DJATLOV PASS - Die Rückkehr zum Berg des Todes. J.H. Moncrieff
gar nicht kennst.«
»Wie läuft’s denn?«, flüsterte Andrew von der anderen Seite, vermutlich neidisch, dass Andrew sich neben sie gesetzt hatte. Ihr Produzent hatte bereits angefangen, den Bergsteiger hinter seinem Rücken als McDreamy zu bezeichnen. Sie trat unter dem Tisch gegen sein Bein, ihr geheimes Signal für nicht jetzt.
»Oh, ich kenne dich besser, als du denkst. Ich habe mir jede Episode von Nats Mysteriöse Welt angehört.«
»Echt?« Sie wusste, dass sie treue Zuhörer hatte, aber jede Episode? Eine wöchentliche Sendung über fünf Jahre ergab … na ja, eine Menge Episoden.
»Ja, wirklich.« War da ein Funkeln von Belustigung in seinen Augen? »Hat dein Produzent dir nicht erzählt, dass ich ein Fan bin? Ich glaube, das hat ihn davon überzeugt, mich mitkommen zu lassen.«
»Muss er vergessen haben.« Sie gab Andrew noch einen Tritt unterm Tisch, mehr aus reinem Vergnügen als zur Strafe.
Riesige Speiseplatten wurden an die Tische gebracht und Igor stand auf, um etwas zu sagen. Er strahlte, eindeutig in seinem Element. Nat konnte sich langsam für ihn erwärmen. Jedes Team brauchte eine Stimmungskanone.
»Etwas ganz Besonderes euch erwartet, meine lieben Freunde. Das sind Bliný, auch bekannt als russische Eierkuchen. Die sind besser als das, was ihr im Westen gewohnt seid, ja? Die sind aus Buchweizen.« Er sprach in seiner Muttersprache mit ihren Gastgebern, bevor er fortfuhr. »Elena sagt, es gibt Räucherlachs, hausgemachten Schmand und Kaviar. Wenn ihr nicht mögt Fisch, dann probiert Pilze. Lasst es euch schmecken. Priyatnogo appetita!«
Eine weitere Platte, diesmal Hühnchen-, Lamm- und Rinderspieße, erforderte keine Erklärung, genauso wenig wie der russische Kartoffelsalat. Nats Magen grummelte, als sie ihren Teller voll schaufelte, wobei sie für einen Moment vergaß, wegen ihres Tischnachbarn beunruhigt zu sein.
»Wie bist du eigentlich zu diesem Kram gekommen?«
»Hmpf?«, nuschelte Nat um einen Bissen Räucherlachs und Eierkuchen herum. Mh, lecker. Sie war normalerweise kein Fan von Schmand, aber diese hausgemachte Variante hatte keinerlei Ähnlichkeit mit dem geschmacklosen Zeug aus dem Supermarkt.
Steven lächelte geduldig. Sein Teller zeigte deutlich mehr Zurückhaltung als ihrer. »Ich hab gefragt, wo dein Interesse herkommt.«
»Was, fürs Essen?« Denn Essen war im Moment alles, was ihr wichtig war. Vielleicht könnten die anderen Kohlat Sykhl die Stirn bieten, während sie hier unten auf den Borschtsch und die Bliný aufpasste.
»Nein, das bizarre Zeug. Monster, UFOs, Geister. Das Paranormale, wie du es vielleicht nennst.«
»Also eigentlich ist es mehr das Unerklärliche, das mich reizt. Ich versuche unvoreingenommen zu bleiben. Der ganze Rest gehört einfach dazu, schätze ich.« Nat fragte sich, warum sie das erklären musste, wenn Steven doch solch ein Fan der Show war. Wenn er wirklich jede Episode gehört hatte, müsste er es dann nicht schon längst wissen? »Wenn jemandem etwas Unglaubliches passiert ist, etwas, das nicht viele Leute glauben oder verstehen würden, dann fühlen sie sich von einem empfänglichen Publikum angezogen. Ich versuche mein Bestes, um dieses Publikum zu sein.«
»Aber warum? Was hat ursprünglich dein Interesse geweckt? Hast du etwas Unerklärliches erlebt?«
Nat unterdrückte ein Seufzen. Genau darum ging es bei diesem Treffen – sich gegenseitig kennenzulernen, ein Team zu werden. Aber sie wünschte, Steven würde sich mal für ein paar Minuten nur mit seinem Essen beschäftigen. Seine Fixiertheit auf sie machte sie verlegen. Aber es wäre unhöflich, ihn zu ignorieren.
