Die verhängnisvolle Phryne. F. C. Phillips

Die verhängnisvolle Phryne - F. C. Phillips


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in den letzten Jahren hier gut aufgehoben, denke ich, Leigh?“

      Der Maler sah ihn fragend an. „Gewiss, Doktor, weshalb fragen Sie?“

      „Weil ich im Begriff stehe, einen Schritt zu thun, der für uns beide Unbequemlichkeiten im Gefolge haben kann, mein junger Freund. Es darf Sie nicht überraschen, und ich hoffe, es wird Ihnen auch nicht unangenehm sein, vor allem aber machen Sie keine Einwendungen: binnen einer Woche werde ich mich wahrscheinlich verheiraten.“

      „Aha! Die Dame von angenehmem Aeussern und fünfunddreissig Jahren, von der Sie vorhin gesprochen haben, Doktor; die freundliche Frau, die Ihre letzten Lebensjahre verschönen soll?“

      „Es wäre vielleicht besser, wenn es so wäre. Mein Antrag ist übrigens noch nicht angenommen. Es ist immerhin möglich, dass die Dame Armut in Ehren und die Möglichkeiten, welche die Zukunft hübschen Mädchen immer offen hält, vorzieht.“

      „Sie ist also hübsch?“

      „Mehr als das, sie ist, was Sie, wie ich glaube, schön nennen würden. Hier, sehen Sie, ob sie Ihrem Ideal nahe kommt, Leigh,“ und Doktor Tholozan überreichte seinem Freunde eine Photographie.

      Als der Maler das Bild erblickte, fuhr er erstaunt empor.

      „Hat es Ihren Beifall, junger Freund? Billigen Sie meine Wahl?“

      „Sie ist reizend, Doktor.“

      „Nun, Leigh, Sie werden wahrscheinlich Gelegenheit haben, ihr selbst das sagen zu können,“ und dabei stiess der Heiratskandidat ein leises, spöttisches, sardonisches Lachen aus.

      Der junge Mann antwortete nicht, er studierte das Bild noch immer mit dem gespanntesten Interesse, und je länger er es betrachtete, um so mehr wuchs sein Erstaunen.

      „Sie haben mich noch nicht beglückwünscht, Leigh. O, entschuldigen Sie sich nicht,“ sagte der Doktor, als der Maler anfing eine Entschuldigung zu stammeln. „Gestehen Sie es nur offen ein, Sie sind überrascht über mein Glück, nicht wahr?“

      „Ich bin versunken in Bewunderung der Schönheit der Dame, Doktor.“

      „Nehmen Sie sich Zeit und behalten Sie die Photographie; sie kann Ihnen vielleicht von künstlerischem Standpunkt aus nützlich werden,“ fügte der abscheuliche Mensch hinzu.

      Leigh starrte den Doktor ungläubig an und murmelte einige unverständliche Dankesworte. Dann wurden seine Augen wieder unwiderstehlich, wie mit magnetischer Kraft, auf die Photographie gezogen.

      „Sie sind der Ansicht, dass ich mich zum Narren mache?“ fuhr der ältere Mann fort. „Hören Sie zu, ich will Ihnen die Geschichte der Dame erzählen. Ich habe das Original dieses Bildes von ihrer Kindheit an erziehen lassen. Sie ist jetzt erwachsen, und morgen werde ich ihr einen einfachen Vorschlag machen. Wenn sie will, bin ich bereit, sie zu heiraten; gefällt ihr das nicht, so kann sie als Lehrerin an der Schule, en der sie erzogen worden ist, verbleiben, und ich werde ihren magern Gehalt aus eignen Mitteln verbessern. Das Kind hat keine wirklichen Ansprüche an mich, und ich wäre der letzte, ein falsches Gefühl der Dankbarkeit auszubeuten, um mich ihr aufzudrängen. Sie wird schwerlich ihr Ideal in mir finden, Leigh, aber trotzdem wird sie einwilligen, meine Frau zu werden. Werft einem hungrigen Hund einen Knochen hin — das Vieh wird sofort danach schnappen. Ich bin der Knochen — ein trockner, hässlicher Knochen.“ Der Doktor blickte ins Leere und wartete auf eine Antwort seines Gefährten.

      Der Maler schwieg, er schien noch immer in Betrachtung des Bildes versunken. Weiche, traurige, träumerische Augen blickten ihn daraus an, als ob sie bei ihm Teilnahme suchen wollten. Die Stellung war natürlich und in ihrer ungekünstelten Einfachheit anmutig. In dem ausdrucksvollen Mund lag eine Weichheit, die an Schwäche grenzte, und während er das Bild betrachtete, verging die Zeit in Schweigen, das nur durch das Ticken der grossen Uhr à la Louis Quinze und das noch lautere Schlagen seines eignen Herzens unterbrochen wurde, ein Ton, der, wie der junge Mann fürchtete, beinahe an das Ohr seines Gefährten dringen musste.

