Trau dich. Heike Malisic

Trau dich - Heike Malisic


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hätte?

      Ein paarmal war ich beim Lokalradio eingeladen. Im Rahmen unserer Freundinnenabende hatten wir einige Themen an die Presse weitergegeben und im Radio die Gelegenheit, ein bisschen neugierig auf das Thema zu machen. Na ja, das war ein wenig Small Talk mit dem launigen Moderator und es machte Spaß. Ihm auch. So kam er auf die Idee, dass ich eins der Themen doch auch mal im Lokalfernsehen bringen könnte. Ich weiß noch das Thema. »Stress, lass nach.« Mein eigener Vortrag darüber, dass es positiven und negativen Stress gibt.

      Was für eine Chance. Aber sie stresste mich auch. Ich hatte zugesagt, aber war es nicht so, dass eins meiner Kinder gerade ein bisschen fieberte? Sollte ich nicht lieber zu Hause sein, als im Lokalfernsehen aufzutreten? Ach, du ahnst es schon. Ich hatte einfach Schiss. Ich rief den Moderator an, der in Windeseile eine neue Besetzung für den Themenbeitrag finden musste, und schäme mich noch heute, wie der Moderator vom Fernsehstudio aus Frau Nordstrand grüßte, die leider, leider wegen ihres kranken Kindes zu Hause bleiben musste. So krank war es wirklich nicht.

      Hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitergehen.

      … Heike

      »Würde dich interessieren, was meine beiden schlechtesten Vorträge überhaupt waren?«, fragt mich Beate. Natürlich! Ich will ALLES von ihr wissen, immerhin ist sie meine Freundin. Sofort erinnere ich mich an meinen schlechtesten Vortrag. Der war nicht wirklich schlecht, aber mittendrin stand eine Frau auf und meinte, sie hätte etwas anderes erwartet. Stille im Raum, nur das tiefe Einatmen der Veranstalterin war zu hören. Alle Augen auf mich gerichtet. Die Stimmung kippte. Ich reagierte so souverän wie möglich, aber fuhr anschließend Rotz und Wasser heulend nach Hause. Was für eine Blamage, nie wieder wollte ich einen Vortrag halten!

      Noch bevor ich die Geschichte zu Papier bringe, kommt eine Mail von Beate: »Es ist vielleicht selbstverständlich, aber gut wäre, wenn unsere Beispiele möglichst verschieden sind, damit wir mehrere Bereiche des möglichen Scheiterns abdecken … Durch die Führerscheinprüfung bin ich gefallen … Brauchst du dann nicht mehr.«

      Den Vortrag behalte ich also für mich und den Führerschein hab ich in Theorie und Praxis beim ersten Anlauf geschafft. Ich krame in Erinnerungen und schreibe ein paar Sachen auf. Da trudelt gleich noch eine Mail meiner Freundin ein: »Mit Scheitern muss auch eigenes Versagen rüberkommen, nicht wenn was Blödes passiert ist, wo jemand anders schuld ist.«

      Die Suche nach dem Scheiterhaufen

      Während ich die Mail von Beate lese, stehe ich zusammen mit meinem Mann in der Küche. Wir bereiten unseren samstäglichen Familienbrunch vor. Ich frage ihn, ob es okay wäre, wenn ich unsere Geschichte von vor 13 Jahren erzähle. Damals wurde uns unser Dienst in der Gemeinde quittiert und damit der Boden unter den Füßen weggezogen. Wir standen vor extrem emotionalen und existenziellen Herausforderungen und hatten keine Ahnung, wie unser Leben weitergehen sollte. »Das war weder dein noch mein Versagen, das ist uns widerfahren. Wir haben dafür Jahre später mehrere Entschuldigungen bekommen.« Stimmt, hatte Beate ja gerade erst geschrieben.

      »Dann sag mir mal ein paar Sachen, bei denen ich gescheitert bin«, fordere ich ihn auf. »Es gibt nichts. Du bist noch nie durch eine Prüfung gefallen, alle Projekte, die du durchgeführt hast, sind gut gewesen, du hast ein Händchen für gewinnbringende Geschäftsideen und wenn du von einer Sache begeistert bist, setzt du sie auch erfolgreich um.« Natürlich bin ich geschmeichelt, aber ich brauche doch ein paar Scheiterhaufen für unser Buch. Wir gehen zusammen ein paar meiner vermeintlichen Misserfolge durch, aber mein Mann hält mir vor Augen, dass nicht ich die Schuld daran getragen habe, sondern die Umstände oder andere Personen.

      Echt jetzt? Es gab tatsächlich keine Misserfolge in meinem Leben? Das kann ja nicht wirklich sein. Meine Kinder kommen zum Brunch und mein Mann fordert sie auf: »Sagt mal eurer Mama, wann in ihrem Leben sie versagt hat.« Fragezeichen in den Augen meiner Kinder. Ich erkläre ihnen, dass ich ein paar Pleiten fürs neue Buch brauche, und lese die Geschichte von Beate vor. Sie schauen mich ratlos an. »Mama, es gibt nichts.« Ich werde bisschen ungeduldig. »Ihr braucht euch nicht zurückzuhalten. Überlegt mal weiter, bestimmt fällt euch noch was ein.« Mein Mann ist mittlerweile fast ein bisschen genervt, weil er meint, dass ich nicht irgendwelche Erlebnisse dramatisieren müsse, nur damit das Buch spannend wird. Natürlich nicht, wir wollen ja ehrlich sein.

