BERLIN ZOMBIE CITY. Kalle Max Hofmann

BERLIN ZOMBIE CITY - Kalle Max Hofmann


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waren zum großen Teil eingeschlagen. Überall loderten kleinere Brände, mittendrin verstreut lagen leblose Körper. Gegen den dunklen Himmel hoben sich zahlreiche Rauchsäulen ab. Ben konnte das, was er sah, einfach nicht verarbeiten, und in seinem Kopf legte sich ein Schalter um. So sehr er sich auch wünschte, dass dies nur ein Traum sei, schrie ihm jede Faser seines Körpers etwas zu: Sein Leben war in Gefahr. In sehr großer, sehr ernst zu nehmender und vor allem sehr realer Gefahr.

      Ohne weiter über das Warum und Weshalb nachzudenken, handelte Ben. Er registrierte Geräusche von der Metalltreppe her, also machte er zwei große Schritte auf das Brückengeländer zu und schaute nach unten. Die Angreifer hatten bereits eine Traube um die Treppe gebildet und versuchten, nach oben zu kommen, doch zu seiner Erleichterung waren sie dafür zu unkoordiniert. Ein besonders kräftiger Mann in einem zerrissenen Jackett starrte zu Ben hinauf, legte den Kopf in den Nacken und schüttelte die Fäuste. Dann ließ er einen anhaltenden, kehligen Schrei der Frustration los. Dieser skurrile Anblick ließ ein verwundertes Lächeln über Bens Gesicht huschen, doch es entglitt ihm sogleich, als der Schrei aus einer anderen Richtung erwidert wurde. Bens Blick schnellte die Straße hinunter, irgendwo bei den geparkten Autos am Ullsteinhaus kam Leben in die Schatten. Und wieder ertönte ein ähnlicher Schrei, diesmal von dem U-Bahn-Eingang dort gegenüber. Bevor Ben vollends realisiert hatte, was das wohl zu bedeuten hatte, rannten seine Beine auch schon los.

      Seine Schritte waren die eines gehetzten Tieres, das Herz schlug ihm bis zum Hals. Die kalte Herbstluft brannte in seinen Lungen und seine Muskeln verkrampften sich immer mehr. Er hatte kaum den Fuß der Brücke erreicht, als ihn schon schweres Seitenstechen durchzuckte.

      Obwohl oder gerade weil ihn die Angst voranpeitschte, bekam er seinen Körper einfach nicht unter Kontrolle. Unter diesen Schmerzen würde er nicht lange weitermachen können. An der nächsten Kreuzung rannte er auf den Eingang eines Wohnhauses zu und drückte panisch alle Klingeln – doch niemand reagierte. Ben schaute nach oben, mit dem Kopf weit im Nacken drehte er sich ungläubig um die eigene Achse wie ein Schlafwandler: Die meisten Fenster in der Straße waren dunkel. Als sein Blick wieder das Straßenniveau erreichte, fiel er auf eine Frau, die in einer dunklen Hofeinfahrt stand. Ben versuchte, ihre Aufmerksamkeit zu erregen, und rief einfach »Hey!«

      Doch sie reagierte nicht. Als Ben auf sie zu stolperte, fiel ihm auf, dass sie ihr Gesicht zur Wand gedreht hatte – es wirkte, als würde sie den Putz inspizieren. Ben ignorierte diese merkwürdige Pose.

      »Wohnen Sie hier? Haben Sie einen Schlüssel dabei?«

      Keine Reaktion.

      »Wir müssen von der Straße runter! Wir … wir müssen Hilfe holen!«

      Nichts. Ein kalter Schauer lief Ben den Rücken hinunter, er bekam Gänsehaut an den Armen. Sein Körper hatte ihm etwas voraus, das sein Geist noch nicht begriff – es war, als würde ein Urinstinkt die Kontrolle übernehmen wollen. Alle Sinne klingelten, und als Ben kurz das Gefühl hatte, der Boden würde ihm unter den Füßen weggezogen, wurde seine Aufmerksamkeit zu einhundert Prozent in die gegenwärtige Situation katapultiert, er befindet sich nun im Hier und Jetzt

      Als Ben die Frau fast erreicht hat, betritt er den Messbereich eines Bewegungsmelders, der eine Lampe über dem Eingang anschaltet. Ben blinzelt kurz, denn er wird geblendet, während das Gesicht der Frau immer noch vom Schatten der Einfahrt verdunkelt wird.

      »Haben Sie ein Telefon?«, fragt Ben, als er die regungslose Frau an der Schulter packt. Langsam dreht sie sich um und Bens Ohren registrieren ein tiefes Knurren, das er nicht einordnen kann. In den dunklen Schatten im Gesicht der Frau registriert er ein feuchtes Glitzern und er macht unwillkürlich einen Schritt zurück. Genau in diesem Moment stolpert sie auf ihn zu, ihre Zähne schlagen dabei laut klackend aufeinander – hat sie etwa nach ihm geschnappt? Bevor Ben sich diese Frage beantworten kann, gleitet der Kopf der Frau in den Schein der Türbeleuchtung.

