Die verhängnisvolle Phryne. F. C. Phillips

Die verhängnisvolle Phryne - F. C. Phillips


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in Hülle und Fülle, und das Klima von Banquerouteville ist, wie männiglich bekannt, ebenso balsamisch, wie gesund. Auch Obst war im Ueberfluss vorhanden, aber die Erdbeerzeit war vorüber, und die einzigen gegenwärtig reifen und essbaren Früchte in dem grossen, schattigen Garten waren Johannisbeeren, denen es etwas an Poesie fehlt, und die noch prosaischeren Stachelbeeren.

      Doktor Tholozan und seine Frau waren in dem Garten umhergewandelt; sie hatten Stachelbeeren gegessen und alle Sehenswürdigkeiten von Banquerouteville-sur-Mer bewundert, und zweimal jeden Tag hatten sie eine Spazierfahrt auf staubigen Landstrassen und hübschen, heckenumsäumten Wegen gemacht. Aber, die Wahrheit zu gestehen, das Paar fühlte sich ein ganz, ganz klein wenig gelangweilt — ohne jedoch diese Thatsache, auch sich selbst gegenüber, auch nur einen Augenblick einzuräumen. Der Doktor rauchte etwas mehr, als gut für ihn war, und hatte etwas Heimweh nach seinen Patienten, seinem Klub und seinen ruhigen Abenden im grossen Atelier. Für einen Mann von sechzig Jahren hat es seine Schwierigkeiten, Gegenstände für die Unterhaltung mit einer neunzehnjährigen Frau zu ersinnen, und was kann wohl ein Mädchen von neunzehn einem Mann von sechzig zu erzählen haben? Einem jüngern Mann würde die goldige Zukunft Gesprächsstoff genug geliefert haben; mit sechzig Jahren ist jedoch die Zukunft für die meisten ein etwas peinlicher Gegenstand, und je weniger über die Vergangenheit gesagt wird, um so besser ist es.

      Das Ehepaar sass in einer Laube auf bequemen Sesseln, durch dichtes Weinlaub vor den feurigen Strahlen der Nachmittagssonne geschützt. Sie starrten in die Massen des sonnendurchglühten Blätterwerks, wahrscheinlich aus demselben Grunde, aus welchem die Sterne auf uns herabblicken, nämlich, weil sie nichts besseres zu thun haben. Endlich brach der Doktor das Schweigen.

      „Helene,“ sagte er, „ich fürchte, du musst deine jungen Gefährtinnen und das Leben in Madame Pouillys Hause vermissen.“

      „O nein,“ erwiderte das Mädchen mit einem sonnigen Lächeln, „mir ist alles neu, die ganze Welt liegt vor mir, und ich bin nicht mehr ohne Freund, Felix,“ fügte sie mit einem allerliebsten Erröten hinzu, während sie ihre zarten Finger mit den reizenden Grübchen an den Knöcheln auf die weisse, kalte Hand des Doktors legte.

      Ihr Gatte blickte sie mit einem erfreuten Lächeln an. Es war das erste Mal, dass sie ihn mit seinem Vornamen angeredet hatte.

      „Bei Madame Pouilly war es wirklich sehr triste,“ fuhr das junge Mädchen fort. „Dort waren wir nur Maschinen, und jede Stunde der Woche hatte in langweiliger Einförmigkeit ihre vorher bestimmte Beschäftigung. Und dann mussten wir so früh aufstehen. Jetzt stehe ich mitten in einem Wirbel; immer gibt es etwas Neues und Aufregendes. Unsre Reise nach England und die sonderbaren, feierlichen Menschen, die wir dort sahen, die so wenig sprachen und so viel assen, werde ich nie vergessen. Und dann muss ich immer an die beiden englischen Sonntage denken, und wie trübselig alle die guten Leute aussahen. In Paris ist es doch nicht so, in Paris sind die Leute lustig, nicht wahr?“

      „Ja, das ist unsre Beschäftigung in Paris, das traurige Geschäft unsres Lebens,“ sagte der Doktor mit einem tiefen Seufzer. „Wir sind ziemlich lustig in Paris, selbst die ganz Armen. Aber du darfst doch nicht zu viel erwarten, Helene, mein Kind, du wirst finden, dass es auch in Paris noch genug des Traurigen gibt, um den Wunsch in dir wachzurufen, dass du niemals dein stilles Heim bei Madame Pouilly verlassen hättest.“

      „O, ich werde so viel zu thun und zu bedenken und zu lernen haben! Ach, ich sehne mich so sehr danach, mein neues Heim zu sehen.“

      „Das that auch Madame Blaubart, mein Kind. Und sie war auch ohne Zweifel dort glücklich genug, bis ihr der Schlüssel zu dem geheimnisvollen Schrank in die Hände geriet und ihr Mann ihr den Kopf abschlagen wollte.“

      „Aber er hat ihr doch den Schlüssel gegeben, Felix. Er muss sie doch sehr gern gehabt haben, wenn er das that.“

