Trau dich. Heike Malisic
war erloschen. Ich hatte Feuer für Jesus gefangen und wollte so viel wie möglich darüber wissen, wie ich Gott persönlich erfahren konnte.
Leider bekam ich keinen Ausbildungsplatz in meinem Wunschberuf als Diätassistentin. Aber durch mein Fachabitur hatte ich die Möglichkeit zu studieren. Theologie schien mir das Logischste zu sein. Ich bekam einen Studienplatz und zog nach Mainz. Die historisch-kritische Bibelauslegung und die »Entmythologisierung« meines Glaubens machten mir aber ganz schön zu schaffen. Im zweiten Semester erhielt ich eine Vorladung vom Ordinariat. Man hatte von meinen Kontakten zu einer evangelischen Freikirche gehört und legte mir nahe, diese Kontakte einzustellen, wenn ich später eine Anstellung in der Kirche anstrebte. Meine Bedenkzeit war kurz. 5-4-3-2-1. Ich beendete mitten im Semester das Studium.
Ich bin froh über diese Erfahrung und werde im Kapitel »Trau dich, Entscheidungen zu treffen« noch näher darauf eingehen. Die Berufswahl ist wohl eine der wirklich großen Entscheidungen unseres Lebens. Durch diesen kleinen Umweg habe ich noch schneller herausgefunden, was ich nicht (sein) will. Ich überbrückte die Zeit mit einem 4-Wochen-Kurs zur Schwesternhelferin bei den Johannitern und einem Praktikum in einem Altenheim. Nachmittags war ich so kaputt von der ungewohnten Arbeit, dass ich auf der Stelle einschlief.
Mein Vater, der gerade zur Kur in Bad Mergentheim war, machte einen Ausflug ins nahe Würzburg und schaute in der Fachschule für Diätassistentinnen vorbei, die mich zwei Jahre zuvor abgelehnt hatten. Genau an diesem Tag gab eine Schülerin ihren Platz aufgrund einer Schwangerschaft frei. Wie durch ein Wunder rückte ich nach und wenige Monate später zog ich nach Würzburg, um doch Diätassistentin zu werden. Umwege erhöhen die Ortskenntnis, sagt man. Dieser Umweg hat sich gelohnt.
DAS IST MIR WICHTIG
• Scham will dir einreden, du bist nicht schön genug, gut genug, schlau genug, schlank genug – und du singst nicht schön genug. Sei un-verschämt versöhnt mit dir, so wie du bist.
• Scham will dir einreden, dass du besser unsichtbar sein solltest, den Mund nicht aufmachen solltest, weil andere sonst sehen, dass du vielleicht nicht perfekt bist – und du es nicht wert bist, gesehen zu werden. Mach dich bereit für die erste Reihe.
• Verletzbarkeit annehmen bedeutet heil werden. Du bist perfekt, auch wenn du Unperfektheit zeigst.
• Betrachte Probleme als Möglichkeiten, Lösungen zu generieren und deine Kompetenz zu erweitern.
• Wenn eine Entscheidung ansteht, gibt unser Gehirn uns fünf Sekunden, um sofort zu handeln. Zaudern wir, stellt sich unser Gehirn in den Weg. Um schneller und öfter ins Handeln zu kommen, zähle schlicht runter: 5-4-3-2-1 und Action.
… Beate
»Würde dich interessieren, was meine beiden schlechtesten Vorträge überhaupt waren?«, frage ich Heike. Sie nickt begeistert. Ich schweige. Davon habe ich bisher noch keinem erzählt, nur meinem Mann. Peinlich genug, dass es überhaupt passiert ist. Aber weil Heike und ich ja versprochen haben, auch von unseren Pleiten, Pech und Pannen zu berichten, wird Heike die beiden Geschichten also lesen können, wenn ich sie nun aus der Dunkelkammer hervorhole – und du auch.
Zunächst mal: Ich brauche keine Bühne. Ich reiße mich nicht um Sprechertermine in aller Welt. Ich sehe mich eher als Talentsucherin, die für andere die Bühne vorbereitet und ihnen den Auftritt überlässt.
Aber ich liebe das Zusammensein mit Menschen und gebe gerne Impulse. Das trifft es so ziemlich. Menschen zusammenbringen. Impulse geben. Prozesse anstoßen. In Einzelpersonen. Aber auch im größeren Stil. Wenn ich als Sprecherin angefragt werde, wäge ich vorher gut ab.
Ich habe im Lauf der Jahre Hunderte Vorträge gehalten. Manche wurden zu Sternstunden, die ich nie vergessen werde. Wo ich über mich hinausgewachsen bin. Wo der Funke übergesprungen ist. Vorträge, die mitten ins Herz der Zuhörer trafen. Dann gab es unzählige Vorträge, wo ich wusste: Es war gut. Ich war richtig. Ich habe den Punkt getroffen. Ich habe Herzen berührt. Und ich bin dankbar und zufrieden nach Hause gefahren.
