DAS EXPERIMENT (ein Whitney Steel Roman). Kim Cresswell

DAS EXPERIMENT (ein Whitney Steel Roman) - Kim Cresswell


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Augen fielen zu.

      »Was, Mason? Was haben sie geklont?«

      Whitney legte ihren Kopf auf seine Brust. »Mason! Oh nein.«

      Kapitel 2

      George Raines, der leitende Redakteur bei WBNN-TV, stützte sich auf die Kante von Whitneys Schreibtisch. »Ich kann dir einen Emmy garantieren.«

      Whitney saß an ihrem Schreibtisch in ihrem großräumigen Büro im zehnten Stockwerk und streifte sich die rosafarbenen High Heels von den Füßen.

      Sie betrachtete die bronzefarbene Peabody-Statue auf der anderen Seite des Raumes; die letzte ehrenvolle Auszeichnung, die ihr für ein Exposé über drei Polizisten in Panama City und das Verschwinden von Kokain im Wert mehrerer Millionen Dollar überreicht wurde.

      Ein Emmy. Die einzige Trophäe, die ihr noch fehlte. Diejenige, die sie sich am meisten ersehnte. Im Laufe ihrer Karriere wurde sie schon geschlagen, zensiert und sogar im Auto gekidnappt. Sie verdiente allein fürs Überleben einen Emmy. Sie war nicht auf Masons Tod gefasst gewesen. Der Senator war mehr als nur eine Story. Er war ein Mann, den sie einst geliebt hatte; noch immer liebte.

      Mit vor Erschöpfung brennenden Augen versuchte sie ein Gähnen zu unterdrücken. Die vielen schlaflosen Nächte forderten nun zweifellos ihren Tribut. Du warst nicht dort, George. Es sind auch andere gestorben. Der Kellner …

      »George, die Beerdigung ist noch keine sechs Tage her. Ich weiß, wie wichtig diese Story ist. Ich kann sie dir nicht liefern.«

      Es überraschte sie nicht, als er die Augen zusammenkniff. »Okay. Was ist aus der stahlharten Frau geworden? Weißt du noch, wie diese temperamentvolle Frau in jeden Raum marschierte und jedem Widerspruch trotzte? Wo zum Teufel hast du sie gelassen?«

      Whitney lächelte schwach. Wenn sie das nur wüsste.

      »Hey, wenn dein Vater noch am Leben wäre …«

      Sie hob ihre Hand, um ihn zu unterbrechen. »Daran musst du mich nicht erinnern.« So sehr sie ihren Vater auch liebte, war sie ihre gesamte Karriere über in seinem Schatten gestanden. Robert Steel; Rampenlicht-Reporter, Peabody-Preisträger, vierfacher Gewinner eines Emmys. Hingerichtet im kriegsgebeutelten Kolumbien.

      »So hab ich dich noch nie gesehen.« George, dessen pummeliges Gesicht nach einer halbherzigen Rasur ungepflegt aussah, setzte sich wieder auf die Schreibtischkante. »Du machst doch jetzt nicht schlapp, oder?«

      Machte sie das? Ja. »Nein, das mache ich nicht.«

      »Dann überleg es dir noch mal. Es passiert nicht alle Tage, dass ein Senator erschossen wird.« Er stieß sich vom Tisch ab und strich glättend über sein hoffnungslos zerknittertes Hemd. »Masons Komitee hat an einer Riesensache gearbeitet. Topsecret. Er hat sein Leben dafür gegeben, und die Öffentlichkeit verdient zu wissen, wieso. Du bist die Einzige, die das liefern kann. Du bist die Beste.«

      Die Beste? Nein, nicht heute. Nicht in der letzten Woche. Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin erschöpft, ausgelaugt, am Ende. Gib die Story jemand anderes. Ich will sie nicht.«

      »Komm schon, Steel. Das kannst du doch nicht ernst meinen. Cliff Peterson wird sich auf diese Gelegenheit stürzen. Wir wissen beide, dass er dich das nie vergessen lassen wird. Ich dachte, du wolltest das. Die ganz große Story.«

      Der sechzigjährige Mann war überzeugend, aber nicht überzeugend genug.

