BERLIN ZOMBIE CITY. Kalle Max Hofmann

BERLIN ZOMBIE CITY - Kalle Max Hofmann


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es musste an der Kälte liegen. Wo war dieser Vogel? Nirgends zu sehen. Ben kam sich vor wie lebendig eingemauert. Und wo war dieser beknackte Schleusenwart? Wenn jeder seinen Job so machen würde, dann gute Nacht.

      Außer ein paar Büschen und Baumwipfeln konnte Ben nicht viel sehen. Es war bestimmt schön da oben, die tief stehende Sonne tauchte die schon ziemlich kahlen Bäume in ein goldenes Licht. Das sah wirklich warm aus, und er musste hier unten frieren, in seinem Betonsarg. Ätzend.

      Ben versuchte, die Kapuze noch enger zu machen, aber die Kälte war ihm längst in die Knochen gefahren. Jetzt überkam ihn wieder eine dieser typischen Wellen von Aktionsdrang; er sprang wie von der Tarantel gestochen auf und machte ein paar unkontrollierte, zappelnde Bewegungen.

      »HALLOOOOOO?!?«, schrie er aus voller Kehle, wobei er sich über das unerwartet starke Echo fast ein bisschen erschrak. Das dämpfte seinen Ausbruch, aber seine Geduld war eindeutig zu Ende. Der ganze Trip war eine Schnapsidee gewesen. Ihm war inzwischen klar, dass Tanja das nicht mit Absicht getan hatte. Oder etwa doch? Sofort begann es in Ben wieder zu kochen. Hitze schoss in sein Gesicht. Es war eine verdammt beschissene Situation, aber er musste das jetzt regeln. Genau wie die Sache mit der Schleuse.

      Ben schnappte sich den Bootshaken, stemmte ihn an die gegenüberliegende Wand und lehnte sich mit aller Kraft hinein. Während er aggressiv aufstöhnte, bewegte sich das Boot widerwillig und lautlos auf die Metallleiter zu, die einen Ausweg aus dieser Sackgasse versprach. Von der Anstrengung war Ben schon regelrecht heiß, er riss sich die Kapuze vom Kopf und ließ den Bootshaken genervt aufs Deck fallen. Für irgendwelche Sicherungsmaßnahmen hatte er jetzt keine Geduld mehr; es war Zeit für Piraten-Action. Nach einem angewiderten Blick auf die angerostete und verdreckte Leiter streckte er sich und packte eine Sprosse. So zog er das Boot das letzte Stück in Position und wackelte noch einmal kräftig an der Leiter, um sicherzugehen, dass sie ordentlich befestigt war. Das Personal hier schien ja nicht gerade übermotiviert zu sein.

      Mit einem beherzten Satz verließ Ben sein schwimmendes Zuhause der letzten Wochen und erklomm die Leiter. Die unteren Sprossen waren noch nass und schlüpfrig, oben wurden sie trocken. Das machte die Kälte aber fast noch unangenehmer, und der Rost bröselte unter seinem Griff. Er konnte förmlich spüren, wie kleinste Partikel keimigen Altmetalls in seine Haut drangen.

      Oben angekommen krabbelte er alles andere als elegant aufs Festland. Ben sah sich kurz um. Wollte er wissen, ob jemand seine ungelenke Einlage beobachtet hatte? Oder ging es ihm nur darum, den Schleusenwart zu finden? Er wusste es selbst nicht genau, doch Letzteres war eindeutig wichtiger. So oder so war jedenfalls kein Mensch weit und breit zu sehen. Ben überblickte kurz das flache Land, das ihn umgab. Trotz des anbrechenden Winters waren die Wiesen noch einigermaßen grün, bis auf vereinzelte Baumreihen und einige Zäune gab es sonst kaum etwas zu sehen.

      Also widmete Ben seine volle Aufmerksamkeit dem Wärterhäuschen. Zu seiner Verwunderung stellte er fest, dass die Tür weit offen stand. Ungewöhnlich. Vielleicht hatte es einen Notfall in der Nähe gegeben. Oder dem Typen ist wirklich der Schniedel abgefroren?, dachte Ben und schüttelte schmunzelnd den Kopf.

      Moment. Hatte sich da nicht etwas bewegt, im Gebüsch?

      »Hallo?«, fragte Ben gefühlt zum zwanzigsten Mal. Es raschelte. Unsicher machte er einen Schritt auf einen dunklen Schatten im Unterholz zu. »Ist da jemand?«

      Keine Antwort. Zögernd schaute Ben sich um, durch die geöffnete Tür des Häuschens fiel sein Blick nun auf einen großen, roten, mit Gummi ummantelten Knopf.

      »Scheiß doch drauf«, murmelte Ben, machte zwei lange Schritte zur Tür, beugte sich vor und betätigte mit dem Handballen den Kontakt. Sofort jaulte ein schwerer, hydraulischer Apparat auf und zwei Krähen stiegen meckernd in den Himmel. Ben schaute ihnen kurz hinterher, dann vergewisserte er sich, dass der Wasserspiegel auch wirklich anstieg. Er quälte sich wieder die Leiter hinunter und wagte nach einem kleinen Stoßgebet den Sprung auf das Deck. Er landete halbwegs sicher und war zufrieden mit sich. Selbst ist der Mann – jedenfalls, wenn er nicht so ein beschissener Schleusenwart ist, den schon die Aufgabe überfordert, ein paar mal am Tag auf einen Buzzer zu hauen. Das waren Bens Gedanken, als sich das Schleusentor vor ihm öffnete, und er hinunterging, um den Motor zu starten. Das Blut, das schon etwas zäh von der Schleusenmauer tropfte, sah er nicht.

