröckelige Bahnen, das hatte schon was. Geile Optik, hatte jemand in die Kommentare geschrieben, gerade mit den Stücken an der Parship-Werbung.

      Barış zoomt direkt auf Buraks Hinterkopf vor den Hinterköpfen seiner Loserfreunde. Wie die da rumlungern, direkt in der Nähe von irgendwelchen Touris. Manchmal geht einer aus dem Pulk von Buraks Freunden hinüber, redet mit den Hipstern. Aber es passiert nichts.

      Wenn nicht bald was passiert, wird das schon wieder kein guter Content. Genau wie das Video vorhin. Hat er immer noch nicht hochgeladen. Rosa Wand und so. Eh egal.

      Barış filmt näher an Burak ran und wartet.

      * * *

      Ario mag das Gefühl, wie die Junkies zurückweichen, wenn er kommt. Tun die eigentlich bei keinem, außer bei der Polizei, ansonsten: stehen da und sabbeln ganz selbstvergessen ihre Geschichten in ihre Gesichter hinein. Dass man daran die Junkies erkennt, das wusste er schon als kleiner Junge. Auf die Wangenknochen muss man achten. Wusste


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