Die verhängnisvolle Phryne. F. C. Phillips
„Liebe Madame Pichon, Sie sind reizend, immer reizend, natürlich! Aber auf Ehre, wie eine Niobe sehen Sie weniger aus, als je.“
„Sie wollen doch nicht, dass ich immer Niobe bin, wie, lieber Monsieur George?“ fragte die junge Witwe mit einem allerliebsten Schmollen, und dabei funkelte etwas in ihren Augen, das möglicherweise eine Thräne war, das aber entschieden mehr wie ein Blick des Triumphs aussah. „Es ist mir einerlei, was Sie sagen,“ fügte sie schnippisch hinzu. „Niobe hätte doch auch nicht ewig weinen können.“
„Aber bedenken Sie doch, sie hat zwölf Kinder verloren, liebe Madame.“
„Zwölf!“ rief die Dame entsetzt. „Dann war’s mit ihrer Schönheit auch vorbei, und sie muss eine höchst langweilige Person, wenn nicht geradezu unanständig gewesen sein. Und ich muss sagen, ich kann es keineswegs als eine Schmeichelei Ihrerseits betrachten, dass Sie mich zum Modell für ein Frauenzimmer wählen, das zwölf Kinder gehabt hat.“
„Ah, Madame,“ erwiderte der Maler, sich entschuldigend, „für mich sind Sie die lebende Verkörperung untröstlichen Schmerzes gewesen.“
„In meinem Haar kann ich aber doch keinenfalls Schmerz zum Ausdruck bringen, und heute wollten Sie ja das Haar malen, nicht wahr, Monsieur George? Wird’s so gehen?“ fuhr sie fort, während sie sich träge in einen grossen Stuhl fallen liess und eine Stellung annahm, wie jemand, der sich photographieren lassen will. Frau Pichon war eine Dame, die ihre Reize ins beste Licht zu stellen wusste, denn sie war auf die Eroberung des Malers erpicht und fest entschlossen, ihn zu heiraten. Sie hatte kein Mittel unversucht gelassen, ihm alles, was ihre Persönlichkeit anziehend machte, vor Augen zu bringen. Bis jetzt aber hatte der junge Leigh noch durch kein Zeichen verraten, dass sich eine wärmere Empfindung in ihm rege; sie hatte ihm gesagt, wie reich, wie einsam, wie elend sie sei, aber alles vergeblich.
„Ah, liebe Madame,“ sagte Leigh, „ich darf es nicht wagen, Sie zu bitten, mir Ihre Zeit dadurch zu opfern, dass Sie mir für das Haar sitzen; das reizende Antlitz genügt vollständig für meinen Zweck.“
Frau Pichons Fuss, der für einen strengen Richter vielleicht etwas zu sehr in die Augen fiel, klopfte ärgerlich auf den Teppich, als sie diese schrecklich nüchterne Antwort des Malers hörte. „Und bitte, mein Herr, weshalb nicht?“
„Also erstens, liebe Madame Pichon, weil das Haar der Niobe aufgelöst und wirr sein muss, und es hiesse wirklich Ihre Güte auf eine allzuharte Probe stellen, wenn ich Sie bitten wollte, diese herrlichen Flechten aufzulösen.“
„Monsieur Leigh, es gibt nichts, was ich nicht um der Kunst willen zu thun bereit wäre. Sie machen sich nur über mich lustig; Sie sind gerade wie andre Männer. Männer sind immer sarkastisch und grausam,“ fügte die junge Witwe mit einem leisen Seufzer hinzu. „Ich weiss sehr wohl, was Sie sagen wollen. Sie bilden sich ein, dass das, was Sie in Ihrer grausamen, spöttischen Weise meine ‚herrlichen Flechten‘ nennen, nicht mein eignes Haar sei. Ich werde Sie sofort überzeugen. Hier, Monsieur George, und da! und da! und da!“ Und ehe der erstaunte Maler wusste, wie ihm geschah, hatte die entrüstete Kunstenthusiastin alle Kämme und Haarnadeln herausgerissen, und die wallenden kastanienbraunen Locken sanken in überreichen Wellen hernieder.
„Es ist alles eignes Wachstum,“ rief die Dame, wirklich gereizt. „Und nun vernehmen Sie Ihre Strafe. Ich verurteile Sie dazu, es nach Ihrem Belieben zu ordnen. Ich wiederhole, Monsieur George, es gibt kein Opfer, das ich nicht bringen würde, wenn ich die Kunst dadurch fördern kann.“
Der junge Maler errötete, aber er konnte weiter nichts thun, als gehorchen. Er trat auf die Erhöhung, auf der die Dame sass, und mit Fingern, die wie unter elektrischen Schlägen zuckten, ordnete er geschickt den üppigen Haarwuchs der Witwe des seligen Herrn Pichon. Als er sich darauf hinter seine Staffelei geflüchtet hatte, hielt er sich einige Minuten dort verborgen. In diesem interessanten Augenblick trat der Hauswirt des Malers und Vetter der Dame ins Zimmer.
