Die verhängnisvolle Phryne. F. C. Phillips
noch nichts im Vergleich mit dem, was noch kommt. Ich hatte ihr nicht gestattet, das Bild zu sehen. Am Schluss der dritten Sitzung bestand sie aber darauf, und es war nichts zu machen. Ich drehte also die Staffelei herum, und wenn ich jemals ein wütendes Weibsbild gesehen habe, so war es da. Anfänglich war sie sprachlos, dann wurde sie totenblass, ballte die Fäuste und stampfte mit dem Fusse. ‚Herr!‘ schrie sie mit ihrer schrillen, durchdringenden Stimme — denn das Weib sprach, nicht die Schauspielerin — ‚ich hatte Sie beauftragt, mich als Muse des Schauspiels zu idealisieren, Sie aber haben eine nichtswürdige, erbärmliche und infame Karikatur gemacht. Sie haben mich als‘ — und hier schluchzte sie bitterlich — ‚als — ein leichtfertiges Frauenzimmer dargestellt, Monsieur Leigh. Aber ich werde mich rächen, ich bin nicht ganz ohne Freunde! Sie werden Sie in den Zeitungen herunterreissen, sie sollen Sie vernichten, verderben! Komm, Mama. Lass uns das Atelier dieses erbärmlichen Menschen verlassen, der sich nicht scheut, ein schutzloses junges Mädchen‘ (sie ist wenigstens vierzig) ‚zu beschimpfen.‘ Mit einer entrüsteten Handbewegung warf sie eine schöne Vase von alter Fayence auf den Boden, die natürlich in tausend Stücke zerschellte, und dann verliess sie das Atelier. Sie sehen also, welche Verlegenheiten mir meine Ehrlichkeit bereitet hat, denn ich habe sie so gemalt, wie ich sie sah. Sie ist ein leichtfertiges Frauenzimmer, wenigstens in meinen Augen.“
„Drehen Sie das Bild wieder herum,“ sagte die Witwe mit einem hübschen Zusammenschauern, „ich fürchte mich davor. Aber Ihre Erzählung erinnert mich daran, dass ich die Niobe auch noch nicht gesehen habe. Sagen Sie mir, Monsieur Leigh,“ und sie legte die Hand bittend auf den Arm des Malers, „Sie haben doch nicht auch ein leichtfertiges Frauenzimmer aus mir gemacht?“
Leigh würde wohl kaum so bereit gewesen sein, seine Staffelei umzudrehen, wenn die noch unvollendete Niobe nicht ein wirklich gutes Bild gewesen wäre. Es war in der That reizend; Frau Pichon war entzückt und klatschte in beinahe kindischem Jubel in die Hände. Und doch hatte der Maler seinem hübschen Modell nur Gerechtigkeit widerfahren lassen. Allerdings war es das Bild eines schönen Weibes in Thränen, aber wenn die Niobe dort auf der Leinwand Mutter von zwölf Kindern war, so sah man ihr ein dementsprechendes Alter nicht an. Der Künstler hatte die junge Witwe etwas idealisiert und aus einem Kinde dieser Erde eine Art weinenden Engel gemacht. Die grossen schwarzen Augen blitzten den Beschauer mit einem sehnsüchtig liebenden Blick an, der freilich den Ausdruck, mit dem die hübsche Frau Pichon Doktor Tholozans Mieter gewöhnlich ansah, getreu wiedergab. Er konnte ihr den Namen Niobe oder die Peri am Himmelsthor oder irgend eine andre romantische Bezeichnung geben. Man sah zwar ein Weib in Thränen, aber diese machten den Eindruck, als ob sie weder sehr bitter seien, noch sehr schwierig zu trocknen. Niobe war in der That so unleugbar hübsch, dass jeder gewöhnliche Beschauer Anstoss an dieser Auffassung einer Niobe genommen haben würde.
„Und Sie behaupten, dass Sie niemals schmeicheln, Monsieur? Sagen Sie mir ’mal ernstlich, gefällt’s Ihnen — mein Porträt, denn es ist mein Porträt? O, Monsieur George!“ rief die junge Witwe aufspringend. „Wie kann ich Ihnen danken?“ und sie ergriff seine beiden Hände.
Es ist immer eine verfängliche Lage für einen jungen Mann, wenn eine hübsche Frau ihn bei beiden Händen fasst, ihm mit überschwenglichen Worten dankt und ihn mit liebeglühenden Augen anblickt. Das sind Erfahrungen, welche gewöhnliche Männer nicht häufig machen, aber Künstler sind bevorzugte Leute. Wäre Leigh ein gewöhnlicher junger Mann gewesen, so würde er sofort auf die Kniee gestürzt sein und Frau Pichon Herz und Hand angetragen haben. Eine bessre Gelegenheit konnte sich ihm schwerlich bieten. Frau Pichon wäre jedenfalls selig und Doktor Tholozan ganz einverstanden gewesen, und die Gesellschaft würde in beifallspendendem Chor in ihre wohlbeschuhten Hände geklatscht haben. Leighs zahlreiche Freunde unter dem leichtlebigen Künstlervölkchen würden ihm zustimmend den Rücken fast wund geklopft und ihn einen „verfluchten Kerl“ genannt haben. Aber Künstler sind eben keine gewöhnlichen Menschen. George Leigh hielt der hübschen Frau Pichon Hände ruhig fest, versäumte es aber, deren begeisterten Druck zu erwidern, und machte nur einige hervorragend alberne Redensarten. Es war kein Blick der Liebe, womit er ihr ins Gesicht starrte und in ihre grossen, träumerischen schwarzen Augen sah, sondern nur eine Art künstlerischer Bewunderung. Frau Pichon hatte das Gefühl, als ob sie mit kaltem Wasser begossen würde und als ob etwas in ihrer Kehle emporstiege, als er statt der erwarteten Liebeserklärung einfach hervorstotterte: „Nein, Madame, ich bin nicht damit zufrieden. Ihre Augen gehen über meine Kräfte. Wenn Sie mir noch eine Viertelstunde gewähren können, will ich versuchen, ob ich mit dem Haar zustande komme.“
Nicht einmal die Cigarette hatte der Elende ausgehen lassen.