»Nicht wirklich. Zumindest nichts Dramatisches. Ich war auf jeden Fall schon an Orten, die so ein Feeling haben, bei dem man Gänsehaut bekommt und sich einem die Nackenhaare aufstellen, aber darüber hinaus, abgesehen von ein paar unerklärlichen Geräuschen, habe ich selbst nichts Paranormales erlebt.«
»Unerklärliche Geräusche?«
»Ja, du weißt schon, Türen, die von allein zugehen, Dinge, die einfach runterfallen, Rascheln. Standard-Geisterbahn-Material.«
»Aber du möchtest mehr erleben.«
Das war eine Feststellung, keine Frage, aber nach der Art zu urteilen, wie Steven sie anstarrte, erwartete er eine Antwort. Sie dachte einen Augenblick nach und nutzte die Gelegenheit für einen weiteren Bissen Bliný, diesmal mit Pilzen. Mmmh. Wer hätte gedacht, dass russisches Essen so lecker schmeckte? Sie hatte eine Menge Kartoffeln und Kohl erwartet und nicht wenig darüber hinaus.
»Genieße es, solange du kannst«, murmelte Andrew, der scheinbar ihre Gedanken gelesen hatte. »Ab morgen gibt’s dann nur noch dehydrierte Spaghetti und Astronautenkost.«
Igitt. Sie freute sich nicht gerade auf das Essen unterwegs. Nicht etwa das Terrain, nein, die Cuisine galt es zu überleben.
»Du wirst dich noch wundern. Einige der Mahlzeiten in diesen Plastiktüten sind sogar ziemlich gut«, sagte Lana. »Vor allem nach einem langen Tag auf der Piste. Das wird dir vorkommen wie das Beste, was du jemals hattest.«
»Und Joe und ich werden unsere Mahlzeiten mit frischem Fleisch strecken«, sagte Anubha. »Ich hab meine Armbrust mitgebracht. Wir sind bereit für die Jagd.«
»Frisches Fleisch über offenem Lagerfeuer. Es gibt nichts besseres«, sagte Igor und alle murmelten ihre Zustimmung. Alle, außer Steven. Was war nur los mit dem Typ? War er einer von diesen komischen Leuten, die nur der profanen Nahrungsaufnahme wegen aßen?
»Klingt, als würden wir da oben fürstlich versorgt«, warf Nat ein, darauf erpicht, das Einzelgespräch mit ihrem Tischnachbarn zu beenden. Normalerweise beantwortete sie Fragen zum Podcast mehr als gern, aber da war etwas an Stevens Verhörtechnik, das bei ihr das Verlangen nach einer Dusche auslöste.
»Wir werden uns schon auf der Piste quälen, kein Grund, das im Lager fortzusetzen. Mit ein wenig Glück bereitet uns Anubha gebratenes Kaninchen, das einen umhaut.«
Andrew nahm sich einen weiteren Grillspieß. »Klingt gut.«
»Ich habe noch nie Kaninchen gegessen.« Lana rümpfte die Nase. »Ich weiß nicht, ob ich etwas Niedliches und Flauschiges essen kann.«
»Was ist mit dem Lamm?« Igor zeigte auf den halbgegessenen Grillspieß auf ihrem Teller. »Das war niedlich und flauschig.«
»Das ist Lamm? Ich hab gedacht, es wär’ Rind!«
Alle lachten bei Lanas übertriebenem Ausdruck von Entsetzen. Wieder mal alle, außer Steven. Lana hat eindeutig die Rolle des Spaßvogels in der Gruppe übernommen, freiwillig oder nicht. Laut dem, was Andrew erzählt hatte, war die Blondine tatsächlich ziemlich scharfsinnig. Nat musste sich unwillkürlich fragen, ob die einfältige Marylin-Monroe-Rolle nur Fassade war.
»Du findest also, dass nur niedliche Tiere leben dürften? Findest du Kühe nicht niedlich?«
Oh-oh. Nat vermutete, dass Igor Lana nur necken wollte, aber dieses Gespräch konnte schnell eine unerwartete Wendung nehmen. Joe ging dazwischen, bevor sie es konnte.
»Wechseln wir das Thema. Wir sind doch alle Freunde, oder? Niemand muss irgendwas essen, was er oder sie nicht will. Kein Zwang. Anubha und ich werden fangen, was wir können, und wir teilen gern mit jedem, der möchte. Nichts für ungut, wenn jemand nicht will.«
Andrew stupste ihren Arm. Sie wusste, was ihm durch den Kopf ging. Der Diplomat. Es gab in fast jeder Gruppe einen. Nat war froh, dass Joe diese Rolle übernommen hatte. Bevor sie sich jedoch zu sehr auf die Schulter klopfen konnte, richtete Steven zum ersten Mal an diesem Abend das Wort an die Gruppe.
»Das ist ein wenig anmaßend, oder nicht?«
Lanas Erdbeermund klappte auf. Sogar Igor war sprachlos. Nur Joe schien von Stevens brüsker Art unbeeindruckt zu sein. »Verzeihung … was ist anmaßend?«
»Zu behaupten, wir wären Freunde. Tatsächlich kennen wir uns überhaupt nicht. Und da oben auf dem Berg kann alles ganz schnell