Nach vorne!. Stefan Reusch

Nach vorne! - Stefan Reusch


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geschuldet und Onkel Puskás wird nicht müde, zu betonen, dass er Mark van Bommel und Daniel van Buyten mit dem Fuß im eigenen Hinterteil schwindelig spielen würde – diese Dupas. Kurva! Alles Dupas! Unterbrochen werden all diese eindringlichen Kommentare nur von dem ein oder anderen Honigschnaps, der runterläuft wie Öl und seine Wirkung nicht verfehlt. Dass ich nach dem Besuch der beiden regelmäßig einen ausgedehnten Nachmittagsschlaf brauche, sie aber fröhlich mit dem Auto nach Hause fahren, fällt mir immer erst spätabends auf, wenn ich müde das Aktuelle Sportstudio verfolge und meine Frau sich telefonisch bei meiner Schwiegermutter beschwert.

      Wie auch immer – der Besuch der beiden Herren ist in der Tat ein wirklich schönes Ritual geworden, völlig egal, dass dabei immer die Spiele der Bayern geguckt werden. Im Gegenteil: Ich freue mich sogar auf Leute wie Mark van Bommel, Daniel van Buyten oder Luca Toni, weil ich weiß, dass die bald ordentlich und ungeschminkt was verpasst bekommen – zwar nicht auf dem Rasen, aber in meinem Keller. Von zwei älteren Herren, von denen einer nach einer ungarischen Fußballlegende benannt ist und der andere Miro Klose mit einem Schaumstoffball von IKEA zeigt, wie man das Runde ins Eckige bringt – dort unten in meinem Keller bei einem Gläschen Honigschnaps.

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      Die erste Geschichte ist mir so nie passiert. Und ich würde sie ungern einer Anekdotensammlung mit dem Titel „Drei persönliche Anekdoten rund um den Fußballsport“ hinzugefügt haben, da ich aber nur zwei Anekdoten kenne bzw. mir behalten habe, und das nicht mal richtig, was soll ich tun. Aufgeben? Nein! Zumal die Kraft jener Geschichte den zugegebenen, den offen zugegebenen Mangel mehr als wettmachen kann. Sie muss. Und: Es ist ja eine persönliche Geschichte. Sie ist halt bloß nicht mir passiert! Ich kann ja nicht überall sein!

      Die folgende Geschichte ist jemandem passiert. Ich kann nichts für sie, doch das macht mich nicht neidisch, mir ist genug anderes passiert. Ach, ich könnte Geschichten erzählen, einige zum Abschluss bringen, viele mehr noch beginnen, jedoch will ich es bei zwei abgeschlossenen Anekdoten – eigenen! – bewenden lassen. Und bloß Anekdoten. Nichts Protziges.

      Die eine – nein, ich wollte ja mit der nicht-persönlichen Anekdote beginnen, aber die Reihenfolge ist egal, mir egal, ich kenne ja alle, auch die nicht-persönliche. Mit ihr werde ich beginnen, zumal und immerhin sie mit Fußball zu tun hat. Nicht direkt zwar – das hat die zweite, die meinetwegen zweite, die hat das. Hätte das.

      1. Die erste bzw. die, die ich jetzt, ohne sie als meine auszugeben, was ja auch falsch wäre, erzählen werde, spielt nicht etwa, wie so unnötig viel dieser Tage, in China, sondern im Mutterland des Fußballsports; das ist für die einen – ich weiß – China: Da ritt er, rababerrababer, der einsame Hunne, durch die chinesische Steppe, ein trauriges tsuh-kü tsuh-kü – „mit dem Fuß stoßen, mit dem Fuß stoßen“ – rufend, klagend, ausstoßend, ach so irrend ritt er, ritt er? Ja, er ritt… Ich weiß nicht. China ist – so oder so – nicht der Ort der ersten Geschichte. Nein, nein, weit gefehlt, so weit wie der unglückselige Luca Toni, gestern wie eine nasse Rigatoni … Aber sagt man „weit gefehlt“? Nicht eher „weit verfehlt“? Die erste Anekdote trug sich zu in England, dem Mutterland des Fußballsports, des modernen Fußballsports.

      Zu Manchester weilte einst mit einer Gruppe barhäuptiger Männer, es war in den Achtzigern des letzten Jahrhunderts, ein junger Mann, Wolfgang, Anhänger des formidablen Fußballsports. Wie im Übrigen auch all seine Begleiter Anhänger des Fußballsports waren. Und alle kamen sie aus Deutschland. Und sie waren nicht wenig gespannt auf diese Fußballhochburg, denn für nichts anderes durfte Manchester schon damals gelten, vor allem durch United. Manchester City befand sich damals in einem Leistungsknick, der strenggenommen erst in den letzten Jahren endete.

