Trau dich. Heike Malisic

Trau dich - Heike Malisic


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geblieben. Ich hatte vorher schon gute Vorträge gehalten – und auch nachher. Diese beiden sind mir allerdings als unvergesslich peinlich in Erinnerung geblieben. Hätte ich nur diesen letzten gehalten, wäre in meinem Unterbewusstsein die Botschaft hängen geblieben: »Vorträge halten kannst du nicht.« Und tatsächlich fällt mir das Kommunizieren mit Gruppen und Kursen mit zehn, zwanzig, dreißig Leuten wesentlich leichter. Aber Übung macht den Meister.

      Als ich als junges Mädchen einmal mit meiner Vespa bei Regen ausrutschte und auf der Straße lag, kam ein Mann, half mir, den Roller wieder aufzustellen, meine Gitarre aufzubinden und rief: »Sofort weiterfahren, sonst haben Sie später Angst, wieder zu fahren.« Die Lektion »Bei Regen langsam in die Kurve« habe ich gelernt und bin noch jahrelang angstfrei weitergefahren.

      Ich werde auch weiterhin nicht jede Einladung annehmen. Aber wenn ich weiß, dass ich etwas zu sagen habe, bin ich mutig genug, die Gelegenheit zu nutzen.

      Scham und Angst wollen dir einreden, es ist besser, du lässt es.

      Selbstvertrauen wächst, je öfter du merkst, dass du dir vertrauen kannst, dass du die Fähigkeit besitzt, die hier gebraucht wird.

      Jeder hat mal Selbstzweifel, das ist klar, aber die Grundeinstellung ist wichtig.

      Je mehr negative Erfahrungen du gemacht hast, desto öfter solltest du gute neue Erfahrungen machen, die diese Verunsicherung widerlegen. Damit dein Selbstvertrauen wieder stärker wird.

      Vielleicht fragst du dich gerade, wie man das denn macht, gute Erfahrungen, damit dein Selbstvertrauen stärker wird? Durch Überwinden des Zauderns. Des Wartens. Der Passivität. Durch gute Entscheidungen. Das ganze Buch handelt ja von unseren »Traudichs«. Im Kapitel »Trau dich, Entscheidungen zu treffen« geht es um grundlegende Entscheidungen, die deine Identität ausmachen.

      Kennst du die Geschichte vom angeketteten Elefanten? Jahrelang war er die Attraktion des Zirkus und stellte während der Vorstellungen seine Kraft und Größe zur Schau. Die restliche Zeit stand er mit einem Fuß angekettet an einen Pflock und bewegte sich nur so weit, wie die Kette ihn ließ. Angesichts der Kraft des Elefanten waren sowohl die Kette als auch der Pflock geradezu lächerlich. Warum bäumte sich das Tier nicht auf? Warum lief er nicht auf und davon? Weil er dressiert war! Von klein auf. Als Babyelefant hatte er noch versucht, seinen Radius zu vergrößern. Aber er war durch die Kette immer wieder an seine Grenzen erinnert worden.

      Schlechte Erfahrungen können zu Glaubenssätzen werden. Schlechte Erfahrungen dressieren dich. »Rechnen kann ich nicht.« »Im freien Reden bin ich nicht gut.« »Das funktioniert bei mir nicht.« Aber du bist gar nicht mehr dieselbe wie damals! Trau dich, es wieder zu probieren.

      Vielleicht habe ich das Glück, keine Perfektionistin zu sein. Hätte ich mich sonst getraut, fünf Kinder zu erziehen? Spätestens beim dritten hätte ich aufgegeben, weil ich gemerkt hätte, das wird nichts mit mir als perfekter Mutter. Hätte ich mich getraut, Vorträge zu halten, Artikel und sogar Bücher zu schreiben? Der Weg zu einem guten Vortrag begann damit, mich zu trauen, einen unperfekten Vortrag zu halten. Und noch einen.

      Der Weg zu guten Artikeln begann damit, viele Na-ja-Artikel zu schreiben und einzusenden. »Gerade habe ich deinen Artikel über Freundinnen gelesen«, schreibt eine Bekannte. »Du hast echt die Gabe, humorvoll, liebevoll und pfiffig zu schreiben«, lobt sie mich. »Ach«, denke ich … stimmt ja, der Artikel war richtig gut geworden. Mein hundertster.

      Hier meine Ermutigung an alle Perfektionisten, die seit Jahren ein Manuskript in der Schublade haben, ausgearbeitete Vorträge, ganze Gedichtbände, Liedertexte mit und ohne Noten: Trau dich! Warte nicht auf das perfekte Ergebnis, die perfekte Gelegenheit, dass jemand dich entdeckt und dir die Bühne bereitet. Und du musst ja nicht gleich den ganzen Gedichtband veröffentlichen. Aber ein Gedicht von dir vorlesen. Du musst nicht gleich ein YouTube-Video mit deinem selbst geschriebenen Lied produzieren. Aber du könntest es deinen Freunden vorsingen, zum Geburtstag zum Beispiel. Die Welt ruft dich. Ich rufe dich auch. Ich würde dich so gern singen hören.