      Ihr Gesicht ist komplett blutüberströmt und von langen Schnittwunden durchzogen. Ihre Augen sind weit aufgerissen, doch die Iriden wirken stumpf und grau. Als sie ihren Mund wieder weit öffnet, ähnlich einem Fisch, der auf dem Trockenen liegt, stellt Ben mit Grausen fest, dass Teile ihrer Lippen fehlen. Die Frau brüllt ihn aus vollem Hals an und Ben taumelt rückwärts. Der Schrei hallt durch die Straßenschlucht und überall stimmen weitere kranke Stimmen mit ein.

      Ben rennt los.

      Kapitel 4

      FRIEDRICH-KARL-STRASSE

       17:52 Uhr

      Instinktiv hat Ben die Richtung weg von den Stimmen gewählt und rennt nun die Friedrich-Karl-Straße hinauf. Es geht leicht bergauf, und wegen der zusätzlichen Anstrengung verflucht ein Teil seines Hirns diese Idee. Doch ein kurzer Schulterblick verrät ihm, dass er nicht nachlassen darf: Ihm ist ein regelrechter Mob auf den Fersen, der immer mehr an Tempo aufnimmt. Zwar wirken viele der Silhouetten träge und unkontrolliert, doch die immer wieder aufbellenden Schreie sorgen an jeder Ecke für neue Verfolger. Im Rennen mustert Ben jeden Schatten vor sich voller Angst und ein Schauer krabbelt ihm von den Haarwurzeln den Nacken hinunter, folgt der Wirbelsäule und erreicht sein Steißbein. Sein Schließmuskel zuckt wieder. Bodenlose Panik überkommt ihn.

      »Hilfe! HILFE!!!«, ruft er.

      Das Schreien kostet ihn noch mehr Energie, aber er weiß sich einfach nicht anders zu helfen. Die Seitenstiche kommen wieder, doch der drohende Zusammenbruch lässt seine Gedanken etwas klarer werden: Er wird kämpfen müssen. Kann er irgendetwas als Waffe verwenden? Seine Augen blicken hektisch umher. Nichts zu sehen. Ben trottet mit letzter Kraft vorwärts und blickt in düsterer Erwartung zurück. Tatsächlich, die Gestalten haben ihn fast erreicht.

      »HILFE!!!«, schreit Ben noch einmal. Seine eigene Stimme hallt zwischen den Hauswänden hin und her und er ist selbst erschrocken darüber, wie hoch und angsterfüllt sie klingt. Doch plötzlich ist da ein Geräusch von schräg vorne – etwa hundert Meter vor ihm öffnet sich eine Balkontür und eine Frau tritt ins Freie. Auf den zweiten Blick wirkt sie aus dieser Entfernung fast wie ein junger Mann – sie ist relativ klein und trägt burschikose Klamotten, eine Mischung aus Jeans-, Leder- und Army-Materialien sowie einen asymmetrischen Kurzhaarschnitt. Sie führt ein Fernglas zu den Augen, fokussiert auf Ben und dreht sich dann blitzschnell in Richtung der offenen Tür: »Hey, kommt mal her! Da lebt noch einer!«

      Ben ist so überrascht von dem Anblick, dass er kurz vergisst, weiter zu laufen – doch dann besinnt er sich und rafft seine allerletzten Kraftreserven zusammen. Olympiareif setzt er zu einem Spurt auf das Haus an. Dort kommt inzwischen ein älterer, kräftiger Mann in einer Outdoorjacke auf den Balkon. Er begafft mit offenem Mund die Horde, die hinter Ben her ist. Das Mädel drückt sich an ihm vorbei, greift ihm dabei blitzschnell an die Hose und zieht etwas heraus. Der Mann versucht, sie am Arm zu packen, doch sie ist bereits wieder im Dunkel der Wohnung verschwunden.

      »Paula, du kleine Schlampe! Bleib stehen!«

      Sein Ruf verhallt ohne jegliche Reaktion und er macht kurz einen Ansatz, ihr zu folgen, gibt dann aber sofort auf. Stattdessen wendet er sich Ben zu: »Verpiss dich!«, schreit er vom Balkon.

      Doch Ben ignoriert ihn und rennt weiter, so schnell er kann. Zu seinem Entsetzen sieht er aber, dass der Mann sich bückt und dann drohend eine Schrotflinte in die Höhe hält!

      Obwohl Ben kurz ins Straucheln kommt, reduziert sich seine Geschwindigkeit kaum. Der Mann legt auf ihn an und schreit: »Keinen Schritt weiter, oder ich schieße!«

      Diese Warnung klingt für Ben sehr überzeugend, er stoppt abrupt ab und hebt fast automatisch die Hände auf Schulterhöhe. Nach Atem ringend blickt er zurück auf den Mob, zu dem er immerhin einen gewissen Abstand gewonnen hat.

      Eine Stimme bringt seine Aufmerksamkeit zurück nach vorne: Es ist Paula, die junge Frau, die ihm nun an einer vergitterten Hofeinfahrt gegenübersteht. Auf diese Entfernung kann Ben einige Piercings in ihrem Gesicht erkennen.

      »Hier, komm her!«, ruft sie. Hinter ihr kommen ein hagerer Mann mit einer dicken Brille und eine ebenfalls intellektuell


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