      Kapitel 2

      TEMPELHOFER HAFEN

       16:48 Uhr

      Als die letzten Sonnenstrahlen gerade um die höchsten Dächer tanzten, wurde Ben endgültig klar, dass in der Stadt etwas nicht stimmte. Auf dem Weg nach Berlin hatte er sich bereits über den quasi nicht-existenten Bootsverkehr gewundert. Aber nun erreichte er den Tempelhofer Hafen, eine alte Anlage, die um 1908 fertiggestellt wurde und lange als Umschlagplatz für Lebensmittel und Stückgut genutzt wurde. Heute wurden hier Liegeplätze für Sportboote vermietet und auf der gegenüberliegenden Uferseite thronte das Ullsteinhaus – ein gigantischer, alter Backsteinbau, der im Licht der untergehenden Sonne blutrot aufleuchtete. Ben war von diesem Anblick einen Moment lang regelrecht eingeschüchtert, dann wanderte sein Blick zu den Anlegestellen auf der Hafenseite und dem modernen Einkaufszentrum dahinter. Dort, wo normalerweise zum Feierabend hin geschäftiges Treiben herrscht, war in diesem Moment nichts los. Überhaupt nichts, rein gar nichts.

      Ben rieb sich die Augen, langsam machte sich Nervosität in ihm breit. Ein lautes Geräusch ließ ihn zusammenzucken und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf den Kanal. Direkt in seiner Fahrtrichtung lagen zwei riesige Lastkähne schräg im Wasser, offensichtlich trieben sie nebeneinander her, wobei sie immer wieder kollidierten. Das kreischende Reiben von Metall auf Metall durchschnitt jäh die kühle Abendluft.

      Ben traute seinen Augen kaum. Es war definitiv zu gefährlich, sich den Schiffen weiter zu nähern, also drehte er kurz entschlossen ab. Er würde nach dem Anlegen den Sicherheitsdienst des Shoppingcenters bitten, die Wasserschutzpolizei zu verständigen. Jemand musste dieses Schlamassel aufräumen, bevor ernsthafter Schaden entstand!

      Als das Boot amtlich vertäut war und Ben bereit war, von Bord zu gehen, hatte der Himmel eine irreal wirkende, tiefblaue Färbung angenommen. Die kalte Herbstluft wirkte besonders intensiv – nicht nur durch ihre Kühle; irgendetwas anderes schwang noch mit. Es herrschte eine besondere Atmosphäre, eine Aufladung, die alle Sinne zu schärfen schien. Ben hielt kurz inne, um diese Empfindung auf sich wirken zu lassen. Klar, das war es: die Stille. Ungläubig schaute Ben auf seine dicke Pilotenuhr und klopfte auf das Glas. Aber sie lief ganz normal, es war 16:53 Uhr. Bei der Datumsanzeige war er sich aber nicht ganz sicher – war er wirklich fast drei Wochen unterwegs gewesen? Das kam ihm einerseits unwahrscheinlich vor, andererseits hatte sein übermäßiger Alkoholkonsum auch noch ganz andere Dinge möglich gemacht.

      Wenigstens habe ich die Uhr nicht geschrottet, dachte sich Ben. Er atmete noch einmal tief durch, um das Gefühl des Heimkehrens nach einer so abenteuerlichen Reise ein wenig auszukosten. Den Kampf Mensch gegen Natur hatte er wieder einmal gewonnen.

      Dieser sinnliche Moment verlor jedoch seine Qualität, als Ben plötzlich von einem Reizhusten geschüttelt wurde. Er hatte einen merkwürdigen Geruch in seine Lungen gezogen, den er nicht einordnen konnte. Eine leicht süßliche Note … eigentlich gar nicht so unangenehm, doch sein Körper reagierte heftig darauf. Vielleicht eine Allergie? Wie aus Reflex griff Ben sich an die Nase – dieser Mechanismus diente gar nicht in erster Linie der Kontrolle oder gar Reinigung, sondern war bei ihm ein Ausdruck von Nervosität. Wahrscheinlich war es besser, er würde die Kajüte sichern, bevor er von Bord ging. Diese Gegend hatte schließlich schon bessere Zeiten gesehen.

      Ben stieg also die zwei Stufen hinunter und machte Licht. In dem kleinen Raum sah es wirklich abenteuerlich aus. Überall aufgerissene Packungen irgendwelcher haltbarer Lebensmittel, palettenweise leere Bierdosen und anderer Müll. Nach einigem Wühlen hatte Ben seinen Rucksack geortet und überzeugte sich, dass alle Wertsachen darin verstaut waren. Das Portemonnaie steckte er in die Hosentasche, vielleicht würde er sich noch einen Snack in der Mall gönnen. Den Fotoapparat hatte er gar nicht benutzt und der Rest der Sachen schien aus dreckiger Unterwäsche zu bestehen. Das brachte


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