Mrs Palfrey im Claremont. Elizabeth Taylor

Mrs Palfrey im Claremont - Elizabeth Taylor


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wie Mrs Arbuthnot ihn registrierte und was für ein Gewese Mrs Post, in ihren traurigen Potpourri-Farben, um ihr Strickzeug machte.

      »Da drüben ist Mrs Arbuthnot«, sagte Mrs Palfrey leise zu Ludo. »Die mit den Stöcken.«

      »Das dachte ich mir. Vor der würde ich an Ihrer Stelle keine Angst haben. Auch wenn Sie hier offenbar die Neue sind.«

      »Natürlich. Mrs Arbuthnot ist seit Jahren im Claremont.«

      »Es ist ihr in die Seele gedrungen.«

      »Aber sterben lässt man uns hier nicht.«

      Er warf den Kopf in den Nacken und lachte.

      »Aber ist das denn nicht traurig?«, fragte sie.

      »An Ihnen kann ich nichts Trauriges entdecken«, sagte er. Ich darf es jetzt nicht aufschreiben, dachte er; aber bitte, Gott, mach, dass ich es mir merke. Sterben lässt man uns hier nicht. Von Ludovic Myers.

      Mrs Post eilte vorbei und zog zum Gruß leicht den Kopf ein. Sherry wurde gebracht, und Mrs Palfrey reichte Ludo die Speisekarte. »Wir können à la carte essen, wenn Sie möchten«, sagte sie kühn.

      Während er an seinem Drink nippte und schweigend die Speisekarte studierte, begann sie, ihm geräucherten Lachs aufzudrängen. Nervös nahm sie wahr, dass Mrs Arbuthnot sich ihnen auf ihrem Weg in den Speisesaal Schritt für Schritt näherte. Bei ihnen angelangt, blieb sie stehen. »Da haben Sie ja endlich Ihren Enkel«, sagte sie zu Mrs Palfrey, sah dabei aber Ludo an, der schnell aufstand und dabei seine Schuhsohle hinunterdrückte.

      Obwohl sie nicht einmal aus dem Augenwinkel zu ihr schaute, spürte Mrs Arbuthnot Mrs Palfreys Nervosität, als diese ihr ihren Enkelsohn vorstellte. Sie wunderte sich darüber, während sie ein, zwei Sätze an Ludo richtete. Er schien ihr trotz seines beklagenswerten Schuhwerks doch ein recht vorzeigbarer junger Mann zu sein. Dass er gebildet war, wussten sie ja alle.

      »Hat das Britische Museum sonntags geöffnet?«, fragte sie ihn.

      »Aber ja, es ist einer der Tage, an denen bei uns am meisten los ist«, sagte Ludo geschmeidig, und Mrs Palfrey wurde von einer Welle der Bewunderung und Erleichterung erfasst.

      »Darüber würde ich gern mehr hören«, sagte Mrs Arbuthnot, und erneut spürte sie Mrs Palfreys Anspannung – ein jäh verändertes Atmen, ein kurzes Zucken. »Aber jetzt«, sagte sie, »muss ich zum Essen hineingehen.«

      Im Schneckentempo erreichte sie die Tür.

      »Jesses!«, sagte Ludo. »Jetzt verstehe ich, was Sie meinen. Diese bösen alten Augen.«

      »Sie hat oft große Schmerzen«, sagte Mrs Palfrey.

      »Wir müssen unsere fünf Sinne beisammenhalten«, sagte Ludo. »Ich denke übrigens, ich nehme Suppe und dann das Kalb«, sagte er, rücksichtsvoll vom table d’hôte wählend.

      »Na ja, schneller geht das wahrscheinlich«, sagte Mrs Palfrey.

      Auf dem Weg in den Speisesaal nahm sie seinen Arm, aber nicht, um sich auf ihn zu stützen, sondern um ihn halten zu können, falls er wieder stolperte.

      »Also, Großmama«, sagte er, sah sich um und entfaltete lächelnd seine Serviette, »jetzt habe ich aber richtig großen Hunger.«

      Desmond hatte sie immer »Oma« genannt, was sie nie gemocht hatte, schien es doch der Name für eine zahnlose Mummelgreisin zu sein. Bei »Großmama« richtete sie sich sofort etwas gerader auf.

      Sie erwiderte sein Lächeln, beugte sich vor und sagte leise: »So weit, so gut.«

      Ihre Komplizenschaft verband sie. Nach den ersten zögerlichen Momenten ihrer Verlegenheit bei Harrods hatte sie verstanden, dass ihre Täuschung – ihrer beider Täuschung – leicht genommen werden musste; eher als Jux. So hatte Ludo es beschrieben.

      Mrs Burton brach wiederholt hemmungslos in Gelächter aus. Ihr Schwager saß zurückgelehnt da und freute sich sichtlich über seine Fähigkeit, sie zu belustigen.

      »Sie amüsiert sich ja blendend«, sagte Ludo.