      „Sie hat ihn ihm wahrscheinlich abgeschmeichelt, mein Kind.“

      „Wenn er sich den Schlüssel abschmeicheln liess, kann er doch nicht so schlecht gewesen sein.“

      „Das weiss ich doch nicht. Ihre fünf Vorgängerinnen hatten ihm ohne Zweifel auch der Reihe nach geschmeichelt, aber Boulotte fand sie trotzdem alle in dem blauen Schrank hängend, minus ihre kleinen Finger.“

      „Aber das ist ein Märchen, und zu Hause gibt’s keinen blauen Schrank,“ — die Worte „zu Hause“ sprach das Mädchen mit einem liebevollen Zögern aus — „nicht wahr, Felix?“

      Der Doktor lachte.

      „Ausserdem,“ fuhr sie fort, „hast du auch nicht das geringste von einem Blaubart an dir.“

      „Na, na. Ich bin ein schrecklich eifersüchtiges Ungetüm.“

      „Nun, wenn du darauf bestehst, für einen Blaubart gehalten zu werden, Felix, dann erzähle mir doch ’mal etwas von meinen unglücklichen verstorbenen Nebenbuhlerinnen.“

      „Ich bin keineswegs sicher, ob sie wirklich alle tot sind, mein Kind, namentlich Nummer eins. Sie hiess Ehrgeiz, und ich glaube, ich liebe sie noch immer.“

      „Bleib ihr treu, Felix, und ich werde dich nur um so höher achten — und lieben,“ und die helle Farbe ihres schneeigen Nackens verwandelte sich in ein zartes Rosa. „Und die Uebrigen?“

      „Die nächste hiess Geiz. Aber als mein armer Bruder starb, habe ich mich von ihr losgesagt, und sie ist schon lange begraben. Die Namen der andern drei habe ich vergessen, Madame Tholozan, seit ich das Vergnügen hatte, Ihre Bekanntschaft zu machen,“ sagte der Doktor mit einer altmodischen Höflichkeit, die ihm gar nicht schlecht stand.

      „O, Vormund!“ rief das junge Mädchen, sich unbewusst wieder der Anrede bedienend, an die sie bis vor kurzem gewöhnt gewesen war, „wenn du nur wüsstest, wie gern junge Mädchen eine kleine Schmeichelei haben. In der Schule hört man so ’was nicht.“

      „Doktor Tholozans Gattin wird in Paris genug zu hören bekommen und sie nach ihrem wahren Wert schätzen lernen, wie ich hoffe,“ fügte der Doktor hinzu.

      „Und sehnst du dich noch nicht nach Haus, Felix?“ fragte Helene nach einer gedankenvollen Pause.

      „Für einen Mann in meinem Alter, mein Kind, wird Gleichmässigkeit des täglichen Lebens eine Art von Notwendigkeit, aber dies Heraustreten aus ihr war sehr angenehm. Vielleicht wird es dich nicht kränken, Helene, wenn ich dir sage, dass ich mich niemals so glücklich gefühlt habe, als seit unsrer Verheiratung.“ Der Doktor sah zwanzig Jahre jünger aus, als er diese Worte sagte, und wieder stieg das verräterische Rot in die sprechenden Züge seiner Gefährtin.

      „Ich glaube, Helene,“ fügte er hinzu, „du wirst es zu Hause vielleicht weniger langweilig finden, als hier oder bei Madame Pouilly, du wirst wenigstens Gesellschaft haben.“

      „Die habe ich ja jetzt auch, Felix.“

      „Aber Gesellschaft deines Alters, Kind.“

      „Ja, Madame Pichon ist noch sehr jung, nicht wahr? Die Arme! Wie sehr sie leiden muss!“

      „Im Gegenteil, mein Kind, Sophie ist die Heiterste der Heitern.“

      „Dann wird sie mir wohl schwerlich gefallen, Felix.“

      „Sophie hat noch niemand missfallen. Du und sie, ihr werdet geschworene Freundinnen werden, noch ehe ihr eine halbe Stunde beisammen seid. Alle Welt erklärt Sophie für reizend, und alle Welt muss doch recht haben.“

      „Aber der Verlust, den sie erst vor so kurzer Zeit erlitten hat, Felix?“

      „Sie weiss ihn zu tragen, mein Kind. Alles wird denen zu teil, die zu warten verstehen, selbst ein zweiter Mann. Ich würde durchaus nicht überrascht sein, wenn ich bei unsrer Rückkehr hörte, dass Sophie sich getröstet hat. Mein Freund, der Maler, scheint einen grossen Teil ihrer Zeit in Anspruch zu nehmen, und Sophie sagt, für die Kunst könne sie alles thun, und ich zweifle keinen Augenblick, dass sie das ganz ernst meint, zumal wenn die Kunst durch einen jungen Maler von einnehmender Erscheinung verkörpert wird.“

      „Sie lieben sich also?“

      „Das


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