      »George, warum fällt es dir so schwer, zu glauben, dass ich eine Pause brauche?«

      »Weil ich jahrelang mit dir zusammengearbeitet hab, Kleines. Whitney Steel braucht keine Pause. Sie nimmt sich keinen Urlaub. Und sie lässt verdammt sicher keine Story fallen.«

      Verborgen in seiner rauen Stimme lag nun ein Hauch Ungeduld. Er wollte sehen, ob sie nicht doch noch einknickte. Sie notierte rasch eine Adresse und eine Telefonnummer auf einem Stück Papier und reichte es ihm. »Oregon ist nur einen Anruf weit entfernt. Ehe du dich versiehst, werde ich wieder da sein.«

      Er nahm das Papier aus ihrer Hand. »Schwörst du auch, wieder zurückzukommen?«

      »Zwei Wochen. Versprochen.« Sie deutete mit ihrem Stift auf seine Schuhe. »Und George – du hast zwei verschiedene Socken an. Rechts grau und links braun.«

      Er steckte die Hände in seine Hosentaschen und sah an sich hinunter. Sie konnte über George, mit seinen selbstdiagnostizierten Farbproblemen nur lächeln.

      »Oh, Mann. Ich muss mir echt eine Frau suchen, die mich morgens anzieht.« Er gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Da ich dich nicht umstimmen kann, bis bald. Genieß deinen Urlaub.«

      Es roch noch lange nach English Leather Parfum, nachdem er das Büro verlassen hatte, als hätten der Teppich und die Wände den waldigen Moosgeruch in sich aufgesogen. George war in einer Zeitschleife gefangen. Sie würde den alten Trottel vermissen. In weniger als zwei Stunden würde sie in einem Flugzeug nach Florence, Oregon an einem Glas Wein nippen.

      Als sie ihre Schreibtischschublade öffnete, verschlug es ihr den Atem. Das zusammengeknüllte, weiße Taschentuch starrte sie daraus wie ein Geschenk an, das nur darauf wartete, ausgepackt zu werden. Darin, ein mit Blut beschmierter Schlüssel – Blut von Mason. Ein Schauer kroch über ihren Rücken, während Masons letzte Worte in ihrem Kopf widerhallten.

       »Sie haben … es geklont …«

      

      ***

      Blake Neely blickte dem sicheren Tod ins Auge. »Ich will dich nicht erschießen, aber wenn es sein muss, werde ich es tun.« Die Bestie starrte ihn zornig mit messerscharfen Zähnen aus ihren dunklen, marmornen Augen an und machte keinerlei Andeutungen, nachzugeben. Nichts außer einer kühlen Brise und dem Licht des Mondes stand zwischen ihnen.

      Der Anblick des Monsters und wie es ihn mit gespitzten Ohren und gesträubtem Haar anstierte, schnürten ihm die Kehle zu. Als würde sie auf seinen nächsten Schachzug warten, verzog die Kreatur das Gesicht und fauchte.

      Blake gefror das Blut in den Adern. Ja, er würde sterben.

      Er griff gerade nach der Neun-Millimeter-Pistole im Bund seiner Jeans, als sein Handy klingelte. Das wildgewordene Monster gab ein kreischendes Heulen von sich und huschte in die entgegengesetzte Richtung davon.

       Danke. Es gibt wirklich einen Gott.

      Erleichtert zwang er seinen Körper aus der Starre und ging an sein Handy. »Ja, Blake hier.«

      »Konnten Sie den Sicherheitsverstoß bestimmen?«, fragte Nathan Shaw.

      »Ja – eine Katze – ein gottverdammter Luchs. Er hat ein Loch gegraben, das gerade weit genug unter dem Zaun lag, um den Alarm auszulösen.«

      »Was? War es ein Rotluchs? Haben Sie ihn erschossen?«

      Blake hob eine Augenbraue. Er könnte genauso gut lügen. Dazu war er ausgebildet worden.

      »Nein. Hab ihn aber zu Tode erschreckt. Er war schon weg, bevor ich die Gelegenheit hatte.«

      Sein Vorgesetzter lachte. »Dann war er wohl nicht hungrig.«

      »Anscheinend nicht. Ich mach’ das hier noch fertig und bin in zehn Minuten wieder da.«

      »Halten Sie die Augen offen. Vielleicht kommt die Katze ja zurück.«

      Blake wirbelte herum, sein Handy fest in der Hand. »Ja … okay.« Er klappte das Handy zu und steckte es in seine Jackentasche.

      Er schnappte sich eine Schaufel aus seinem Truck und füllte das Loch mit der lockeren, rotbraunen Erde unter dem Zaun. Als er fertig war, stieg er in seinen Ford F-150, kramte ein Stück alten Donuts heraus und warf es aus dem Fenster. Für den Fall, dass die Katze doch hungrig war.

      Nordöstlich von Vegas, zwischen Alamo und Mesquite, hing der Vollmond wie ein schwebender Scheinwerfer


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