Die verhängnisvolle Phryne. F. C. Phillips
Doktor lachte. „Und ihr Interesse an Ihnen, mein junger Freund, bethätigen sie dadurch, dass sie Ihnen getrüffelte Puter, Blumen und solche Kleinigkeiten, wie diese hier schicken,“ und dabei klopfte der Doktor lachend auf einen neben ihm stehenden prachtvollen Bouletisch. „Ihre Freunde, Leigh, müssen aufrichtige Bewunderung für Sie als Künstler, wie als Mensch empfinden.“ Die schmalen Kinnbacken des Doktors öffneten sich einem hyänenartigen Lächeln und er blies eine grosse Rauchwolke in die Luft.
Wieder stieg das beredte Erröten in des jungen Engländers Wangen.
„Bah, Firlefanz, an dem es Ihnen gefällt Ihren Witz zu üben, lieber Doktor; das sind nur die Nüsse, womit sie den Affen füttern.“
„Eine kostspielige Nuss, diese hier, die Madame Pichon ihrem Lieblingsaffen zugeworfen hat.“ Und wieder trommelte der Doktor auf dem Tisch und grinste wie ein Satan. „Es wäre übrigens das dümmste nicht, was Sie thun könnten, Leigh, Madame Pichon ist noch ein sehr stattliches Tierchen und reich à faire peur. Ja, ja,“ fuhr er fort, während er sich die Hände rieb und seine Fingergelenke auszog, bis sie knackten, „es wäre wirklich noch lange nicht das dümmste, mein junger Freund. Der Reichtum der Witwe ist über allen Zweifel erhaben; der selige Pichon ist als Millionär gestorben.“
„Lieber will ich Steine klopfen, als mich an ein Weib verkaufen, das mir gleichgültig ist. Steineklopfen ist wenigstens eine ehrliche Beschäftigung, Doktor, und es liegt eine eigenartige, wenn auch nicht gerade sehr erhabene Poesie darin. Ein Künstler, lieber Freund, bedarf keiner Frau; seine Kunst ist schon an sich eine sehr anspruchsvolle Herrin, und Sie selbst, Doktor, sind ja ganz gut ohne Frau fertig geworden.“
„Wenn Sie erst einundsechzig sind, wie ich jetzt, lieber Leigh, dann werden Sie wohl auch ernstlich ans Heiraten zu denken anfangen. Ich stimme Bacon zu. Ich brauche eine Haushälterin und werde sehr bald auch eine Pflegerin nötig haben. Warum soll ich nicht beides vereinigen und die Einrichtung durch das heilige Band der Ehe weihen lassen?“
Leigh zuckte die Achseln. Er meinte, der Doktor sähe wie ein rechter Kobold aus, als er diesen wenig romantischen Gedanken Worte lieh.
„Ganz recht, warum nicht?“ erwiderte er. „Es ist vielleicht etwas prosaisch, aber wenn das Ihrem Ideal einer Frau entspricht, warum nicht?“
„Sie meinen also, dass es in meinem Alter ein ganz verständiger Schritt wäre?“
„Sie sind viel zu weise, Herr Doktor, als dass ein so unerfahrener Mensch wie ich auch nur andeuten dürfte, ein von Ihnen in Erwägung gezogener Schritt könne unverständig sein.“
„Sie geben mir verzuckerte Pillen zu schlucken, mein Freund. Madame Pichon und die übrigen machen einen vollkommenen Mann von Welt aus Ihnen. Aber wenn ich mich vierzig Jahre nach einem Ideal umgeschaut habe, warum sollte ich es nicht endlich in einer Frau von angenehmem Aeussern und, sagen wir einmal, fünfunddreissig Jahren gefunden haben, die für meine Bedürfnisse sorgen, meine kleinen Eigenheiten liebevoll übersehen und bei den grässlich langweiligen Diners, die ich einmal wöchentlich zu geben gewohnt bin, meinen Gästen die Ehren des Hauses erweisen wird — in einer Dame, die sich damit begnügt, mir meine letzten Lebensjahre freundlicher zu gestalten und mich dann durch ihr Ideal zu ersetzen, das sie vielleicht schon im Auge hat.“
„Jedermann nach seinem Geschmack, Doktor. Sie nennen jedenfalls die Dinge bei ihrem rechten Namen.“
„Vielleicht hat in meinem Falle das Alter Anspruchslosigkeit mit sich gebracht, Leigh. Ihre Anschauung über die Ehe ist ohne Zweifel eine idealere. Mein lieber Abelard, beschreiben Sie mir die Heloïse Ihrer Träume. Aber tönen Sie ihre Schilderung etwas ab, legen Sie Ihrer Phantasie Zügel an und nehmen Sie Rücksicht auf meine beschränktere und mehr prosaische Natur.“ Der Doktor zündete sich eine frische Cigarre an, und der junge Mann erhob sich und begann mit unruhigen Schritten auf dem dicken türkischen Teppich auf und ab zu gehen.