      Bleiben wir bei den jungen Männern aus Deutschland. Die Aufregung hatte sie recht tüchtig bei den Ohrwatschen gepackt, als sie wehenden Haares, barhäuptig wie sie waren, in die Vereinskneipe von United gingen. Es war gegen Abend. Fachkenntnisse fügten sich zu Englischkenntnissen, und so geriet man füglich ins Gespräch, scherzte, lärmte und trank Bier eines lokalen Anbieters. Freilich entging den hellhörigen Gastgebern nicht, dass die zunehmend ihre Zurückhaltung verlierenden Gäste wohl kaum im Fußballmutterland aufgewachsen sein konnten. In keinem der Fußballmutterländer. Auch nicht in China. Das sah man ja. Das andere hörte man jedoch. Da kam nun einem schwergewichtigen ManU-Fan die Idee allgemeiner Verbrüderung, bloß galt es ihm noch, letzte Vorbehalte auszuräumen, Vorbehalte, die Herkunft der Gäste betreffend. Wichtig ist es, darauf hinzuweisen, dass man sich besagten Manchester-United-Anhänger als jemanden vorzustellen hat, der zwar nicht ausschließlich, aber hauptsächlich aggressiv zu wirken verstand. Dies gepaart mit einem gesunden, aber knapp bemessenen Menschenverstand und diese Erscheinung wiederum flankiert von einigen durchaus ähnlich stabilen jungen Menschen, das machte Eindruck auf die jungen Besucher. Da hob der gewichtige Mann an, ich übersetze ihn der Einfachheit halber: „Wir sind Fußballfans“, sagte er, „wir alle hier sind Fußballfans.“ – „We also. Good this is“, erwiderte Wolfgang froh. „Und“, jetzt wieder der andere, „wir mögen alle Fußballfans. Alle. Bis auf die deutschen. Wo kommt ihr her?“

      Finster war’s in der Schenke, Furcht griff nach jungen Herzen, hie und da wackelte ein Knie. „We are Holländer“, hauchte Wolfgang wortgewaltig. Da zischte es ihm ins Ohr: „D’s heißt anders!“, und es folgte lauter nun, ein Verbesserungsvorschlag: „We are Netherländer.“ Wolfgang präzisierte: „From Feyenoord.“ Da freute sich der üppige Mann aus Manchester sehr, und auch seine Kollegen waren’s zufrieden. Zügig ward Bier geordert, ein jedes präzise bis zum Rand hochgezapft, dann verteilt, die Gläser erhoben sich wie von selbst, alle Deutschen verschütteten ein wenig, was soll’s, die Stimmung versprach endgültig ins Herzliche zu kippen. Gütlichkeit schwappte schier ins Hochkante, da wurde den Gästen noch eine einzige Frage gestellt: „Was heißt denn bei euch ‚Prost‘?“ Stille, kurz, dann: Zwei Gläser schwappten über, hörbar über, ein Knie knickte weg, kaum hörbar das, und ManU-Männeraugen verengten sich unhörbar. „Was heißt denn bei euch ‚Prost‘?“ Da aber kam es wie ein Leuchten aus Wolfgangs schweißfeuchter Stirn, er erhob sein Glas, seine Stimme füllte den Raum mit einem erlogenen, doch herzlichen „Op de Grachten“. Und noch mal: „Op de Grachten!“ Da war’s getan, wie man so sagt, und alle feierten, bis der Morgen graute.

      Wochen später sollen, so heißt es, einige niederländische Fans in nämlicher Gaststätte böse verprügelt worden sein, man hatte sie irrtümlich für Deutsche gehalten, aber das gehört nicht hierher, gehört nicht mehr zu dieser Anekdote, dieser persönlichen Anekdote, die ich nicht erlebt habe.

      2. Sehr lustig bzw. bedauerlich war die erste Geschichte, die ich nicht erlebt habe bzw. weil ich sie nicht erlebt habe. Aber vielleicht fahre ich ja mal hin. Die zweite Geschichte ist meine, ganz und gar. Keiner hat sie je erzählt oder auch nur für erwähnenswert gehalten. Ich ja auch nicht. Aber mit dem Titel „Drei persönliche Anekdoten rund um den Fußballsport“ ist der Zugzwang da, der Ehrgeiz angestachelt, die bürgerliche Enge der mediokren Zahlenwelt – ich sage nur „drei“ – als pars pro toto verknöcherten Aufsummierens bewiesen und dennoch nicht abzutun – unwiderlegbar.

      Ich war jung, nicht bloß in der Anekdote.

      Es begab sich aber zu der Zeit, als ich in der D-Jugend des TuS Diez trainierte, dass ich über ein Jahr lang in der D-Jugend des TuS Diez trainierte, aber nicht einmal an einem Spieltag eingesetzt wurde. Das war zu der Zeit, als Theo Zwanziger im drei Kilometer entfernten Altendiez schon mächtig mit dem Zahn an der Zeit nagte und am Stuhl seines Vorvorgängers sägte, des Neuberger Herrmanns.

      Die Pädagogik war seiner- und meinerzeit in Diez nicht auf dem neuestem Stand, aber vorhanden war sie, und so bedachte mich Trainer Beysel mit Aufmerksamkeit dergestalt, dass er mich zu einem Kurs mit dem Thema „Doppelpass für Anfänger“ anmeldete, einem Grundkurs also. Mit roten Wangen, geschürzten Lippen und geschnürten Schuhen traf ich zu Kursbeginn ein. Ich war nicht zu übersehen. Außer mir war keiner da. Der Kursleiter hatte zum Glück auch nicht sehr viel Zeit. Er schaute mich an, ich schaute zu Boden. „Doppelpass für Anfänger“, dachten wir beide, „Doppelpass für Anfänger.“


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