Der neue Sonnenwinkel Staffel 3 – Familienroman. Michaela Dornberg
wo er mir freundlicherweise die Kette auf mein Fahrrad gemacht hat. Heute sind wir uns auf dem Markt begegnet, haben uns ein wenig unterhalten, und weil euer Vater plötzlich weg musste, habe ich ihm angeboten zu kochen und euch hereinzulassen und zu warten, bis er wieder nach Hause kommt. Was geschehen ist, das nennt man hier bei uns Nachbarschaftshilfe. Und auf Hilfe ist euer armer Vater angewiesen. Ich finde euren Vater sehr nett, doch ich bin nicht an ihm als Mann interessiert. Habt ihr das verstanden?«
Sie wartete überhaupt keine Antwort ab.
»Und selbst wenn ich es wäre, dann würde ich mir das verkneifen, wer will schon einen Mann mit zwei so unausstehlichen Kindern haben wie ihr es seid. Niemand. So, und nachdem das nun geklärt ist, kommt bitte herunter, sonst wird das Essen kalt.«
Angela drehte sich um, ging aus dem Zimmer, den Flur entlang, die Treppe hinunter. Sie hatte keine Ahnung, ob und welche Wirkung ihre Worte auf Maren und Tim gehabt hatten. Sie schämte sich beinahe ein wenig, weil sie ihnen ganz schön die Meinung gesagt hatte. Aber vielleicht war das die Sprache, die sie verstanden.
Eine Weile geschah nichts, sie überlegte bereits, ob sie noch einmal hinaufgehen sollte, als sie ein Gepoltere von der Treppe hörte, und wenig später kamen Maren und Tim zu ihr, als sei nichts geschehen.
»Setzt euch«, befahl Angela, und dann servierte sie den Kindern das Essen.
»Und Sie essen nichts mit uns?«, erkundigte Tim sich leise und blickte verlangend auf eines seiner Lieblingsgerichte. Das sah ja lecker aus, und es roch so gut.
Vielleicht war es gemein, doch Angela sagte unwirsch: »Mir ist der Appetit vergangen.«
Sie hatte nicht mit den Kindern essen wollen, daran hatte sie nicht einen Augenblick gedacht, weil sie und ihre Mutter immer erst abends die Hauptmahlzeit zu sich nahmen. Doch das musste sie den Kindern nicht sagen.
Tim blickte betroffen auf seinen Teller, doch dann begann er, mit Appetit zu essen, und Angela hörte ein begeistertes: »Boah, ist das lecker.«
Man sah Maren an, dass sie mit sich kämpfte, dann sagte sie: »Tut mir leid, Entschuldigung.«
»Entschuldigung angenommen«, sagte Angela großzügig, dann kochte sie sich einen Kaffee. Dagegen würde der Hausherr ganz bestimmt nichts haben. Mit ihrem Kaffee setzte sie sich zu den Kindern an den Tisch, und es kam sogar eine Unterhaltung in Gang. Angela freute sich, dass beide Kinder einen Nachschlag haben wollten, und es blieb sogar noch etwas für den Vater übrig. Ratatouille konnte man gut aufwärmen.
Nach dem Essen wollten die Kinder wieder nach oben laufen, doch weil die Stimmung gerade gut war, schlug Angela vor, dass man doch gemeinsam ein paar Umzugskartons auspacken konnte.
Tim blickte unschlüssig drein.
Maren war voller Abwehr.
»Ihr könntet eurem Vater damit eine große Freude machen«, meinte Angela, »ich finde, das hat er verdient.«
Noch zögerten sie ein wenig, doch dann trauten sie sich nicht, dieser Frau zu widersprechen. Die war ganz schön autoritär aufgetreten. Da hielt man sich besser zurück, außerdem hielt sie nicht viel von ihnen. Es war an der Zeit, ihr das Gegenteil zu beweisen.
»Okay, wir sind einverstanden«, sagte Maren und antwortete gleich für ihren Bruder mit.
Das war ein Sieg auf der ganzen Linie, Angela konnte es kaum fassen, sie bedankte sich bei den Kindern, und dann ging sie noch einen Schritt weiter. Die beiden durften sich aussuchen, welchen Karton, und davon gab es einige, sie zuerst auspacken wollten.
Auch wenn sie anfangs missmutig gewesen waren, so machte es ihnen schließlich sogar Spaß, und das lag in erster Linie daran, dass Angela alle ausgepackten Gegenstände in verschiedenen Fremdsprachen benannte, nicht nur in Englisch und Französisch. Das beeindruckte die Kinder. Sie wollten die Worte unbedingt nachsprechen. Das war manchmal gar nicht so einfach, weil es da so manchen Zungenbrecher darunter gab. Und wenn diese schwierigen Worte falsch ausgesprochen wurden, gab es ein großes Gelächter.