„Sie ist bis jetzt nur ein Bild meiner Träume. Ich sehe sie nur unklar, immer in andrer Gestalt, wie die Bilder eines Kaleidoskops, und wenn ich versuche, sie auf die Leinwand zu bannen, so befriedigt mich mein Werk niemals. Die Gemälde, die von meiner Staffelei kommen, sind schliesslich nur Träume von schönen Weibern, unbestimmte Erinnerungen, Unmöglichkeiten und Uebertreibungen, — Ungeheuer, die ich aus einzelnen Stücken zusammengesetzt habe, künstliche Geschöpfe, die mir widerwärtig sind, sobald ich sie vollendet habe. Ich betrachte sie mit einer Art von Entsetzen. Sehen Sie sich dieses letzte an,“ sagte er mit einem geringschätzigen Lachen. „Ich habe es für viertausend Franken verkauft, das ist aber auch das beste, was ich darüber sagen kann. Israels, der Kunsthändler, wird es zum doppelten Preis verkaufen. Und wenn ich es anschaue, könnte ich mich hassen. Was ist es anders, als eine halb bekleidete, einfältig lächelnde Unmöglichkeit, eine erbärmliche Täuschung? Die untern Gliedmassen sind die der Julie Pasdeloup, die Arme sind für fünf Franken pro Stunde von einem hässlichen bretonischen Mädchen mit roten Haaren gekauft, und das Gesicht ist eine geschickte Zusammensetzung —“
„Während das Haar eine wirklich herrliche Wiedergabe von Madame Pichons chevelure ist, he, mein junger Freund? Madame Pichon muss ein ganz ausserordentliches Interesse für die Kunst haben und ganz besonders für die Werke eines gewissen Mr. Leigh, dass sie sich hat bereit finden lassen, ihre wunderbaren Flechten zu lösen. Sie hat gewiss aus Liebe Modell gesessen.“
„Oder aus Eitelkeit, wie Sie es nennen wollen, Doktor,“ antwortete der Maler lachend. „Das Ungeheuer ist jedenfalls fertig,“ fuhr er fort. „Es ist eine Abart der siamesischen Zwillinge, und morgen wird Israels kommen, es mit vergnügtem Grinsen betrachten, sich die Hände reiben und ein neues, ähnliches bestellen, und ich werde die Geschichte von den Ziegelsteinen ohne Stroh wiederholen. Es wird eine frische Leinwand aufgespannt und ein neues Ungetüm für so und so viel pro Quadratfuss produziert.“
„Und Mr. Leigh ist seinem Ideal nicht um einen Schritt näher gekommen, he? Sie sollten hinaus in die Welt gehen, mein Freund. Die Gesellschaft würde Sie mit offenen Armen aufnehmen. Dort würden Sie Gelegenheit finden, das Wesen und die Gewohnheiten der Jungen, der Geistreichen und der Unschuldigen des andern Geschlechts zu beobachten; weshalb wollen Sie nicht dort Ihr Ideal suchen?“ und dabei kicherte der Doktor. „Oder haben die Stunden, die Sie in der Gesellschaft der Mademoiselle Pasdeloup und der jungen Dame mit den schönen Armen und dem roten Haar verlebt haben, Sie sür die herkömmliche ingénue des täglichen Lebens verdorben?“
„Sie sind ungerecht, alter Freund. Die Pasdeloup ist für mich weiter nichts, als ein Paar wohlgeformter Beine; gesellschaftlich interessiert sie mich ebensowenig, als die Scheusslichkeiten, die Sie mir neulich im Museum Orfila in Spiritus gezeigt haben. Sie sind zwar menschlich, aber, wie die Pasdeloup, sind es nur anatomische Präparate. — Könnte ich es nur finden, dieses Ideal, von dem wir alle träumen und nach dem wir ausschauen, wie die alten Spanier, die immer getäuscht, und doch immer voll Hoffnung, mit unermüdlicher Energie nach dem erträumten El Dorado suchten, — wenn ich es nur finden könnte. Ich würde es sofort für das grosse Bild verwenden, das ich im diesjährigen ‚Salon‘ auszustellen beabsichtige. Der Entwurf ist heute fertig geworden.“
„Und was für einen Gegenstand wird dies Bild behandeln, mein junger Freund? Sie haben mir Ihren Vorwurf noch nicht genannt.“
„O, der Gegenstand ist schon ziemlich abgenutzt: ‚Phryne, vor ihren Richtern.‘ Allein es soll ein Protest gegen die Scheusslichkeiten sein, die heutzutage Erfolg haben. Die Realisten verderben den Geschmack des neunzehnten Jahrhunderts. Ist es nicht eine himmelschreiende Schande,“ rief der junge Mann entrüstet und mit blitzenden Augen, „dass die Menschen fünf Reihen tief und ausser sich vor Entzücken vor ‚la Dame au Perroquet‘ stehen, einer schamlosen Nacktheit, die sich auf einem Haufen Kissen rekelt, der Triumph des Rohen, Sinnlichen und Realen? In meiner Phryne wird nichts Rohes sein, und doch soll sie schön sein, ihre Gestalt soll den Gegenstand veredeln, ihn aus dem Schmutz des Alltäglichen zum Erhabenen und Poetischen erheben.“
„Ah, auch mein armer Bruder hat stets nach dem Erhabenen gestrebt. Er hat es nie erreicht, aber das Riesenhafte, das ist ihm gelungen, dem armen Kerl! Manchmal habe ich die Besorgnis, dass ihr Künstler beim Suchen nach dem Ideal nur