      Mütterversagen

      Dann fällt meiner Tochter doch noch was ein: »Mama, du hast darin versagt, uns Ordnung beizubringen.« Stimmt. Hätte ich mich ohne das Einverständnis meiner Kinder nicht getraut, ins Buch zu schreiben. Mir liegt Ordnung selber nicht im Blut, obwohl ich es mittlerweile schon recht ordentlich bei mir zu Hause habe. Aber dafür muss ich mich echt überwinden. Wozu ich mich nie überwinden konnte, war das Aufräumen der Kinderzimmer.

      Mit vier kleinen Kindern war ich froh, wenn die Küche einigermaßen sauber war, die Wäsche gewaschen und ich mindestens einmal die Woche das Haus gesaugt hatte. Von den Kindern hatte ich schon recht früh erwartet, dass sie ihre Zimmer selber aufräumen, und das leider zu inkonsequent kontrolliert. Mittlerweile sind sie alle erwachsen, mein Erziehungsauftrag ist vorbei. Aber hin und wieder läuft mir eine Träne übers Herz, wenn ich das Chaos in den Zimmern der Kinder sehe, die noch zu Hause wohnen.

      Wenn ich an die Kindererziehung denke, dann gab es noch ein bisschen mehr als das Scheitern beim Aufräumen. Wie viele Erziehungsratgeber habe ich verschlungen, um alles richtig zu machen, und bin an meiner eigenen Überforderung gescheitert. In der Reflexion hätte ich sehr gerne vieles anders gemacht. Als Mutter fühlte ich mich oft als Versagerin. Zu wenig Zeit, zu wenig konzentrierte Aufmerksamkeit, zu streng, zu inkonsequent. Würde ich all mein Versagen als Mutter aufschichten, der Scheiterhaufen wäre riesig.

      Aber genau an dieser Stelle bin ich einmal mehr glücklich und dankbar, dass es Vergebung gibt. Wir haben mit allen unseren Kindern ein gutes Verhältnis. Sie vermitteln uns immer wieder, dass sie eine gute Erziehung genossen haben. Gnadenamnesie nennt man so etwas. Dieser Scheiterhaufen ist restlos runtergebrannt und es bleibt nur noch etwas Asche, die sich hin und wieder mal in meine Erinnerung schmuggelt.

      Abgelehnt

      Das Thema des Scheiterns beschäftigt mich den ganzen Tag. Und dann fallen mir doch noch ein paar Dinge ein.

      1998 hatte ich mich als Ernährungsberaterin mit der Firma Weight Watchers selbstständig gemacht. »Frau Malisic, Sie werden es ziemlich weit in dieser Firma bringen«, versicherte mir meine damalige Ausbilderin. Und so war es auch. Ich wurde sehr erfolgreich, leitete mehrere große Gruppen und sonnte mich in meinem Erfolg. Ich brachte gutes Geld nach Hause und hatte die Anerkennung meiner Teilnehmer. Ich wuchs förmlich über mich hinaus.

      Als dann die Stelle einer Gebietsbeauftragten in meiner Region ausgeschrieben wurde, war für mich klar: »Den Job nehme ich.« Ich schrieb eine Bewerbung und wurde zum Vorstellungsgespräch nach Düsseldorf eingeladen. Es gab nur eine Konkurrentin. Ich war mir meiner Fähigkeit so sicher, dass ich mir keine großen Gedanken darum machte, die Stelle nicht zu bekommen. Drei Wochen später kam die Absage.

      Absagen fühlen sich nie gut an. Auch diese nicht. Sie vermitteln dir: »Du warst nicht gut genug. Jemand anderes kann es besser als du.« So ganz locker schüttelte ich diese Ablehnung nicht ab, aber ich veränderte meine Sichtweise: »Welche positive Konsequenz hat diese Situation?«

      Ich hätte meinen Job zu 100 Prozent gut gemacht. Aber meine Karriere hätte einen großen Stellenwert in meinem Leben eingenommen. Ich hätte viel weniger Zeit für meine Kinder, meinen Mann und die Gemeinde gehabt. Und wer weiß, ob ich den Absprung geschafft hätte, um mich mit Beate mit Lebe leichter selbstständig zu machen.

      »Verstehen kann man das Leben rückwärts; leben muss man es aber vorwärts«, schrieb der dänische Philosoph Søren Kierkegaard.

      Schmerzlich erinnere ich mich an zwei finanzielle Verluste, die ich zu verantworten hatte. Ein paar Aufgabengebiete sind in unserer Ehebeziehung ziemlich klar aufgeteilt. Während mein Mann für alles Handwerkliche im Haus zuständig


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