Die verhängnisvolle Phryne. F. C. Phillips

Die verhängnisvolle Phryne - F. C. Phillips


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      Madame Tholozan ergriff den Bogen schweren, parfümierten Papiers, den ihr Gatte ihr reichte, und las:

      „Lieber Vetter Felix!

      Wir sehnen uns sehr nach eurer Rückkehr, — wenn ich sage ‚wir‘, so meine ich damit Mr. Leigh und mich, — ebenso, wie alle unsre Bekannten, denen ich das reizende Bild Deiner Frau gezeigt habe, und die alle, besonders die Männer, vor Verlangen vergehen, sie persönlich kennen zu lernen. Die Schicklichkeit gestattet mir natürlich jetzt nicht, ohne weibliche Begleitung in Dein Haus zu gehen, obgleich der Auftrag, Madame Tholozans Boudoir einzurichten, meine tägliche Anwesenheit dort zur Notwendigkeit macht. Monsieur Leigh hat mir den Vorzug seines kunstverständigen Rats zu teil werden lassen, und das Ergebnis ist reizend. Er war Feuer und Flamme für die Sache und hat die Freundlichkeit gehabt, mich in alle Möbelmagazine zu begleiten. Du musst uns beiden sehr dankbar sein. Es war ein Werk der Liebe, aber manchmal kam ich furchtbar in Verlegenheit, denn die Leute in den Läden hielten mich ganz hartnäckig für Georges Braut, und daraus sind schreckliche Verwicklungen entstanden. Wäre ich eine eitle Frau, so könnte ich mir einbilden, er mache gern Einkäufe mit mir, aber mein Verstand sagt mir, dass er sich für seinen alten Freund so opferwillig gezeigt hat. Und nun muss ich noch eine Verschwendung eingestehen. Ich habe, ohne dass es George weiss, das Bild der Niobe von dem abscheulichen Monsieur Israels gekauft. Nie in meinem ganzen Leben habe ich mich so furchtbar geärgert, als da mir George ganz kaltblütig mitteilte, er habe es verkauft. Wenn er nicht in Geldangelegenheiten so ausserordentlich sorglos wäre, würde ich ihn für habgierig halten. Und dazu war er bei der Gelegenheit noch recht unartig. Als ich mein Erstaunen aussprach, sagte er: ‚Niobe war doch nur ein Küchendragoner.‘ Hat er sich wirklich unterstanden, mich mit einer Köchin zu vergleichen, oder hat er nur andeuten wollen, dass das, was der selige Pichon ‚meine reizende Fülle‘ nannte, in prosaische Dicke ausartet? Ich glaube, das Ungeheuer meint, ich würde zu stark. Ich weiss leider nur zu wohl, dass Dickleibigkeit das unangenehme Ende ist, dem Schönheiten meines anziehenden Typus unabänderlich verfallen. Du, Felix, als mein Vetter und Ehrenleibarzt, hast mir das oft genug mit der grausamen Rauheit der ernstern Männer Deines Berufs gesagt. Ich habe versucht, George alles zu erklären; ich habe ihm gesagt, dass ich monatelang eine besondre, schreckliche Diät befolgt und ekliges Zeug gegessen, und dass ich mir sogar Bonbons versagt habe, ein Trost, zu dem junge Frauen in meiner Lage gewöhnlich ihre Zuflucht nehmen. An demselben Nachmittag bin ich aber mit ihm durch die Champs-Elysées gefahren, und wir haben bei dem kleinen Châlet am Teich Eis gegessen, aber nicht deswegen habe ich das Châlet besucht — obgleich es dort bekanntlich das beste Eis in ganz Paris gibt. Nein, ich hatte einen prosaischern Zweck. Ich wollte mich wägen lassen, und ich bin gewogen worden. Fünfundsiebenzig Kilo, Felix, nicht ein Centigramm mehr! Ich habe kein Wort gesagt, aber ich habe ihm einen triumphierenden Blick zugeworfen, der ihn völlig ausser Fassung zu bringen schien, und dann teilte er mir eine sehr interessante künstlerische Thatsache mit, denn er erzählte mir, fünfundsiebenzig Kilo sei genau das Gewicht der mediceischen Venus. Aber das war nicht das Ende meines Triumphs. ‚Ihre Venus von Medici,‘ sagte ich, ‚mag fünfundsiebenzig Kilo gewogen haben; ich bezweifle aber sehr, dass sie Handschuh Nummer sechs getragen hat, wie ich.‘ Ich hielt ihm meine Hand hin und zu meinem grössten Aerger, bang! platzte mein linker Handschuh über die ganze innere Handfläche. (Dieser Brief ist natürlich vertraulich, und Du darfst ihn unter keiner Bedingung Deiner Frau zeigen. Selbstverständlich thust Du das doch, das ist ganz sicher, denn, wie ich meinem armen seligen Pichon so oft gesagt habe: kein grössrer Narr, als ein alter Narr.) Und nun muss ich Dir noch einen guten Rat geben. Wenn Du Dich nicht unglaublich lächerlich machen willst, ist es ganz und gar unmöglich, dass George in derselben Weise weiter mit Dir lebt, wie bisher. Die Anwesenheit einer jungen, reizenden und wahrscheinlich falschen Frau — denn alle hochblonden Frauen sind falsch — würde ihn bei seiner Arbeit sehr stören, und da er thatsächlich bezüglich seines Lebensunterhalts einzig und allein auf seine Kunst angewiesen ist, so wäre das wirklich zu bedauern. Seit ich ihm als Sigismonda und Niobe gesessen habe, ist mir oft der Gedanke gekommen, dass es besser für ihn wäre, wenn er heiratete; denn wenn seine Frau wirklich hübsch wäre, so könnte er die geradezu unglaublichen Summen ersparen, welche er jetzt für Modelle verschwenden muss. Es ist für einen jungen Mann doch recht schlimm, wenn er sich so fortwährend ungestört in der gefährlichen Gesellschaft einer Reihe junger und nicht allzu spröder Frauenzimmer von bedenklich einnehmender Erscheinung bewegt. Als ich ihm eine dahin zielende Andeutung machte, meinte er, er wolle zunächst abwarten, welchen Erfolg die Sache bei Dir habe, und dann seinen Beobachtungen gemäss handeln. Um jedoch auf das zurückzukommen, was ich oben gesagt habe: Monsieur Leigh kann nicht mehr hier wohnen. Als ich ihm klar zu machen suchte, dass das unpassend sein würde, meinte er, Du würdest das wohl selbst am besten beurteilen können; er werde nie ein Atelier finden, das ihm so gut passe, als sein jetziges, und die Art, wie er die Photographie Deiner Frau fortwährend betrachtet, ist wirklich eine schwere Geduldsprobe. Er behauptet, er studiere sie, und er hatte die Kühnheit, die Frage auszusprechen, ob sie ihm wohl sitzen werde. Ich wies darauf hin, wie unmöglich und ungehörig das sein würde, und darauf entgegnete er mit wirklich frevelhafter Undankbarkeit, er könne nicht einsehen, weshalb sie, seines alten Freundes Frau, ihm nicht sitzen sollte, da doch ich, seines alten Freundes Cousine, ihm auch gesessen hätte. Wir hätten uns beinahe darüber gezankt, und wenn er jetzt schon so ist, Felix, wie wird er sich erst anstellen, wenn sie wirklich hier ist, namentlich, wenn sie ihn ermutigt, was sie sicherlich thun wird? Ich vergehe vor Sehnsucht, meines Vetters Gattin schwesterlich zu begrüssen. Bitte, sag dem lieben Kind, dass, so niedergebeugt ich auch durch meinen kürzlichen Verlust bin, ich doch noch ein Plätzchen in meinem Herzen für sie habe. Komm, sobald Du kannst, Felix. Ihr müsst ja jetzt beide des parfait d’amour überdrüssig sein, und ich habe eine grosse Sehnsucht nach den glücklichen Abenden im grossen Atelier. Vergiss nicht, kein Wort zu George in betreff der Niobe! Lebe wohl! Stets Deine liebevolle, aber trostlose Cousine