Und dann gab es diese beiden Katastrophen.
Ich fuhr fröhlich und gut vorbereitet zu einem vermeintlichen Frauenabend. Thema war: »Mein Körper, Freund oder Feind«. Den Vortrag hatte ich schon oft gehalten und habe verschiedene Versionen davon, ich könnte ihn ohne Konzept und im Schlaf halten. Natürlich ist bei mir kein Vortrag wie der andere, ich erzähle neue Beispiele und gehe spontan auf die Situation der Anwesenden ein.
Als ich mit dem Auto vorfuhr, schwante mir, dass das eine richtig große Nummer wird. Männer und Frauen waren noch eifrig beschäftigt, die Halle vorzubereiten, und es erwartete uns ein sagenhaftes Willkommensbüfett. Die Größe der Veranstaltung war nicht das, was mich beunruhigte. Es waren die vielen Männer, die offensichtlich vorhatten, alle bei meinem Vortrag dabei zu sein. Ich stutzte. War das nicht explizit ein Abend für Frauen?
Ich habe überhaupt kein Problem damit, dass Männer meinem Vortrag zuhören, wenn ich das vorher weiß, aber bei diesem Thema hatte ich wirklich nur typisch feminine Beispiele eingebaut. Mein Gefühl trog mich nicht. Mir war die Tatsache entgangen, dass das ein offener Abend für alle war, zum Thema »Gesundheit«.
In meinem Kopf versuchte ich krampfhaft, die weibliche Note, die meinen Vortrag durchzog, durch neutralere Beispiele zu ersetzen. Ich kämpfte um jeden Absatz. Meine Zunge klebte am Gaumen und meine Augen am Konzept, das ich sonst frei vorgetragen hätte. Gefühlt stand ich bis zu den Knien im Schweiß. Wie viele der Zuhörer gemerkt haben, dass der Abend für mich der Super-GAU war, ahne ich nicht. Ein netter älterer Herr, der sich als Organisator der Veranstaltung herausstellte, lächelte mir auf jeden Fall zum Abschied freundlich zu und empfahl, mir allmählich eine Lesebrille zuzulegen, damit ich in Zukunft keine Schwierigkeiten habe, mein Konzept zu lesen.
Die ganze Heimfahrt biss ich mir auf die Zunge vor Scham. Hyperventilierte. Verstand nicht, wie mir so etwas Peinliches hatte passieren können. Und hoffte, hoffte von ganzem Herzen, das wenigstens einer der Zuhörer etwas mitnehmen konnte. Erstaunlicherweise habe ich genau auf diesen Vortrag noch viele Reaktionen bekommen.
Ich hatte sehr offen von meinem Jahr Magersucht erzählt und wie meine Geschichte weitergegangen ist. Und anscheinend konnte ich genau mit diesem Punkt einigen Anwesenden, übrigens auch Männern, wirklich Hoffnung machen. So war die Blamage auf jeden Fall nicht umsonst. Ich hatte mich durch meine Offenheit verletzlich gemacht und dadurch Herzen berührt.
Das zweite Desaster war schlimmer. Wieder fuhr ich fröhlich und bestens vorbereitet zu einem Frauenabend. Das Thema: »Wenn nichts läuft, wie es soll«. Und es lief wirklich nichts, wie es sollte. Auch diesen Vortrag hatte ich schon oft gehalten, trotzdem war ich jeden Punkt noch einmal einzeln durchgegangen. Wenn ich einen Vortrag halte, will ich weniger ein Thema präsentieren. Ich will mehr als Wissen vermitteln. Ich will die Herzen. Tja! Und wieder hatte ich wohl eine Information verpasst. Wieder war es kein Frauenabend, sondern ein gemischtes Publikum, das vor mir saß.
Ein Frauenherz zu berühren, damit habe ich Erfahrung. Da habe ich auch keine Scheu. Erst jetzt, in der Nachverarbeitung des Geschehens, ahne ich, dass genau hier die Ursache für mein Blackout lag. Ich hatte Scheu, ein Männerherz zu tief zu berühren. Es kam mir unerlaubt, unpassend vor. Schon kurz nach dem Anfang des Vortrags, den ich schon dreißigmal genauso gehalten hatte, kam ich ins Schwimmen und dann total aus dem Konzept. Irgendwie, mit mehreren Anläufen und Entschuldigungen, brachte ich den Vortrag hinter mich.
Ich fühlte mich schuldig, einen sorgfältig geplanten Abend komplett ruiniert zu haben, und wollte noch nicht einmal mein Honorar annehmen. Ich hatte vor Ort eine Übernachtung gebucht, doch in dieser Nacht schlief ich kaum. Zu Hause teilte ich meinem Mann die Entscheidung mit, dass dies der letzte Vortrag gewesen sei, den ich je gehalten