„Bon jour, Sophie,“ begann Doktor Tholozan mit leichtem Nicken und liess dann ein leichtes Kichern hören. „Du nimmst wirklich den berufsmässigen Modellen das Brot vom Munde.“
„Sei ruhig, Felix; wenn nur ein einziges Haar verschoben wird, geht die ganze Wirkung verloren. Ich bin der personifizierte Jammer.“
„Das weiss ganz Paris,“ entgegnete er. „Ja, die Aehnlichkeit ist verblüffend, Liebste. Du bist augenscheinlich das Original der ‚Dame mit der Mähne‘, der Zauberin, die uns als Reklame eines amerikanischen Haarwuchsmittels in zwanzigfacher Lebensgrösse anlächelt. Leigh, ich gratuliere, wahrhaftig, ich gratuliere euch beiden.“
„Felix, ich schäme mich deiner,“ sagte die Dame. „Es gibt wirklich nichts, was deinem Witz heilig ist. Ich bin Niobe, mein Herr!“ fügte sie würdevoll hinzu.
„O, sehr möglich, meine Liebe, sehr möglich. Alles, was dir gefällt. Vom Standpunkt des Arztes aus möchte ich sagen, du seiest die Göttin der Gesundheit. Aber ich will nicht länger stören. Adieu, Niobe, leb’ wohl, Galatea, au revoir, Pygmalion, wir treffen uns beim Diner,“ und er verschwand diskret.
„Das ist wieder ganz Felix,“ sagte die Dame. „Wir waren so hübsch im Zug, und es war so gemütlich,“ fügte sie, wie ein Kätzchen schnurrend, hinzu, „da muss er hereinkommen und uns beide aus der Stimmung bringen, und er hat mich veranlasst, meinen Kopf zu drehen und aus der richtigen Stellung zu kommen. Ich bin ernstlich böse auf Felix. Was würde er wohl denken, wenn ich während seiner Sprechstunde in sein Konsultationszimmer käme, das möcht’ ich wohl wissen? Sie müssen wieder alles in Ordnung bringen,“ fuhr sie kokett fort, und der Künstler kam, errötend wie eine Päonie, aus seinem zeitweiligen Versteck hervor.
„O, ich weiss, was Sie gern thun möchten,“ fuhr die Dame fort. „Sie vergehen vor Verlangen zu rauchen. Ich bin ganz fest überzeugt, wenn ich ein gewöhnliches Modell wäre, würden Sie ohne Umstände rauchen. Tabaksrauch ist mir nicht im geringsten unangenehm, wahrhaftig, ich bin daran gewöhnt, denn der selige Pichon rauchte vom Morgen bis zum Abend. Sie werden ganz entsetzt sein, wenn ich Ihnen ein Geheimnis anvertraue. Er hat mich das Rauchen auch gelehrt, und sogar, eine Cigarette zu drehen. O, lassen Sie mich Ihnen eine Cigarette machen, ich kenne keinen grösseren Spass,“ und Niobe machte sich daran, mit ihren zierlichen Fingern einen kleinen weissen Cylinder aus türkischem Tabak zu drehen, denn sie hatte die dazu nötigen Materialien, zum Gebrauche bereit, auf einem grossen eichenen Tisch in der Nähe der Staffelei entdeckt. Als sie damit fertig war, überreichte sie Leigh ihr Machwerk mit einem gefälligen Knix und hielt ihm ein brennendes Streichhölzchen vor; dann drehte sie gewandt eine zweite Cigarette, und sich behaglich in den grossen Lehnstuhl kauernd, begann sie mit augenscheinlichem Genuss zu rauchen. „Sind Ihnen Unterbrechungen nicht sehr verhasst, Monsieur Leigh?“ fragte sie nachdenklich.
„In Ihrer Gesellschaft, Madame, müssen sie das jedem sein.“
„O, natürlich! Etwas andres konnten Sie ja gar nicht sagen, Monsieur George. Ob’s wohl wirklich Ihr Ernst ist?“
„Ehrlichkeit ist eine meiner wenigen Tugenden, Madame. Sie ist mir ost genug sehr nachteilig gewesen. Das Hässliche und Abstossende kann ich nicht malen, denn es ist mir die Gabe versagt, es zu mildern, ich bin faktisch eine Art unbarmherziger menschlicher Camera und — ich male die Leute so, wie mein Auge sie mir zeigt, und nicht so, wie sie gern aussehen möchten. Ich kann die Pfeffernüsse nicht vergolden, und ich kann nicht schmeicheln. Ich wollte, ich könnte es. Ich bin viel zu aufrichtig, Madame Pichon. Betrachten Sie sich zum Beispiel ’mal dies,“ dabei zog der junge Mann ein Bild hervor, welches, gegen die Wand gekehrt, neben der Staffelei stand. Es war ein grinsendes Porträt, und es zeigte so viel Frechheit und Verworfenheit, wie man sich im Angesichte eines anscheinend jungen und hübschen Weibes nur denken kann. „Das ist Mademoiselle Saint Ventadour vom Palais Royal,“ sagte Leigh. „Sie stellte mir den Antrag, sie als ‚Comédie‘ zu malen. Alle Welt hält sie für sehr bezaubernd und anziehend, mit einem Wort, sie ist jetzt Mode. Ich kann nichts Anziehendes an ihr finden, für mich ist sie weiter nichts, als eine grinsende Larve.“ Frau Pichon lächelte beifällig. „In einem schwachen Augenblick nahm ich den Auftrag an. Sie kam mit einer sehr achtbar aussehenden