Die verhängnisvolle Phryne. F. C. Phillips

Die verhängnisvolle Phryne - F. C. Phillips


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Kaiserin wäre. ‚Sie sind kein Kind mehr, Mademoiselle, und die Zeit ist gekommen, wo Sie das Recht haben, von mir eine Erklärung über Ihre Stellung in der Welt und Ihre Aussichten für die Zukunft zu erwarten. Meine liebe junge Dame,‘ fuhr er fort, ‚meine Vormundschaft war die Erfüllung eines thörichten, einem sterbenden Freunde gegebenen Versprechens; ich war leider, einst — ein Schwärmer. Ja,‘ fuhr er fort, ‚ich war einst so einfältig, ein gefühlvoller Schwärmer zu sein, aber das ist lange her. Ihr Vermögen, mein Kind, bestand nur aus Ihres Vaters Schulden. Wenn es Ihnen gefällt, so können Sie als Madame Pouillys Hilfslehrerin hier bleiben,‘ mich überlief unwillkürlich ein Schauder. ‚Ich muss zugeben, dass diese Aussicht nicht verlockend ist,‘ fuhr der Doktor fort. ‚Wäre ich verheiratet, so würde ich Ihnen mit Freuden bei mir eine Heimat anbieten, allein so, wie die Verhältnisse nun einmal sind, wäre das bei Ihrem Alter unmöglich; ein so alter Hagestolz ich auch bin, es würde nicht schicklich sein. Ich habe Ihnen aber noch einen andern Vorschlag zu machen. Sie brauchen nicht zu erschrecken. Ich bin etwa sechzig und zwar auf der Schattenseite der sechzig, wie ich wohl zu bemerken bitte, nicht auf der sonnigen. Es wäre eine Unwahrheit, Mademoiselle, wenn ich sagte, ich liebte Sie.‘ Hier errötete ich furchtbar. ‚Das ist eine schlechte Gewohnheit, mein Kind, gegen die anzukämpfen Sie wohlthun werden. Ich liebe Sie nicht,‘ wiederholte er, wobei er sogar noch einen besondern Nachdruck auf das Wort ‚nicht‘ legte, ‚trotzdem bin ich bereit, Sie zu meiner Frau zu machen. Verstehen Sie mich indes nicht falsch. Ich biete Ihnen dies keineswegs aus Pflichtgefühl oder Freundschaft für Ihren verstorbenen Herrn Vater an, sondern lediglich als einen Ausweg aus einer unangenehmen Lage‘“

      „O Helene, das hat er doch gewiss nur gesagt, um dich auf die Probe zu stellen.“

      „Unterbrich mich nicht, Liebe. Doktor Tholozan und ich sind sehr nüchterne Leute, gewohnt, den Thatsachen ins Gesicht zu sehen,“ bei diesen Worten zuckten ihre Lippen sichtbar. „‚Meine liebe junge Dame,‘ fuhr er fort, ‚meine Berufstätigkeit wirft eine gute Einnahme ab; ich wohne in einem grossen Haus, das mein Eigentum ist und wohl seine hunderttausend Franken wert sein mag. Geld habe ich aber nicht gespart. Wenn Sie es für der Mühe wert erachten, um eines Kapitals willen, welches Ihnen den erbärmlichen Betrag von fünftausend Franken jährlich einbringen wird, meine Frau zu werden, will ich Ihnen mein Haus nach meinem Tode vermachen. Allein Sie dürfen nicht ausser acht lassen, dass der Vertrag zwei Seiten hat, denn es ist ein Vertrag, nichts mehr und nichts weniger. Zunächst kommt in Betracht, dass ich ein sehr alter Mann werden kann, und das ist an sich schon ein ungünstiger Umstand für Sie. Jedenfalls erwarte ich von meiner Frau, dass sie meinen Freunden die Ehren des Hauses erweist, dass sie mir in den Augen der Welt Anerkennung verschafft, mir niemals ungehorsam ist, mir nie Schande und vor allen Dingen mich nie lächerlich macht.‘ ‚Doktor Tholozan,‘ sagte ich. ‚Halten Sie ein, Mademoiselle, keine übereilte Antwort! Mit Ihrer Erlaubnis werde ich in Madame Pouillys allerliebsten Garten gehen und eine Cigarette rauchen; das wird Ihnen Zeit geben, sich die Sache zu überlegen, und dann werde ich kommen, um mir Ihre Antwort zu holen.‘ Mein Vormund stand auf, hob die Spitzen meiner Finger zu seinen Lippen empor, ging dann nach einer tiefen Verbeugung in den Garten und überliess mich meinen Gedanken.“

      „O, Helene, wie grässlich!“ rief ihre Vertraute. „Dein Vormund ist ein schlechter Mensch, ein ganz schlechter Mensch!“

