DJATLOV PASS - Die Rückkehr zum Berg des Todes. J.H. Moncrieff
getötet hat, und es ist nicht menschlich. Der Arzt, der die Opfer untersucht hat, gab zu, dass kein Mensch genug Kraft hat, um auf diese Weise jemanden umzubringen.«
Soviel stand fest. Sie hatte detaillierte Übersetzungen der Original-Autopsieberichte gelesen. Ein erhöhter Grad an Strahlung war an der Kleidung der Toten festgestellt worden. Es gab noch so viele Ungereimtheiten an diesem Fall.
»Wie kommst du darauf, dass dieses Etwas immer noch da ist?«
»Ich kann das nicht erklären. Nennen wir’s ‘ne Art Ahnung, Intuition, wenn du so willst, oder der Geist meiner Tante, der mich ruft. Aber ich glaube mit absoluter Gewissheit, dass du die Richtige bist, um herauszufinden, was ihr zugestoßen ist. Enttäusche mich nicht.«
Noch ehe sie ihm für dieses Vertrauensvotum danken konnte, legte er auf und ließ sie in Totenstille und mit der albtraumhaften Vorstellung einer um ihr Leben kämpfenden Frau zurück.
Kapitel 3
Ich habe einen Fehler gemacht.
Der Gedanke hatte sich erstmals bei Nat eingeschlichen, als sie ihrem Mansen begegnet war, einem schmächtigen Mann mit kurzem, gewelltem Haar und einem zerfurchten Gesicht. Wasili sprach mit einem deutlichen Akzent, der aber keines Dolmetschers bedurfte.
»Und du bist sicher, dass du kein Problem damit hast, uns da raufzubringen?«, fragte sie gleich, nachdem sie sich miteinander bekanntgemacht hatten, in der Hoffnung auf ein kerniges Zitat über die Schrecken des Cholat Sjachl, des berüchtigten Berges der Toten.
Der Mann betrachtete sie mit dunklen Augen, die doch überraschend kühl wirkten. »Würde lieber nicht, aber Zeiten sind hart. Viele meiner Leute hungern. Andere gehen weg von Dorf. Ich werde tun, was ich muss.«
Es klang ominös, aber Nat ließ sich nicht beirren, entschlossen, sich nicht von dem Mansen einschüchtern zu lassen. »Wann soll es morgen losgehen?«
Wasili schaute zu jedem Mitglied ihres Teams, bevor er antwortete. Anubha, die verblüffend schöne Spurenleserin. Ihr Ehemann Joe, der mehr als ein wenig ungeschliffen wirkte. Der blonde russische Skilehrer mit dem treffenden Namen Igor, der lächelte und so oft nickte, dass Nat sich fragte, wie viel er wirklich verstand. Lana, eine kanadische Überlebensexpertin, die einst olympische Skifahrerin gewesen war. Steven, ein Amateur-Bergsteiger aus Kalifornien. Und zu guter Letzt Andrew und sie selbst.
Andrew, Strandmensch durch und durch, zitterte in seinem neuen Parka und stampfte mit den Füßen, um sie zu wärmen. Sie waren noch nicht einmal zehn Minuten hier draußen. Zum hundertsten Mal spielte sie mit dem Gedanken, ihn im Hotel in Wischai zurückzulassen, aber ihr Produzent war immer Teil ihrer Abenteuer gewesen. Es wäre ohne ihn nicht das Gleiche, eher wie eine Wanderung, bei der einem ein Bein fehlte.
Ursprünglich hatten sie geplant, eine neunköpfige Gruppe zusammenzustellen, die den Eigenschaften und der Zusammensetzung von Djatlovs Gruppe entsprechen sollte, aber das stellte sich bald als unmöglich und vielleicht sogar gefährlich heraus. Jemanden auszuwählen, weil er oder sie jung, blond und russisch war, anstatt versiert im Bergwandern zu sein, wäre reiner Wahnsinn gewesen, auch wenn es eine gute Show abgegeben hätte.
»Sie sind bereit, dein Team? Sie haben Training? Der Pass ist Kategorie III. Schwieriges Gelände. Nur die mit viel Erfahrung sollten gehen.«
Nats und Andrews Blicke trafen sich und sie hatte sofort Verständnis für die Panik, die in seinen Augen aufblitzte. Von den sieben Teammitgliedern war ihr Produzent am wenigsten vorbereitet, direkt gefolgt von ihr selbst. Im Gegensatz zu den anderen waren sie keine Spitzenathleten oder Überlebensexperten. Sie hatten zwar trainiert, bis ihre Muskeln protestierten und jeder neue Schmerz vom alten nicht mehr zu unterscheiden gewesen war, aber dennoch – auf kalifornischen Bergen herumzukraxeln war kaum in der gleichen Liga wie das, was sie morgen erwartete. Nats schlanke Gestalt war durch die viele ungewohnte Bewegung eher drahtig, beinahe hager geworden, was ihr nicht zugutekäme, sollte sie irgendwo auf dem Pass stranden. Sie beschloss, nahe bei Anubha zu bleiben. Oder vielleicht besser bei Wasili, da er derjenige mit der Schusswaffe war.
