Der neue Sonnenwinkel Staffel 3 – Familienroman. Michaela Dornberg
auch bald Geschichte sein. Doch darüber wollte sie jetzt nicht nachdenken. Dieser Tag war wirklich ein besonderer und durfte nicht mit negativen Gefühlen befrachtet werden.
»Okay, Susanne, ich werde mit Alma reden, und wenn sie keine Lust hat mitzukommen, dann komme ich eben allein. Es ist wirklich ein Tag, der gefeiert werden muss. Schade, dass ich Robertos Gesicht nicht sehen kann, wenn du ihm die freudige Nachricht überbringst.«
Ein weiches Lächeln umspielte Susannes Lippen.
»Roberta, du kennst ihn doch, er ist ein sensibler, gefühlsbetonter Mensch. Er wird außer sich vor Glück sein, mein Roberto, und er wird sich seiner Tränen nicht schämen.«
Sie umarmte Roberta.
»So, jetzt muss ich aber wirklich zu meinem Mann«, rief sie, dann lief sie zu ihrem Auto.
Im Augenblick fuhr Susanne nur mit ihrem Auto davon und verschwand sehr bald aus ihrem Blick. Wie lange würde es wohl dauern, bis sie den ›Seeblick‹ für immer verlassen würden?
Das konnte schnell gehen, denn die Vorbereitungen waren ja längst schon getroffen.
So, wie Roberto für seinen Laden gekämpft hatte, hätte Roberta nicht für möglich gehalten, dass er alles so schnell aufgeben würde. Sie hätte allerdings auch Stein und Bein geschworen, dass die Münsters, dass Marianne von Rieding und ihr Carlos Heimberg niemals diesen wunderschönen Herrensitz samt der beeindruckenden Ruine Felsenburg aufgeben würden, doch nicht für ein Leben auf einer Ranch in Arizona. Sie hatten es getan, alle, und es schien ihnen nicht einmal schwergefallen zu sein, Altes, Tradition gegen Neues, Austauschbares einzutauschen, und das hatte bestimmt nichts damit zu tun, dass Sandra Münster durch eigenes Verschulden bei diesem schrecklichen Autounfall ihr ungeborenes Kind verloren hatte. Vielleicht aber doch, wer konnte das schon sagen. Jeder hatte für alles, was er tat, seine Gründe.
Welchen Grund gab es eigentlich dafür, dass sie sich entschieden hatte, das Doktorhaus zu kaufen? Enno hätte es ihr auch weiterhin vermietet. Er hatte sie nicht zu ihrem Tun gedrängt. Und war so ein Haus nicht ein Klotz am Bein?
War es nicht töricht gewesen, es in einer Zeit zu tun, in der in ihrer Beziehung alles offen war, wo sie keine Ahnung hatte, wie es mit ihr und Lars Magnusson weitergehen würde?
Es hatte nichts miteinander zu tun. Sie war angekommen, es hatte alles so kommen müssen, und sie wusste auch, dass sie bleiben würde, bleiben musste, weil es genau ihr Platz war, den das Leben ihr zugedacht hatte.
Vorbestimmung …
Auf den Weg kommen …
Mit solchen und ähnlichen Begriffen schmiss ihre Freundin Nicki immer um sich. Darüber hatte Roberta immer gelächelt, doch das vermutlich, weil Nicki all das zu oft brauchte, bei jeder Gelegenheit, es deswegen abgenutzt war.
Sie selbst hatte bislang nicht darüber nachgedacht, doch jetzt wurde es ihr bewusst. Es hatte alles so kommen müssen, und es war alles so einfach gegangen. Enno Riedel, ihr alter Studienfreund, hatte sich im richtigen Moment bei ihr gemeldet, er war nach Philadelphia gegangen, seine Praxis war frei geworden, und ihre, die sie sich mit viel Mühe, Geld und Einsatz aufgebaut hatte, die hatte ihr gieriger Exmann Max sich unter den Nagel gerissen.
Ja, es hatte so und nicht anders kommen müssen, auch wenn es anfangs nicht ganz einfach gewesen war. Das war Vergangenheit, darüber musste sie jetzt wirklich nicht mehr nachdenken.
Ihre Patienten liebten sie, sie wohnte in einem schönen Haus, in dem sie praktischerweise auch gleich arbeiten konnte. Ihre Ursel Hellenbrink, die schon für Enno gearbeitet hatte, schmiss die anfallenden Arbeiten in der Praxis, und Alma, die war ein Juwel, bei der musste sie nicht einmal Kaffee kochen.
Und sie hatte Lars.
Sie verstanden sich blind, sie liebten sich, sie waren ein Paar auf Augenhöhe.
Das musste sie sich immer wieder sagen.
Vieles, was sich in letzter Zeit in ihrem Umfeld ereignet hatte, war von niemandem vorausgesagt worden.
Warum also vertraute sie nicht einfach auf das, was das Leben noch für sie bereit hielt?
