DJATLOV PASS - Die Rückkehr zum Berg des Todes. J.H. Moncrieff

DJATLOV PASS - Die Rückkehr zum Berg des Todes - J.H. Moncrieff


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sagte Lana. »Vielleicht kennen wir uns nicht sehr gut, aber bis zum Ende der Woche wird sich das ändern. Und ich hoffe, wir werden Freunde.« Sie schaute lächelnd um den Tisch. Anubha lächelte zurück.

      »Ich bin nicht hier, um positiv zu sein, sondern um zu überleben. Ich schlage vor, dass ihr euch auch darauf konzentriert, wenn ihr bis zum Ende der Woche durchhalten wollt.«

      Nat rutschte von Steven weg, bis ihr Bein das von Andrew berührte. Ugh. Ihr erster Eindruck war der richtige gewesen. Dieser Typ war ein Arsch.

      »Ich weiß, dass du ‘ne Menge Erfahrung hast, aber bei allem gebührenden Respekt, das ist nicht der Mount Everest«, sagte sie. »Unser Überleben steht außer Frage.«

      »Seid ihr noch ganz bei Trost? Ihr tut so, als wäre das ‘ne Art Party, stopft euch die Bäuche voll und hebt die Tassen. Habt ihr vergessen, warum wir hier sind? Wisst ihr nicht mehr, was diesen Leuten zugestoßen ist?«

      »Natürlich wissen wir das noch. Deswegen sind wir hier«, erwiderte Anubha.

      »Entschuldige, aber vielleicht sind manche von uns dankbar für diese Chance, und dafür, hier in Russland zu sein.« Lana runzelte die Stirn. »Ich, für meinen Teil, finde, es ist eine großartige Gelegenheit, und ich bin froh, Teil davon zu sein. Wenn du das nicht wertschätzen kannst, warum bist du dann hier?«

      Gute Frage, dachte Nat. Warum bist du hier? Eine Piste der Kategorie III ist offensichtlich keine Herausforderung für dich, warum also bist du hergekommen?

      »Wertschätzen? Bin ich hier der Einzige, dem sein Leben etwas wert ist? Warum sollte ich es wertschätzen, mein Leben aufs Spiel zu setzen?«

      »Nichts für ungut, Steven, aber wir riskieren wohl kaum unsere Leben. Es wird eine Herausforderung, ja, aber du hast schon Schlimmeres durchgemacht und lebst noch. Wovor hast du Angst?«, fragte Igor.

      »Wovor ich Angst habe? Ich fürchte mich vor demselben Etwas, das Djatlov und seine Freunde getötet hat. Und wenn ihr keine …« Steven starrte jedes Mitglied der Gruppe einzeln an. Als seine eisblauen Augen auf ihre trafen, war es für Nat unmöglich, wegzusehen. »Und wenn ihr keine habt, dann seid ihr lebensmüde.«

      

      Kapitel 4

      Die frostige Luft war nichts im Vergleich zu der eisigen Atmosphäre, die in der Gruppe herrschte. Scheiße. Nat hatte gehofft, dass eine erholsame Nacht etwas von dem fröhlichen Optimismus, der vor Stevens Ausbruch existiert hatte, wiederherstellen würde, aber es stellte sich bald heraus, dass dem nicht so war.

      Sie hatte seit der letzten Präsidentschaftswahl nicht mehr so viele betrübte Gesichter gesehen. Nur Igor schien einigermaßen gut drauf zu sein, aber selbst er machte um den Bergsteiger einen weiten Bogen, als ob Stevens Sorgen ansteckend wären. Und Steven war besorgt – daran bestand kein Zweifel. Nat glaubte nicht, dass er absichtlich versuchte, ein launisches Arschloch zu sein.

      Der Mann hatte Angst.

      »Andrew.« Sie stieß ihn mit dem Ellbogen an und nickte in die Richtung, in der Steven abseits der Gruppe stand. Zumindest ihr Produzent würde McDreamy Gesellschaft leisten, auch wenn der Job nicht annähernd so reizvoll war, wie er ursprünglich gehofft hatte.

      »Ich weiß«, flüsterte er. »Aber keiner von uns wird in der Lage sein, mit ihm Schritt zu halten.«

      Er hatte recht. Sobald Wasili bereit war, schob Steven sich an die Spitze neben den Mansen, wo sie wortlos nebeneinander hergingen. Es war nicht unbedingt kameradschaftlich, aber wenigstens auch nicht feindselig.

      »Was denkst du?«

      Nat wusste, was Andrew meinte. Was war Stevens Problem? Er hatte sich die Teilnahme an dieser Exkursion hart erkämpft, was sollte also das Gerede über Wertschätzung? Was hatte ihn dazu bewogen, sich einen Platz im Team zu ergattern? Es konnte nicht nur der Podcast sein. Da musste es noch etwas anderes geben.