      »Ja. Mrs Burton ist recht mondän. Sie trinkt gern, geht oft aus und lässt wer weiß wie viel Geld beim Friseur. Sie lebt praktisch dort.«

      »Es muss ziemlich teuer sein, hier zu wohnen«, sagte Ludo in unbekümmertem Ton.

      »Ja, so ist es. Sehr teuer.« Sie sah ihn über den Tisch hinweg an, und er wusste, dass das Thema beendet war. All diese reichen alten Damen, dachte er.

      Er aß die Suppe und das Kalb mit einer Art konzentriertem Hunger, der Mrs Palfrey großes Vergnügen bereitete. Sie tat etwas für ihn so wie er etwas für sie, und als er das Glas hob, um ihr zuzuprosten, spürte sie, dass man sie an den anderen Tischen beobachtete, und hatte zum ersten Mal, seit sie ins Claremont gezogen war, das Gefühl, beneidet und geachtet zu werden. Die Kellnerinnen bewegten sich durch den Saal wie Schlafwandlerinnen.

      »Die Portionen sind nicht sehr groß, fürchte ich«, sagte sie, als er Messer und Gabel nebeneinander auf den Teller gelegt hatte. »Sie sind wohl für gebrechliche alte Damen bemessen.«

      »Herrliches Essen«, sagte er. »Ich habe selten so viel Spaß gehabt – vollständig bekleidet.«

      Das sagte er ganz automatisch, während er fortfuhr, Brotscheiben zu buttern und sie heißhungrig zu essen.

      Sie errötete, von ihm unbemerkt, und gab dem Ober ein Zeichen, er solle ihm nachschenken. Sie war hin- und hergerissen bei Ludo – mal unsicher, dann wieder sicher –, genauso wie damals, vor langer Zeit, als sie sich in Arthur verliebt hatte: in jenen frühen Tagen, bevor sie sich ganz sicher gewesen war.

      Der Ober brachte ein paar trist aussehende Stücke Käse, und Ludo schnitt sich dicke Brocken davon ab, während Mrs Palfrey sich zurücklehnte; sie konnte nichts mehr essen, freute sich aber an seinem Appetit.

      »Der Camembert ist hervorragend«, sagte er. Eigentlich war es, wie sie wusste, ein kreideartiger Rest vom Rand irgendeines Bries. Sie lächelte und nickte.

      Mit großer Sorgfalt butterte er einen kleinen Cracker, balancierte etwas Käse darauf und hielt ihn ihr hin. Er schwenkte ihn vor ihrem lachenden Mund hin und her, ihren abwehrend wedelnden Händen, und schob ihn ihr dann geschickt zwischen die Zähne.

      »Ihretwegen wird Ihre Großmutter die ganze Nacht mit Verdauungsstörungen wach liegen«, presste Mrs Arbuthnot zwischen verzogenen Lippen hervor, als sie auf dem Weg hinaus an ihrem Tisch vorbeikam. Mrs Palfrey schluckte den Cracker hinunter und hatte das Gefühl, sich lächerlich gemacht zu haben oder lächerlich gemacht worden zu sein.

      Als Mrs Arbuthnot davonhumpelte, zog Ludo hinter ihrem Rücken eine Grimasse, und erneut war sich Mrs Palfrey nicht sicher – gar nicht sicher.

      »Sie war an meinem ersten Abend hier sehr freundlich zu mir«, sagte sie. »Als ich mich ziemlich elend fühlte. Sie hat mich eingeladen, mit in den Fernsehraum zu kommen. So etwas vergisst man nicht.«

      Sie machte sich kurz äußerst unbeliebt, als sie darum bat, dass man ihnen den Kaffee am Tisch servierte, und als er kam, war der Speisesaal abgesehen von ein paar schlechtgelaunten Fremden sowie Mrs Burton und ihrem Schwager, die sich halb totlachten und Brandy tranken, so gut wie leer. So konnten sich Ludo und Mrs Palfrey zwangloser unterhalten, mussten nicht mehr fürchten, belauscht zu werden. Vorher waren ihnen ein, zwei Fehler unterlaufen – Mrs Palfrey, indem sie ihm Dinge erzählte, die er als ihr Enkel hätte wissen müssen, und er, indem er sich despektierlich über seine Mutter äußerte und dabei vergaß, dass sie ja angeblich Mrs Palfreys Tochter war. Sie hatte ihm schnell das Wort abgeschnitten; aber nur um der Schicklichkeit, nicht um ihrer selbst willen. Auf ihre je eigene Weise waren sie beide zu ehrlich für dieses Spiel.

      »Ich nehme keinen Zucker«, sagte sie. Er dagegen rührte sich mehrere Löffel davon in den Kaffee. »Aber früher habe ich ihn auch gern so getrunken«, fügte sie wie zur Entschuldigung hinzu.

      »Schön für Sie.« Er rührte weiter in seinem Kaffee, blickte dann plötzlich auf und lächelte.

      Es


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