Wünsch dich ins Märchen-Wunderland. Martina Meier

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      Die and’ren, sie kamen und bewunderten ihn,

      so alt und so weise der Uhu gar schien,

      doch auf Fragen wie diese er lächelte mild

      und erklärte, viel schöner noch sei sein Bild.

      Die glitzernden Bäche unter dem Baum,

      das ewige Grün im unendlichen Raum,

      der Himmel so wolkenlos und so frei –

      ja, jeder, der lebte, der kam hier vorbei.

      Und der Uhu, er lauschte und gab seinen Rat,

      wann wer auch immer ihn darum bat,

      und die Tiere, sie waren für ihn sein Zuhaus’,

      ja, die Sorgen, sie nahmen sogleich gern Reißaus.

      Doch dies ist nun Jahre, Jahrzehnte gar her,

      erinnern kann sich kein Einziger mehr,

      doch gute Erinnerung schreibt so viel nieder

      und eines Tages kommt der Uhu sicherlich wieder.

      Carola Marion Menzel wurde 1999 in Heidelberg geboren. Ihre Hobbys: Schreiben, Tanzen, Zeichnen, Kino, Theater, Flötenunterricht geben. Sie kann schon auf zahlreiche Kurzgeschichten ihm Rahmen von Schreibwettbewerben und Anthologien sowie ihren ersten Roman bei Papierfresserchens MTM- und dem Herzsprung-Verlag blicken. Info: carola-marion-menzel.npage.de.

      *

      Stärker als der Tod

      Es war ein Tag, wie Poseidon ihn mochte. Er schickte Blitz und Donner, bevor seine Tochter Iphigenie das Licht der Welt erblickte. Irgendwas hatte er trotzdem falsch gemacht, denn es sollte eigentlich ein Sohn werden. Die Kleine hatte ein winziges Gesicht mit großen Segelohren und murmelgrünen Kulleraugen. Schon als Kind war sie auffallend musikalisch. Sie spielte ständig auf ihrer Weidenflöte und beschwor dadurch eine ganz besondere Atmosphäre herauf. So fiel den Menschen um sie herum wieder ein, was sie vergessen, verloren oder geliebt hatten.

      Das Flötenspiel beherrscht sie noch heute, es inspiriert zu neuen Ideen und macht mit jedem Ton selbst den Zweiflern Mut. Deshalb ist Iphigenie überall gern gesehen und eingeladen. Das gefällt Poseidon und er spricht voller Stolz über seine Tochter. Inzwischen ist aus der Kleinen, die im höchsten Maße kurzsichtig zu sein scheint, eine junge Frau geworden. Zum Ausgleich nehmen ihre Ohren das minimalste Geräusch wahr und in Momenten, in denen sie an gar nichts denkt, der Kopf einfach nur ganz leer wird, hört sie sogar zu ihrem Schrecken die Gedanken der Menschen um sie her. Eine schreckliche Begabung.

      Es ist wieder mal Sommer geworden. Seit Längerem schon hält Iphigenies Tante jeden Morgen am Strand Ausschau nach Muscheln und feinen weißen Marmorstücken. Sie werden alle zur Verschönerung der edlen, ausgebauten Felsenhöhle Poseidons gebraucht. Hier demonstriert die geliebte Tante der jungen Nichte ihre Fähigkeiten, indem sie alles wohnlich und passend dekoriert.

      Iphigenie hat die Flöte unter dem Umhang am Gürtel hängen und kann es kaum erwarten, ins Wasser zu schauen. Ihre kurzsichtigen Augen weiten sich und leuchten dabei eigentümlich. Da, sie kann es deutlich erkennen! In der Tiefe verborgen liegt eine magische Unterwelt. Sie ist ein verborgenes Paradies. Iphigenie kann sich dem Zauber dieser geheimnisvollen Welt nicht mehr entziehen. Dreimal muss sie von ihrer Tante angesprochen werden, damit sie in die Wirklichkeit am Strand zurückkehrt.

      Iphigenie ist verzaubert vom Anblick dieser geheimnisvollen Welt und berichtet, so schnell sie kann, ihrem Vater davon. Er zupft brummelnd an seinem langen weißen Bart und glaubt ihr nicht. Er beauftragt die Tante, sich um seine Tochter und ihre Spinnereien zu kümmern. Es gelingt Iphigenie, ihre Tante mit ihrem Flötenspiel so zu begeistern, dass diese mit ihr anschließend gemeinsam zum Strand hinuntertanzt. Dort zieht sich Iphigenie die dünnen Sandalen von ihren Füßen und genießt den warmen Sand, der zwischen den Zehen und an den Fußsohlen kleben bleibt. Ihre Tante kann trotz größter Anstrengung die magische Unterwelt nicht entdecken und auch die vielen herbeigerufenen Nachbarn und Freunde erkennen nichts im Wasser. Einer jedoch, Amand, der größte Nebenbuhler Poseidons, der glaubt ihr sofort jedes Wort. Er sucht selbst schon lange nach diesem Paradies und hofft, Reichtümer dort zu finden.