„Wie es Ihnen beliebt,“ sagte die Dame enttäuscht, und als der junge Mann sie nun zu ihrem Sitz zurückführte, sah sie mehr wie eine Niobe aus, als je zuvor.
Ruhig ordnete — oder richtiger, verwirrte — der Maler noch einmal das üppige Haar und zog sich dann wieder hinter seine grosse Leinwand zurück.
„Der Elende!“ sagte die Witwe bei sich, „der kalte, fischblütige, unbeholfne Tropf! Wie verschieden, wie so ganz anders würde sich der selige Pichon unter solchen Umständen benommen haben.“ Und ihre Gedanken wanderten unwillkürlich nach dem grossen Marmordenkmal auf dem Père-la-chaise, und zwei Thränen wirklichen Schmerzes — oder Aergers erschienen zwischen den langen seidnen Wimpern, welche die lieblichen Augen beschatteten.
Ja, George Leigh war augenscheinlich, was die Franzosen einen „Joseph“ nennen, ein herzloser, boshafter Joseph der schlimmsten Sorte.
„Mache ich Ihnen nicht sehr viel Mühe?“ fragte die verliebte Witwe nach einer langen Pause.
„Mühe, liebe Madame? Nein, wahrhaftig nicht! Sie sind das beste Modell, das man sich wünschen kann. In der Regel schwätzen die Modelle, und Sie haben gewiss seit zehn Minuten kein Wort gesprochen. Und dabei schwätzen sie meist Unsinn — und was für Unsinn! Wollen Sie so freundlich sein, das Kinn etwas zu heben, ich möchte versuchen, ob ich nicht den Lichtschimmer auf dem Haar festhalten kann.“
„Ah,“ dachte Niobe, als sie that, wie er gebeten, „an das Bild denkt er, nicht an mich. Ich glaube wahrhaftig, er betrachtet mich nur als eine Art lebendiger Gliederpuppe.“ Und sie warf einen feindseligen Blick nach der lebensgrossen Gelenkfigur von Papiermaché, die, als Niobe fertig drapiert, in einer Ecke des Ateliers stand. „Und was werden Sie mit mir anfangen, wenn ich vollendet bin, Monsieur Leigh?“ fragte sie nicht ohne Spannung.
„O, ich werde Sie nach dem ‚Salon‘ schicken,“ erwiderte der Maler in ruhigem, befriedigtem Ton.
„Und mich verkaufen?“ sagte die Witwe feierlich.
„Du lieber Himmel, nein,“ entgegnete der Künstler und betrachtete sein Werk mit halbgeschlossenen Augen. „Ich habe Sie schon lange verkauft. Israels nimmt alle meine Bilder.“
Die Witwe seufzte leise, aber dieser Seufzer ging an den Ohren des Enthusiasten vor der Staffelei ungehört vorüber.
Und wieder herrschte tiefes Schweigen.
Das war wirklich herzlose Undankbarkeit! Darum also hatte die schöne Frau Pichon so viele tödlich lange Stunden gesessen, als ob sie versteinert wäre, nur damit ihre lieblichen Züge von einem geldgierigen Fremden wiedergegeben und für die schmutzigen Banknoten eines filzigen Handelsjuden verschachert würden? Nein! Fleisch und Blut vermochten das nicht zu ertragen. Und die hübsche Frau Pichon, die unzweifelhaft von Fleisch und Blut war, sprang entrüstet auf.
„Ich fühle mich nicht ganz wohl, Monsieur Leigh,“ sagte sie mit Thränen in der Stimme. „Es gibt Augenblicke, in denen die Erinnerung an meinen lieben armen Pichon und der Gedanke an das, was ich mit ihm, dem von mir geschiedenen Engel, verloren habe, mich überwältigt. Sie müssen mich jetzt entschuldigen,“ fügte sie hastig hinzu, während sie ihre kastanienbraunen Flechten vor Leighs grossem venetianischen Spiegel sorgfältig wieder ordnete. Es waren zornige Augen, deren Glanz das Glas zurückwarf!
„Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich bin, liebe Madame,“ sagte der Maler.
„Sprechen Sie jetzt nicht mit mir, Monsieur Leigh,“ rief sie, ihn mit einer ungeduldigen Handbewegung abwehrend; „mein Herz ist