      „Es scheint mir jedenfalls gelungen zu sein, Sie in Erstaunen zu setzen,“ hob Doktor Tholozan endlich an. „Ich werde Sie einige Wochen nicht sehen und dann meiner jungen Frau vorstellen, oder ich komme als abgewiesener Freier zurück, um mich von Ihrer Freundschaft trösten zu lassen. Sie wünschen mir kein Glück auf den Weg — das ist ein böses Omen, obgleich Spieler das Gegenteil behaupten. Nun ja, die Ehe ist eine Lotterie, vielleicht bringt mir also Ihr Schweigen Glück. Wer weiss? Gute Nacht, mein Freund, ich muss mich zurückziehen und versuchen vor der widerwärtigen Reise morgen, eine Nacht ruhigen Schlafs zu erlangen. Morgen mittag bin ich in Banquerouteville-sur-Mer. Ich werde Ihnen brieflich Mitteilen, welchen Entschluss die Dame gefasst hat. O, behalten Sie nur die Photographie, gute Nacht.“

      Sie schüttelten sich die Hände, und dann verliess der Doktor das Atelier, wobei er ein Liedchen pfiff, dessen Text lautete:

      „Marlbrouck s’en va-t-en guerre.“

      Zweites Kapitel.

      Unter Nichtbeachtung der drei grossen dramatischen Einheiten bitten wir unsere Leser sich um achtundvierzig Stunden zurückzuversetzen.

      Die Hitze in Paris war furchtbar. Die Boulevardbummler waren geflohen, die englischen und amerikanischen Vergnügungsreisenden waren zu Tausenden angekommen. Selbst das Quartier Latin war verlassen, denn die langen Sommerferien hatten eben begonnen, und wenn auch noch viele da waren, die allabendlich in ihre Wohnung zurückkehrten, so wandten sie doch tagsüber der heissen Stadt den Rücken und suchten sich in Auteuil oder sonstwo durch Bootfahrten auf dem Fluss, Landpartieen und Bäder zu erfrischen. Auch die Künstler waren alle fortgezogen, um malerische Gegenden aufzusuchen, und die besser Gestellten unter ihnen, die sich schon einen gewissen Namen gemacht hatten, suchten ihre Erholung in den zahlreichen Seeoder andern Badeorten. Der junge Leigh aber arbeitete noch tapfer in seinem grossen Atelier, das wahrscheinlich der kühlste Ort in Paris war, und Frau Pichon schob ihren alljährlichen Sommerausflug immer wieder hinaus.

      Doktor Tholozans Behauptung, der selige Pichon sei als Millionär gestorben, war keineswegs übertrieben. Dieser hatte Fräulein Sophie Plon wegen ihrer unleugbaren Schönheit geheiratet, das heisst, er hatte einen herrlichen Teint, ein Paar strahlender, lachender Augen und ein Köpfchen, dessen Haare bis zu den Füssen der jungen Dame reichten, gegen sein Vermögen eingetauscht, und er hatte damit kein schlechtes Geschäft gemacht. Wo er mit seiner jungen Frau erschien, wurden die so erhandelten Güter allgemein bewundert. Allein der alte Herr sollte sich seines Triumphs nicht lange erfreuen. Sechs Monate nach der Hochzeit starb Herr Pichon und hinterliess alles, was er besass, bis zum letzten Pfennig seiner jungen Witwe. Während der ersten drei Monate war ihr Gram schrecklich anzusehen. Bei der blossen Erwähnung des seligen Pichon brach sie in Thränen aus. Sie hatte auf einer der schönsten Stellen des Père-la-chaise einen ungeheuren Sarkophag von weissem Marmor, ohne Rücksicht auf Kosten, errichten lassen. Ihr Vetter, Doktor Tholozan, hatte auf ihren Wunsch eine pomphafte lateinische Grabschrift verfasst, die in Buchstaben von vergoldeter Bronze an dem Sarkophag angebracht war. Die Witwe hatte sehr geschmackvolle und sehr tiefe Trauer angelegt und war täglich zur Messe gegangen, bis sie mit der Unbeständigkeit der weiblichen Natur die Trauer plötzlich wieder abgelegt hatte, weil der junge Leigh, — der als Künstler und folglich als Sachverständiger sprach — in einem schwachen Augenblick gesagt hatte, dass Schwarz ihr nicht gut stände. Schon am nächsten Tage erschien Frau Pichon in einem entzückenden Anzug in der blassesten Lavendelfarbe im Atelier, — denn da sie, wie erwähnt, eine nahe Verwandte des Doktors war, so verbrachte sie einen grossen Teil ihrer Zeit in dessen Haus. Sie vertrieb sich die Langeweile dadurch, dass sie dem jungen Maler als „Niobe, in Thränen schwimmend“ sass. Er hatte eben eine Studie von ihr als „Sigismonda, die in tiefer Trauer die goldene Kapsel betrachtet, die das Herz ihres Guiscardo umschliesst“, vollendet.

      „Ah, Monsieur George,“ rief sie, als sie heute unerwartet in das Atelier des jungen Mannes trat, „Sie dürfen nicht schlecht von mir denken, weil ich das hässliche Schwarz abgelegt habe. Ich habe es nur aus Pflichtgefühl gethan, Monsieur George. Man muss es ertragen, schön zu sein, und ich habe meinen Empfindungen lediglich im Interesse der Kunst Gewalt angethan — und um Ihretwillen,


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