Sie freute sich für Roberto und Susanne. Susanne war glücklich und ausgefüllt als Hausfrau und Mutter und hatte ihrem Job bereitwillig adieu gesagt.
Sie war ganz anders. Sie würde niemals ihren Beruf aufgeben, sondern würde immer versuchen, Mann und Kinder und ihren Job unter einen Hut zu bringen. War das egoistisch? Sollte sie sich vielleicht nicht sagen, dass man nicht alles haben konnte?
Mitten hinein in ihre Gedanken klingelte ihr Handy. Es war eine Patientin, die angstvoll rief: »Frau Doktor, ich weiß ja, dass Sie heute am Nachmittag keine Sprechstunde haben, doch mein Mann ist gestürzt, und ich weiß nicht, ob er sich bei diesem Sturz etwas gebrochen hat. Er will aber um keinen Preis, dass ich einen Krankenwagen rufe. Er möchte, dass Sie sich das erst einmal ansehen.«
So verhielt es sich häufig. Für Roberta bedeutete es zusätzliche Arbeit, aber es zeigte ihr auch immer wieder, dass ihre Patienten ihr vertrauten, und es war so ungeheuer wichtig, dass zwischen Arzt und Patient ein Vertrauensverhältnis herrschte. Das war wichtig für den Heilungsprozess.
»Frau Junge, beruhigen Sie sich bitte, ich befinde mich gerade in Hohenborn, und da ist es bis zu Ihnen nicht weit. Ich komme.«
Sie beendete das Gespräch, beeilte, sich, zu ihrem Auto zu kommen, und dann fuhr Roberta rasant los.
Sie hatte nicht nur Patienten aus dem Sonnenwinkel, sondern es gab auch viele, die aus Hohenborn zu ihr kamen, obwohl es da mehrere niedergelassene Ärzte und auch ein Krankenhaus gab.
Zuerst war Herr Junge ihr Patient gewesen. Es war ein Mann, der zunächst einmal jedem Arzt misstraute. Und er hatte sie auch nur ausprobieren wollen. Sie hatten direkt einen Draht zueinander gefunden, dann war seine Frau gekommen, die Junges waren beide geblieben und hatten ihr noch weitere Patienten geschickt.
Hoffentlich hatte der Mann sich nicht wirklich einen Bruch zugezogen, dann würde er, ob er es nun wollte oder nicht, ins Krankenhaus müssen. Da würde sie mit Engelszungen auf ihn einreden müssen. Das gehörte auch zu ihrem Job. Das machte ihren Beruf ja auch so abwechslungsreich, sie behandelte die Krankheiten, doch sie musste auch eine gute Zuhörerin sein und war sehr oft so etwas wie eine psychologische Beraterin. Dafür wurde sie nicht bezahlt. Was sie alles tat, das durfte Roberta nicht aufrechnen. Wollte sie auch nicht. Es zwang sie niemand zu dem, was sie über die medizinische Versorgung hinaus tat. Für sie gehörte das zu ihrem Beruf, und das tat sie von Herzen gern.
Sie hatte sehr schnell die schöne Villa der Junges erreicht, und dort wurde sie an der Tür auch schon von Frau Junge empfangen, die ihr ganz aufgeregt entgegengelaufen kam.
»Danke, Frau Doktor, dass Sie gekommen sind«, rief sie erleichtert. »Mein Mann ist unleidlich. Und obwohl er es war, der die Harke auf dem Weg hat liegen lassen, wirft er mir das vor. Ich kann doch nichts dafür, dass er darüber gestolpert ist. Warum hat er überhaupt im Garten herumgewerkelt? Wir haben doch einen Gärtner. Aber seit mein Mann pensioniert ist, da steht er sich selbst im Weg herum, da weiß er einfach nichts mit sich anzufangen. Er ist nach der Pensionierung in ein tiefes Loch gefallen. Ein wenig kann ich das sogar verstehen. Er war der Boss, hatte in der Firma etwas zu sagen, wurde eingeladen, war viel geschäftlich unterwegs. Und nun ist alles vorbei. Anfangs haben sich Kollegen und Mitarbeiter noch gemeldet, doch mittlerweile ist auch das eingeschlafen. Er kann sich doch einen anderen Ausgleich suchen, muss er unbedingt dem Gärtner ins Handwerk pfuschen?«
Roberta legte der aufgeregten Frau eine Hand auf die Schulter.
»Frau Junge, Ihr Mann ist kein Einzelfall. Männer wie er haben vergessen, dass es neben dem Beruf auch noch ein Privatleben gibt. Das Leben Ihres Mannes war eingetaktet, die Zeit war verplant. Jetzt hat er viel Zeit und weiß nicht, wie er damit umgehen soll.«
Sie seufzte.
»Ich wüsste es schon. Wir könnten verreisen, es uns gemeinsam schön machen. Er kann nicht nur Ruhe kommen, er hat Hummeln im Hintern …, oh, entschuldigen Sie bitte, Frau Doktor.«