      „Sag das nicht, Luise, denn morgen wird Doktor Tholozan mein Gemahl werden, und ich muss versuchen, meinem — meinem Vertrag die beste Seite abzugewinnen,“ fügte sie mit einem leisen Seufzer hinzu. „Aber höre erst das Uebrige und dann beurteile mich, wie du willst, aber nicht zu streng, liebe Freundin. Zehn Jahre bin ich in diesem Hause gewesen, zehn lange Jahre, ohne Unterbrechung, und zehn lange Jahre habe ich mich nach einem eignen Heim gesehnt. Du und die andern, liebe Freundin, ihr seid in eure glückliche Heimat, zu euren Vätern, euren Müttern und lieben Verwandten gegangen — ich, Luise, ich habe keinen Freund auf der ganzen weiten Welt, als Doktor Tholozan. Während der letzten drei Jahre ist mir dieser Ort wie ein Gefängnis erschienen, und das einzige Mittel, ihm zu entrinnen, ist, dass ich Doktor Tholozans Frau werde. Deshalb werde ich ihm morgen zum Altar folgen, und es soll wahrlich nicht mein Fehler sein, wenn er mich nicht nach kurzer Zeit liebt. Er ist ein weltberühmter Mann, und eines solchen Mannes Gattin zu sein, ist eine Ehre. Das habe ich ihm gesagt, als er zurückkam. Er lachte nur leise, klingelte und liess Madame Pouilly um eine Unterredung bitten. Als sie ins Zimmer trat, machte er eine tiefe Verbeugung. ‚Madame,‘ sagte er, ‚es wird Sie kaum überraschen, wenn Sie hören, dass meine Mündel und ich im Begriff sind, durch ein noch engeres Band vereinigt zu werden. Ich habe die Ehre, Ihnen die junge Dame vorzustellen, die alsbald meine Gattin werden wird. Gestatten Sie mir, diesen freudigen Anlass zu benutzen, Ihnen meinen Dank für die mütterliche Sorge auszusprechen, die Sie ihr so viele Jahre lang in so reichem Masse haben zu teil werden lassen. Wir hoffen, Sie werden uns die Freude machen, dies geringe äussere Zeichen unsrer Dankbarkeit anzunehmen.‘ Dabei überreichte er ihr ein Leder-Etui. ‚Wir müssen noch zwei andre Vergünstigungen von Ihnen erbitten, liebe Madame, nämlich, dass Sie die Freundlichkeit haben, bei der bevorstehenden Trauung uns die Ehre Ihrer Gegenwart zu schenken, und dass Sie gestatten, dass die Hochzeit von diesem Hause aus stattfindet. Die erforderlichen Schritte und Anmeldungen bei den kirchlichen und bürgerlichen Behörden habe ich gethan und besorgt. Da Mademoiselle Montuy keine lebenden weiblichen Verwandten hat, so würden Sie uns weiter zu grossem Danke verpflichten, wenn Sie die Mühe übernehmen wollten, ihr eine passende Ausstattung zu beschaffen.‘ Dabei händigte er ihr eine Anweisung auf fünftausend Franken ein. Mein zukünftiger Gemahl ist jedenfalls freigebig. Madame brach in eine Flut von Glückwünschen aus, und der Doktor liess sie ausreden. Er fühlte offenbar, dass sie nur mit frischer Kraft beginnen würde, wenn er sie unterbräche. Als Madame ihre Redensarten erschöpft hatte, sah er nach der Uhr. ‚Ich fürchte, ich habe Ihre kostbare Zeit schon allzu lange in Anspruch genommen,‘ sagte er, und dann küsste er wieder meine Fingerspitzen und empfahl sich, ohne die von Madame wiederholt angebotenen Erfrischungen anzunehmen. Seitdem habe ich ihn nicht wieder gesehen, Luise; das war vor drei Tagen, und morgen werden wir Mann und Frau.“

      „Aber er liebt dich, Helene, er liebt dich ganz gewiss. Diese funkelnden Ohrringe und der wundervolle Ring beweisen das ganz klar.“

      „Ja, in gewisser Art, Kind, vielleicht in einer gewissen Art,“ entgegnete das ältere Mädchen nachdenklich. „Allein wir dürfen nicht vergessen, dass im Altertum die Opfertiere mit Blumen geschmückt wurden; das ist meine Ausschmückung, Luise, und das Opfer findet morgen statt. — Doch nein, ich thue ihm unrecht,“ sagte das Mädchen und richtete sich stolz empor. „Es ist kein Opfer, es ist nur ein Vertrag, und ich will versuchen, meinen Teil des Uebereinkommens getreulich zu erfüllen.“ Als sie diese Worte sprach, zitterten ihre Lippen wieder. „Gott verzeih’ mir!“ rief sie, „Gott vergib mir!“ Und dann warf sie sich ihrer Freundin an die Brust und brach in einen Strom von Thränen aus.

      Viertes Kapitel.

      Doktor Tholozans Flitterwochen waren mehr als zur Hälfte vorüber. Den ersten Teil hatte er in Folkestone verlebt, und jetzt wollte das neuvermählte Paar die Freuden des Landlebens und die Süssigkeiten des dolce far niente geniessen.

      Für den Augenblick gaben sich Doktor Tholozan und seine Frau mit vollen Zügen diesem Genuss hin. Dem äussern Anschein nach waren sie von nagenden Sorgen jeder Art frei. Die junge Frau hatte keine Veranlassung, tägliche, schreckliche Verhandlungen mit der Köchin zu fürchten, denn die aufmerksame Fürsorge der Frau Pouilly hatte für die Villa „die beiden Grenadiere“ eine Künstlerin von unübertrefflicher Vorzüglichkeit in Dienst genommen, eine Frau von feiner Empfindung und fruchtbarer Einbildungskraft, welche die dreihundert Speisezettel des Baron Brisse an den Fingern herzählen konnte, eine gewissenhafte Frau, die sich eher in ihrem eignen Backofen zu Tode geröstet, als eine schlechte Mahlzeit auf den Tisch geschickt haben würde. Weder der Doktor noch seine Frau hatten England früher schon besucht gehabt, und die Ereignisse des täglichen Lebens in dem englischen Badeort war ihnen gewissermassen eine Offenbarung gewesen. Jetzt aber waren sie wieder in Frankreich und hatten sich auf vierzehn Tage in der reizenden kleinen Villa bei Banquerouteville, welche Einheimischen und Fremden unter dem Namen „die beiden Grenadiere“ bekannt ist, niedergelassen. Die Villa war das schönste, was ein neuvermähltes Paar


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