      In der Nacht entführt er Iphigenie überraschend und hält sie, an einen Baum gefesselt, auf einer Nachbarinsel gefangen. Sie soll ihm um jeden Preis den Weg zum versunkenen Paradies zeigen.

      Sein schwarzer Bart flattert im Wind, als er mit ihr wenig später in einer sternklaren Nacht zum Strand von Poseidons Land mit einem selbst gebauten Floß hinüberfährt. „Es ist hell genug heute. Mond und Sterne reichen aus, um mir die Stelle am Strand zu zeigen, von der aus ich endlich das Paradies sehen kann. So wie du es gesehen hast, Iphigenie. Los, wenn dir dein Leben lieb ist, zeig es mir, und zwar sofort.“

      Iphigenie hört die grausamen Worte. Er will sie also töten. Und sie erfährt, warum er dies auf jeden Fall machen wird. Amand hofft, ihr Tod breche dem starken Poseidon das Herz und er könne an dessen Stelle endlich die Herrschaft übernehmen.

      Die Wachen am Strand haben die beiden noch nicht bemerkt. Die Suche nach Iphigenie soll laut dem Befehl Poseidons so lange fortgesetzt werden, bis man sie gefunden hat. Seit ihrem Verschwinden kontrollieren die Wachen den Strand rund um die Uhr. Sie haben sich um einen brennenden Holzstoß versammelt.

      Das Licht der Fackeln flackert im kalten Wind, als Poseidon zu seinen Männern tritt. Er scheint um Jahre gealtert. Er vermisst seine Tochter so sehr und wünscht sich nichts sehnlicher, als das vertraute Flötenspiel zu hören und zu wissen, es gibt etwas in der Welt, das etwas ganz Besonderes ist. So wohltuend und befreiend, dass die Worte hierfür fehlen und es sich nur in Musik ausdrücken lässt.

      Da hört er plötzlich Iphigenie lauthals um Hilfe schreien. „Vater, Vater, rette mich, ich bin hier!“

      Die Wachen greifen nach ihren Schlagringen und Stöcken und laufen gemeinsam mit Poseidon auf Iphigenie und den gnadenlosen Amand zu. Der Himmel ist erhellt von Blitzen, die Poseidon zornig wie brennende Sicheln über ihn hinwegsausen lässt.

      Während die bewaffneten Männer schreiend auf die beiden losstürmen, zieht Amand die zitternde Iphigenie fest an sich und drückt ihr die Kehle zu. „Poseidon, hör auf mich, willst du deine Tochter zurückhaben, dann schick deine Wachen fort! Geh mit ihnen heim und Iphigenie wird kein Haar gekrümmt. Ich will nur das versteckte Paradies sehen. Alles andere ist mir egal. Danach brauche ich sie nicht mehr. Einverstanden?“

      Poseidon brüllt wütend: „Und wenn ich nicht einverstanden bin?“

      Amand spuckt in den Sand. „Dann hast du deine Tochter heute das letzte Mal gesehen. Entweder erwürge ich sie oder ich stoße sie direkt ins Meer.“

      Poseidon hebt seinen Dreizack und der Hall eines furchtbaren Donnerschlags lässt alle wie betäubt zu Boden stürzen. Nur Poseidon steht aufrecht da, mit zerzausten Locken und grimmigem, rot glühendem Gesicht. „Wehe dir, Amand, mich forderst du nicht noch einmal heraus!“ Plötzlich liegt ein dünner Nebelschleier wie ein feiner Pulverhauch über dem Strand. Darin sind Amand und Iphigenie spurlos verschwunden. „Nein! Iphigenie, meine Tochter! Wo bist du?“

      Als der Nebel sich lichtet, erheben sich die Wachen und reiben sich ihre schmerzenden Köpfe. Sie rufen: „Was ist bloß passiert?“, und laufen aufgebracht am Strand hin und her.

      Poseidon befiehlt mit eisiger Stimme, dass der Strand abgesucht und jeder Schlafende sofort geweckt werden müsse, um bei der Suche nach seiner Tochter zu helfen.

      Mit Hunderten von Fackeln und spitzen Stöcken wird wenig später jeder Winkel und jeder Meter des langen, breiten Strandes durchkämmt. Erfolglos. Die Wolken schieben sich vor den Mond, als Poseidon mit gebrochener Stimme das Ende der Aktion ausruft.

      Mit aschfahlem Gesicht sitzt er am nächsten Morgen vor seinem Frühstück. Er kann nichts essen, so speiübel ist ihm nach dieser furchtbaren Nacht.


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