      Wie das Sprichwort sagt: Wie still wäre es im Wald, wenn nur die begabtesten Vögel sängen!

      Durchgefallen

      Wenn ich von der Autobahn zum Haus meiner Eltern fahre, komme ich an der Stelle vorbei, wo der Fahrschulprüfer mir damals eröffnete, dass ich bei der praktischen Prüfung durchgefallen bin. Was für eine Demütigung für eine 18-Jährige. Auch heute noch denke ich bei jedem Vorbeifahren daran. Und wenn ich drei Kilometer weiter an der Fahrschule vorbeikomme, denke ich noch mal daran. An das Gefühl, als ich ein paar Wochen später den Führerschein in den Händen hielt, erinnere ich mich nicht, nur an die Blamage, durchgefallen zu sein.

      Ich beschließe, beim nächsten Mal genau an dieser Stelle auszusteigen, eine Piccoloflasche Sekt zu öffnen und mit dem Erstbesten, der vorbeigeht, 42 Jahre nachträglich auf meinen Erfolg anzustoßen und ein Foto davon zu schießen. Ich möchte neue Bilder in meinem Kopf!

      Wie gut, dass ich das Geld und einen weiteren Anlauf nicht gescheut habe. Allerdings bekam ich kaum Fahrpraxis. Zum einen hatte ich ja meine Vespa. Die genügte mir für die täglichen Wege und meine Spritztouren. Und wenn es für den Roller zu weit war, gab es genug Freunde, die mich mitnahmen.

      Am 16. Mai 1984 bekam unsere frischgebackene Familie ein Auto. Unser erstes Kind war einen Tag vorher auf die Welt gekommen und mein Mann besuchte mich im Krankenhaus – mit einem Kleinbus. Mein Wunsch, ihn selber zu fahren, hielt sich in Grenzen. Das zweite Kind kam, das dritte und bestimmt auch das zweite und dritte Auto. Mit dem vierten Kind schwanger wurde mir bewusst, wie viel leichter es sein würde, wenn ich mich traute, Auto zu fahren.

      Zu dieser Zeit wohnte eine norwegische junge Frau bei uns, deren Name mir so gut gefiel, dass ich das kleine Menschlein in meinem Bauch nach ihr benannte. Birgitta. Mit Engelsgeduld half sie mir, meine Scheu zu überwinden, und übte mit mir Autofahren. Eine ziemlich große Delle am Garagentor war das einzige Lehrgeld, das wir bezahlen mussten. Birgitta ging nach Norwegen zurück, unsere Birgitta kam auf die Welt und seit 30 Jahren fahre ich täglich Auto, weitaus mehr als mein Mann.

      Andere Scheiterhaufen

      Von außen sieht es vielleicht so aus, als ob Türen grundsätzlich vor mir aufgegangen wären. Dass ich jeden Vorsatz umsetzen konnte und alles gelungen ist, was ich angefangen habe.

      Die Momente, in denen ich mich hinterfragt habe, sind nicht öffentlich. Die Momente, in denen ich nicht aus Leidenschaft, sondern aus purem Wissen, dass es richtig ist, weitergemacht habe, hat kein Außenstehender mitbekommen. Die Nächte, die ich mir um die Ohren geschlagen habe, auch nicht und ebenso wenig die, in denen ich vor Müdigkeit geweint habe.

      Eine große Demütigung war meine Kündigung. Ich hatte jahrelang in der Firma gearbeitet und mich richtig reingekniet. Ein bisschen dachte ich, ich wäre »das beste Pferd im Stall«. Natürlich wusste ich, dass ich auch Fehler mache, aber als ich die Kündigung erhielt, dachte ich, in den Boden versinken zu müssen oder zu sterben. Bin ich nicht. Das Leben ging weiter – und wäre diese Kündigung nicht gewesen, wären weder Lebe leichter noch Body Spirit Soul entstanden.

      Ein Rätsel, das ich auch nach Jahren nicht gelöst habe, ist das Scheitern einer Kleingruppe in unserer Kirche. Gruppen, Kurse, Teams zu leiten ist für mich ein Selbstläufer. Freizeiten, Wochenenden, ich erinnere mich nicht, jemals Probleme beim Leiten einer Gruppe gehabt zu haben. Es wird immer gut. Die Atmosphäre ist gut. Ich leite mit leichter Hand und die Leute gehen gerne mit.

      Ich war sicher, ich bin die richtige Person. Mein Mann ebenso. Ich liebte die Thematik und war voller Vorfreude. Eine gute Truppe mit Menschen, denen das Thema genauso am Herzen lag wie mir, hatte sich eingefunden. Ich kannte alle seit Jahren. Ich war sicher im Thema. Aber es ging nicht. Jeder Abend war eine Katastrophe. Wochenlang schlug ich mich tapfer durch, dann ließ ich die Kleingruppe auslaufen.

      Irgendwann wird sich mir erschließen, was da los war. Ich will nur, dass du weißt: Es gibt Situationen, die wollen dir das Selbstvertrauen rauben. Wollen dir einreden, dass du der Fehler bist. Weil ich so viele positive andere Erfahrungen


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