»Ja, haben wir.« Beim Anflug von Zweifel im Gesicht des Mansen hob sie leicht trotzig ihr Kinn. Was ihr an körperlicher Leistungsfähigkeit fehlte, glich sie mit Sturheit mehr als aus. Sie würde Andrew huckepack auf den Berg tragen, wenn es sein musste.
»Glaubt dein Volk wirklich, dass der Berg verflucht ist?«, fragte Lana.
Wasilis Antwort war ein Blick, der so vernichtend war, dass die Olympiakämpferin sichtbar in ihrem Daunenparka zusammenschrumpfte. »Mein Volk lebt in Wirklichkeit, wir nicht glauben an Märchen. Cholat Sjachl kein guter Ort, aber nicht wegen Fluch.«
»Was meinst du? Was macht ihn so schlimm?«, warf Nat ein, da sie das Gefühl hatte, ihre Landsmännin, deren Wangen rot angelaufen waren, retten zu müssen.
Er zuckte mit den Schultern. »Das Wetter. Das Gelände. Die Wildtiere. Viel Risiko, wenig Ausbeute.«
»Tiere? Ich dachte, das heißt Berg des Todes, weil es da kein Wild gibt.« Stevens Bemerkung hatte etwas Herausforderndes, gerade genug, dass Nat sich fragte, ob sie mit dem Bergsteiger ein Problem bekommen würden. Sie wünschte, sie hätten mehr Zeit gehabt, um sich als Gruppe zu akklimatisieren, die Stärken und Schwächen jedes Einzelnen kennenzulernen, bevor sie die Tour unternahmen. Aber Zeit war nun mal Geld, wie es hieß.
»Vielleicht niemand hat Bescheid gesagt den Bären und Wölfen«, erwiderte Wasili. Anubha lachte leise in sich hinein.
Bären und Wölfe. Manche Leute spekulierten, dass ein wildes Tier Ljudmilas Gesichtswunden verursacht hatte. Aber welches Tier entfernt nur die Zunge und die Augen und lässt den Rest des Gesichts intakt? Nat lief ein Schauer über den Rücken. Der Mansen war nicht wegen seiner charmanten Art angeheuert worden.
Igor sprach Wasili auf Russisch an und beide Männer lachten. Vielleicht brauchte sie doch noch einen Dolmetscher. Lachten sie über sie? Es war kein beruhigender Gedanke.
»Wir sollten bei Sonnenaufgang losgehen, wenn wir das erste Lager erreichen wollen, bevor es dunkel wird«, sagte Igor und entblößte seine perfekten Zähne. »Das wird ein sehr langer Tag. Wir sollten gut ausgeruht sein.«
»Klingt gut. Also um sieben?«, fragte Andrew und Nat entging der amüsierte Blickwechsel zwischen Igor und Wasili nicht.
»Fünf«, sagte Wasili und starrte den Produzenten an, als forderte er ihn zum Einwand auf. Andrew, der oft erst um fünf Uhr morgens ins Bett ging, schluckte schwer.
»Ich schlage vor, wir essen zu Abend und gehen dann schlafen. Wir haben ein Festmahl in einem traditionellen Restaurant in der Nähe arrangiert.« Nat versah ihre Worte mit soviel Enthusiasmus, wie sie nur konnte, trotz der nervösen Unruhe, die sich in ihr breitmachte. War es ein Fehler gewesen, die Teilnehmer aufgrund ihrer Fähigkeiten statt Persönlichkeit auszuwählen? Sie waren alle so unterschiedlich, die einzige Gemeinsamkeit war die Liebe zur freien Natur. Und Liebe war vielleicht auch nicht das richtige Wort, vor allem nicht in Wasilis Fall.
Als hätte er ihre Gedanken gelesen, warf Wasili seinen Rucksack über die Schulter. »Ich lieber essen was Einfaches in Zimmer. Ich euch sehen morgen um fünf.« Er ging, ohne auf eine Antwort zu warten.
»Sonst noch jemand?«, fragte Nat und drückte innerlich die Daumen. Sie befürchtete, Igor würde dem Beispiel folgen, aber der Skilehrer rührte sich kein Stück. Sie war sich ziemlich sicher, dass die Aussicht auf ein extravagantes Mahl mehr damit zu tun hatte als ihre Gesellschaft. »Alles klar, los geht’s. Bis fünf Uhr ist es nicht mehr lange hin.«
Immerhin stöhnte niemand. Als das Team sich in Bewegung setzte, unterhielt sich Lana mit Anubha und ihrem Mann, während Igor und Steven Kriegsgeschichten vom Bergsteigen austauschten. Dennoch haftete die Einstellung des Mansen wie ein Leichentuch an ihr, und der eisige Windstoß, der sie begrüßte, als sie das Hotel verließen, war auch nicht unbedingt hilfreich. So gern