      Sophie.“

      Mann und Frau blickten einander an. Der Doktor lächelte, und Frau Tholozan brach in ein silberhelles Lachen aus.

      „Madame Pichon,“ sagte sie, „erzählt uns sehr viel von ihrem Freund. Besteht da ein zartes Verhältnis?“

      „Mein Kind, meine Cousine hat sehr ausgesprochene Neigungen. Ich bin übrigens der Ansicht, dass sie beide etwas Schlimmeres thun könnten. Sie ist leicht hingerissen und sehr reich, und er ist ein Träumer, aber ein verständiger Träumer, trotz alledem. Sie werden dir, glaube ich, beide gefallen.“

      Der Doktor schloss die Augen. Er machte das Vorrecht des Ehemanns geltend und glitt rasch ins Land der Träume.

      Helene schlief nicht, doch auch sie träumte; aber es waren Tagesträume, — die strahlenden, sonnigen Tagesträume eines unerfahrenen Mädchens. Die Aussicht auf den Verkehr mit den beiden Liebenden, welche sich jetzt augenscheinlich fortwährend missverstanden; die unbekannten Freuden der heitern Welt, die vor ihr lag und welche die goldnen Herrlichkeiten der grossen Stadt des Vergnügens so bald vor ihr aufthun sollte, das alles erfüllte sie mit angenehmen Erwartungen, und lächelnd blickte sie auf den schlichten goldnen Ring an ihrem Finger und drehte ihn gedankenvoll hin und her. Und dann stieg das innigste Mitleid mit der untröstlichen Cousine ihres Gatten, der vom Gram gebrochenen Sophie, in ihr empor, und sie lächelte, als ihr einfiel, dass die Witwe offenbar auf sie, wenn auch nur im Bilde, eifersüchtig sei. Die ihr ganz neue Behauptung, dass alle blonden Frauen falsch seien, erschien ihr verwunderlich, und sie fasste den Vorsatz, durch eine kleine, sich in der allermildesten Form haltende Koketterie mit dem jungen Mann, der über das Gewicht der mediceischen Venus so genau Bescheid wusste, Rache zu nehmen. Als ihr Blick jedoch auf ihren schlummernden Gatten fiel, verwarf sie diesen Gedanken wieder als schlecht und unedel, und darüber schlossen sich die elfenbeinweissen Lider, und die strahlenden Augensterne verbargen sich hinter den langen Wimpern. Vor dem Geiste des schlummernden Mädchens stiegen Märchenbilder empor. Die schreckliche Geschichte vom Rotkäppchen und dem Wolf konnte es wohl nicht sein, vielleicht war es das Märchen vom Prinzen Wunderhold; wer kann es sagen? Glückliche Bilder waren es gewiss, denn das Mädchen lächelte im Traum, und als der Doktor zusammenfahrend erwachte und sich die Augen rieb, blickte er mit überraschter Bewunderung auf das vom Zufall geschaffne Bild Dornröschens, welches er vor sich sah.

      „Ah!“ dachte


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