Sie lachten gerade wieder als Dr. Bredenbrock nach Hause kam. Er blieb ganz verblüfft mitten im Raum stehen. Da er wusste, wie seine Kinder derzeit drauf waren, hatte er die schlimmsten Befürchtungen gehabt, und nun herrschte hier eitel Sonnenschein.
»Es gibt ja doch die Heinzelmännchen«, rief er.
»Die hat die Angela bestellt«, kreischte Tim vergnügt.
Peter Bredenbrock musste sich erst einmal setzen. Was hatte er da verpasst? Seine Kinder packten aus und hatten sogar Spaß dabei. Wie oft hatte er sie vergebens gebeten, ihm zu helfen. Und dann sprach Tim auch noch von Angela, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt, eine Fremde beim Vornamen zu nennen.
Ein wenig irritiert blickte er zu Angela. Doch die bekam das nicht mit. Sie packte gerade eine Bronzefigur aus, hielt sie in die Luft und erkundigte sich: »In welcher Sprache sollen wir beginnen?«
Sie lachten, sprachen durcheinander.
Peter stand auf, erkundigte sich: »Und was kann ich tun?« Er hatte zwar Hunger, doch das konnte warten. Er konnte sich überhaupt nicht daran erinnern, seine Kinder so vergnügt gesehen zu haben.
Was hatte Angela Halbach mit ihnen gemacht? Wenn sie da ein Zaubermittel hatte, das musste sie ihm unbedingt verraten.
*
Inge Auerbach ging gern zum See, doch sie entwickelte nie den Ehrgeiz, ihn in Windeseile rekordverdächtig zu umrunden. Das überließ sie anderen. Und wenn sie ganz ehrlich war, dann machte sie meistens spätestens nach der Hälfte einen Stopp und kehrte um. Inge wusste, wie gut körperliche Bewegung war, doch in ihrem Herzen war sie eine Couchpotatoe, und sie redete sich immer heraus, im Haus genug herumzulaufen. Das tat sie allein schon, um ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen.
Da waren ihre Eltern ganz anders, die gingen bei Wind und Wetter hinaus, deswegen waren sie vermutlich für ihr Alter auch noch so fit und hatten selten Erkältungskrankheiten und andere Infekte, mit denen sich die meisten Menschen herumschlugen, wenn das Schmuddelwetter kam und sich einer bei dem anderen ansteckte. Um nicht angesteckt zu werden, brauchte man ein gutes Immunsystem, und das hatten ihre Eltern. Frau Dr. Steinfeld war stets des Lobes voll, sie waren Vorzeigepatienten, bewegten sich viel, ernährten sich bewusst, vermieden negativen Stress, hatten eine positive Lebenseinstellung.
Ja, an ihren Eltern sollte sie sich ein Beispiel nehmen, sie schlug hier und da leider mal über die Stränge, und negativen Stress, den wollte sie nicht mehr haben. Es hatte ihr gereicht, was der mit ihr gemacht hatte, als Pamela nach Australien gegangen war.
Inge schüttelte die Gedanken ab, die sie wieder einholen wollten. Es war vorbei, sie musste nach vorne blicken. Und sie wollte auch sofort mit den guten Vorsätzen beginnen und mehr als nur den See zur Hälfte umrunden. Es war ein wunderschöner Weg, man musste nur den inneren Schweinehund überwinden.
Inge stand bereits an der Tür, als ihr Telefon klingelte. Einen Augenblick lang überlegte sie, es einfach ignorieren sollte. Doch dann siegte ihr Pflichtbewusstsein. Es konnte ja ein wichtiger Anruf sein. Also ging sie zurück und meldete sich.
Der Anrufer war ihr Werner, und das wunderte Inge allerdings ein wenig. Sie hatten sich doch erst nach dem Frühstück liebevoll voneinander verabschiedet.
»Hervorragend, dass du zu Hause bist, mein Herz«, rief er und war bestens gelaunt, das war nicht zu überhören. »Ich befinde mich gerade im Reisebüro, und es gibt unglaublich gute Angebote für Städtereisen. Was interessiert dich mehr – Rom, Lissabon oder London?«
Inge musste sich erst einmal setzen.
Ihr Werner war wirklich für alle Überraschungen gut!
Dass er in ein Reisebüro gehen wollte, das hatte er mit keinem einzigen Wort erwähnt. Er hatte ein paar Besorgungen machen wollen und einen alten Bekannten treffen.
Weil sie nicht sofort antwortete, drängte Werner: »Inge, es geht um das nächste verlängerte Wochenende. Da fahren deine Eltern doch zusammen mit unserer Pamela nach Berlin. Und was sollen wir da allein zu Hause sitzen?