Die verhängnisvolle Phryne. F. C. Phillips

Die verhängnisvolle Phryne - F. C. Phillips


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sind doch sonderbare Geschöpfe,“ murmelte Leigh für sich, während er fortfuhr, nach der Erinnerung Lichter und Schatten in dem Haar aufzusetzen. „Sie muss Monsieur Pichon aber doch innig geliebt haben, das arme Kind.“ Und dann fing er an zu pfeifen:

      „Je suis le mari de la reine —

      Ri de la reine, ri de la reine.“

      Drittes Kapitel.

      Wir alle kennen Banquerouteville-sur-Mer. In der guten alten Zeit, als die Gerichtsvollzieher noch schöne Tage hatten und englische Verschwender noch beständig ins Gefängnis wandern wussten, war Banquerouteville-sur-Mer der viel ersehnte Hafen der Ruhe für Schuldner, die nicht bezahlen konnten oder wollten. Banquerouteville ist ein heiterer und billiger Ort, fünfundzwanzig Franken gehen aufs Pfund und ein Frank ist dort jeden Tag so viel wert, als ein Schilling, oder eigentlich noch mehr.

      Der gewöhnliche Grund, den Engländer für einen längern Aufenthalt in Banquerouteville geltend machen, sind die Vorteile, die es in Bezug auf Erziehung und Unterricht bietet, und es gibt in der That dort beinahe so viel Schulen, wie Hotels und Pensionen. Ueber die gute Beschaffenheit der Luft kann kein Zweifel bestehen, die Umgebung ist reizend, die Bäder herrlich und die Miete gering.

      Etwa eine Meile von der Stadt entfernt liegt das Château des Tourterelles. Es erfreut sich dieses Namens seit mindestens hundertundfünfzig Jahren, und wenn auch boshafte Menschen darüber spotteten und allerhand schlechte Witze über das Zusammentreffen machten, so war es doch ein rein zufälliger Umstand, dass das Château des Tourterelles das war, was wir in zweifelhaftem Deutsch ein Mädchenpensionat nennen würden. Frau Pouilly, die Vorsteherin, war eine ausserordentlich kluge Dame, und wenn es jemals eine gegeben hat, eine Frau von Welt. Sie hatte das Geschäft vor vielen Jahren für eine schöne runde Summe gekauft und hatte von vornherein verstanden, es so zu leiten, dass es sich bezahlt machte. Sie liess ihre jungen Mädchen nicht hungern und sie strengte sie nicht allzu sehr an, aber sie legte den Hauptnachdruck darauf, dass die Artikel, welche durch ihre Erziehungsfabrik gegangen waren, wenigstens dem äussern Eindruck nach, als wohlerzogene junge Damen mit den höchsten Grundsätzen daraus hervorkamen. Hatte sie das Missgeschick, dass ihr ein wirkliches schwarzes Schaf in die Hände geriet, so zögerte Frau Pouilly nicht einen Augenblick; die Missethäterin wurde aus dem Himmel des Château des Tourterelles in die tiefe Finsternis ausserhalb seiner kleinen Welt gestossen.

      Es war ein sehr geschäftiger Tag. Der Schulsaal war gefegt und geschmückt worden; dreihundert Rohrstühle, alle sorgfältig numeriert und in Reihen gestellt, waren von dreihundert Verwandten und Freunden der Frau Pouilly und ihrer Schülerinnen besetzt. Die Professoren (in Frankreich werden alle Lehrer Professor genannt, es kostet nichts und klingt ganz hübsch), in einen Halbkreis geordnet, boten einen ehrfurchtgebietenden Anblick dar — es war ihrer ein rundes Dutzend — und sie sahen, für diesen Tag wenigstens, wie zwölf Akademiker aus. Sie alle trugen die vorschriftsmässige weisse Halsbinde, die bei Franzosen das Zeichen eines ernsten Vorgangs ist. Und in Madames Erscheinung lag etwas überaus Erhabenes. Ihr reiches Kleid von schwerer schwarzer Seide, dessen Steifigkeit besser durch einen Vergleich mit einer Panzerplatte, als durch den sonst üblichen mit einem Brett beschrieben werden müsste, flösste dem männlichen Teil der Zuhörer unverkennbar Furcht und Achtung, den Damen unverhüllten Neid ein. Was von Madames Kleid ausging, das war kein sanftes Frou-frou, — nein, das war ein förmliches Krachen.

      Der Pfarrer von der Domkirche führte den Vorsitz. Die achtzig jungen Damen waren Bilder der Gesundheit und der Freude, denn die Feier galt der öffentlichen Preisverteilung, und nach ihrem Schluss begannen die grossen Sommerferien für die Anstalt der Frau Pouilly.

      Die jungen Damen sangen, spielten Chopin, deklamierten Racine, und bei jeder Leistung wurde der diskrete Beifall der Zuhörer etwas lauter. Hierauf verteilte der alte Geistliche die Preise und beschloss diesen Teil seiner Aufgabe damit, dass er Frau Pouillys ältester und hübschester Schülerin als Preis für allgemeines Wohlverhalten und stetige und erhebliche Fortschritte einen Lorbeerkranz aufs Haupt drückte. Wir würden diesen letzten Teil der Feierlichkeit für unglaublich lächerlich halten, in Frankreich denkt man anders, und der Schüler oder die Schülerin, welche so glücklich sind, mit dem Kranz geschmückt zu werden, sind auf dieses einfache Siegeszeichen ebenso stolz, als die erfolgreichen Ringkämpfer bei den olympischen Spielen des Altertums es waren. Als die Feierlichkeit vorüber war, verliessen die Zuhörer langsam den Saal, die Professoren verbeugten sich gegen ihre Schülerinnen und die Gäste, und dann wurden die jungen Damen sich selbst überlassen.