      »Bin mir nicht sicher«, sagte sie. »Aber ich krieg’s raus. Irgendwas stimmt nicht mit dem Typen.«

      Ein Teil von ihr dachte, dass Steven nicht ganz unrecht hatte, egal, wie schlecht er das herübergebracht hatte. Sie ermittelten die Schicksale von neun jungen Menschen, die immerhin in der Blüte ihres Lebens umgekommen waren. Das Ereignis erforderte etwas Ernst. Sie wollte nicht auf Gräbern tanzen.

      Der Himmel war verhangen und grau, passend zu Nats Laune. Sie sehnte sich nach etwas Sonnenschein, wusste aber, dass niedrige Temperaturen damit einhergingen. Das war ein weiterer Punkt, den sie der Djatlov-Gruppe voraushatten. Es war wärmer als damals, als die jungen Russen sich auf die Reise begeben hatten, und kein Sturm in Sicht.

      Der Wanderweg begann schon sehr steil und stieg kontinuierlich an. Nats Wadenmuskeln begannen bald zu schmerzen und sie wünschte, sie hätte sich vor der Abreise aus den Staaten die Zeit für eine ordentliche Massage genommen. Zu bemerken, dass die Gespräche in der Gruppe abgeflaut waren, als sich alle darauf konzentrierten, einen Fuß vor den anderen zu setzen, war tröstlich. Nur Wasili und Steven, den anderen weit voraus, schien die Anstrengung nichts auszumachen. Anubha und Joe hatten sich für Schneeschuhe statt Ski entschieden und selbst ihr energisches Tempo hatte sich verlangsamt. Nat hoffte, dass niemand ihr Keuchen hören konnte.

      Sie fokussierte Anubhas kobaltblauen Parka, bis ihre Augen tränten. Links, rechts. Immer weiter voran. Rechts, links. Atmen (keuch). Links, rechts. Nat blinzelte, verwundert, dass ein grelles Pink das Kobaltblau ersetzt hatte.

      »Wie läuft’s?« Lanas Tonfall war unbekümmert, aber Nat konnte das Mitgefühl in ihren Augen sehen. Für einen kurzen Moment machte sich Unmut in ihr breit.

      »Prima.« Es erforderte übermenschliche Anstrengung, nicht zu schnaufen. »Und selbst?«

      »Oh, großartig. Ich verdanke es euch beiden, dass ich wieder in der Wildnis sein kann. Das tut mir richtig gut. Ich hab mich nach den Spielen ziemlich gehen lassen. Depression, weißt du?«

      Nat konnte sich die kesse Frau nicht depressiv vorstellen. Sie fragte sich erneut, ob dieses fröhliche Gemüt eine Rolle war, in die sie wie in ihren Schneeanzug hineinschlüpfte. »Gern geschehen.«

      »Du musst verstehen, das ist für mich so selbstverständlich wie atmen. Ich habe einen Großteil meines Lebens auf Skiern verbracht. Für einen Freizeit-Skiläufer ist das was ganz anderes, selbst für einen, der fit ist. Sicher, dass ihr beide in Ordnung seid?«

      Die Art, wie Lana ihre Frage an sie und jemanden hinter ihr richtete, verriet ihr, dass Andrew immer noch da war. Gut. Während der letzten Meile war sie zu erschöpft gewesen, um nachzusehen.

      »Eine … Pause … wäre … nett«, keuchte Andrew, der noch ausgelaugter klang, als nach einer nächtlichen Aufnahme-Session. Was, wenn er oder jemand anderes hier draußen einen Herzinfarkt bekam? Besaß einer von ihnen mehr als rudimentäre Erste-Hilfe-Kenntnisse? Das war etwas, woran sie nicht gedacht hatte.

      »Ich glaube, es ist bald Zeit für die Mittagspause. Ich bin mir sicher, den anderen geht es ähnlich. Ich spreche mal mit Wasili.« Und mit diesen Worten glitt sie davon, mühelos an Anubha, Joe und Igor vorbei.

      »Bei ihr … sieht es … so einfach … aus.«

      »Spar dir den Atem. Du wirst ihn … noch brauchen.« Es kostete sie alle Kraft, wieder Geschwindigkeit aufzunehmen, nachdem sie langsam genug gefahren war, um mit Lana zu reden. Sie konnte ihr Keuchen nicht länger unterdrücken. Schweiß lief an ihrer Nase herunter und benetzte ihre Lippen mit Salz.

      »Alle Mann aufgepasst.«

      Erschöpft zwang sich Nat dazu, bis zur Spitze des Trupps zu sehen, wo Steven mit den Armen wedelte. Seine Stimme klang klar und selbstbewusst, gut verständlich. »Auf der Kuppe machen wir eine Mittagspause. Sollte nicht länger als zwanzig Minuten dauern.«

      Andrew stöhnte.

      »Halte durch, mein Freund. Immer einen Fuß vor den anderen.«

      »Ich


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