      Nach der Preisverteilung, dem grossen jährlichen Ereignis ihres jungen Lebens, sahen die Mädchen alle rot und aufgeregt aus. Es war wohl nicht eine unter sämtlichen Schülerinnen, die nicht mindestens ein rot gebundenes Buch mit Goldschnitt empfangen hatte. Sie trugen alle ihre besten Kleider, und zwar weisse, eine Farbe, welche den kleinern wohl sehr gut stand, für die grössere Mehrzahl der Schülerinnen dagegen kaum recht passte, denn diese bestand naturgemäss aus, wie man es nennt, aufgeschossenen Mädchen, unglückseligen Geschöpfen, deren Füsse, Hände und Ellbogen, für jetzt wenigstens, ganz ungebührlich entwickelt waren.

      Nur eins der jungen Mädchen bot einen auffallenden Gegensatz zu allen andern Pensionärinnen der Frau Pouilly dar. Sie allein unter der ganzen plappernden Schar konnte als anmutig bezeichnet werden. Ihr liebliches Antlitz trug einen gedankenvollen Ausdruck, und ihre grossen, klaren und offnen blauen Augen blickten träumerisch ins Leben. Ihr Haar war, wie das ihrer Gefährtinnen, den strengen Vorschriften der Anstalt entsprechend, sehr einfach geordnet, aber sie mochte ihre üppigen blonden Zöpfe noch so fest flechten und drehen, es kamen immer wieder hier und da widerspenstige kleine Löckchen zum Vorschein. Prachtvolles Haar war es, und seine Menge war überreich, aber nicht diese war seine hervorragendste Eigenschaft. An Helene Montuys Haar war das bemerkenswerteste seine Farbe, es war, was die Franzosen blond cendré nennen. In England sieht man diese Farbe kaum jemals, und selbst in Frankreich ist sie sehr selten. Ihre glücklichen Besitzerinnen sind unabänderlich tief schwärmerischer und meist etwas schwermütiger Gemütsart. Dass Fräulein Montuy ein romantisches und ein herzensgutes und fröhliches Mädchen war, konnte man auf den ersten Blick sehen, denn auf ihrem Schoss sass der Verzug und Plagegeist der Anstalt, ein Kind von sieben Jahren, mit Grübchen in den Wangen, das mit Entzücken die Bilder in einem der zahlreichen rotgebundenen Bücher betrachtete, die Fräulein Montuy als Preise zugefallen waren, und dessen Blätter das ältere Mädchen sorgsam umwandte.

      „Es ist wie ein Traum, Helene. Wirst du wirklich morgen Doktor Tholozans, des grossen Doktor Tholozan Frau? Und in Paris wirst du leben, in dem lieben, wundervollen, entzückenden Paris, von dem ich träume, das ich aber noch nie gesehen habe? O, wie sehr beneide ich dich, wie beneiden wir alle dich!“ sagte ein niedliches, zigeunerbraunes Mädchen an ihrer Seite.

      Helene lächelte. „Ich bin zwei Jahre älter, als du, Kind. Ich bin ja neunzehn, ganz furchtbar alt, wie ein Patriarch. — Aber sei unbesorgt, Luise, du wirst auch noch an die Reihe kommen.“

      Die beiden Mädchen verliessen die schwätzende Schar in dem grossen Schulsaal und traten durch die offne Thür in den kleinen, sauber gehaltenen Garten.

      „Du bist gewiss überglücklich,“ fuhr die jüngere Schülerin fort, während sie ihren Arm um den schlanken Leib ihrer Gefährtin legte.

      „Ich bin Doktor Tholozan ausserordentlich dankbar, denn ich bin doch schliesslich nur eine vermögenslose Waise. Ich habe es nicht gemacht, wie der Esel, liebe Luise, ich habe nicht lange zwischen den sprichwörtlichen Heubündeln geschwankt. Ich war überrascht und erstaunt, Luise, aber über meinen Entschluss war ich keinen Augenblick im Unklaren. Wenn du zwischen zwei Uebeln die Wahl hast, Liebste, dann wähle stets das kleinste. Ich hatte die Wahl, wahrscheinlich für den Rest meines Lebens hier bei Madame Pouilly zu bleiben, Butterbrote zu schneiden und zu streichen, Aufsätze zu korrigieren, den ganzen Morgen Tonleitern mit den Kleinen zu üben, während meine Abende der widerwärtigen Beschäftigung, ihre schauerlichen Strümpfe zu stopfen und die vierteljährigen Rechnungen aufzustellen, gewidmet sein würden, dies, — oder Doktor Tholozans Frau zu werden.“

      „Hat er seinen Antrag hübsch gemacht, Helene? War er sehr verliebt?“

      „Ach,


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