BERLIN ZOMBIE CITY. Kalle Max Hofmann

BERLIN ZOMBIE CITY - Kalle Max Hofmann


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Der Mann mit der Brille kreischt wie ein kleines Mädchen.

      Einer der Steineschmeißer auf dem Balkon erkennt die Schwere der Lage und presst ein »Fuck!« zwischen den Zähnen hervor. Er wirft noch einen der beiden Brocken, die er in der Hand hat, und flitzt dann nach unten.

      »Matthias!«, ruft ihm sein Kompagnon hinterher, doch nach einer kurzen Atempause greift er wieder in den Karton und setzt das Bombardement fort.

      Ben versucht inzwischen, sich aufzurappeln, aber er steht kurz vor einem Kreislaufkollaps. Die beiden Männer halten mit ihren Besenstielen so gut es geht die wilde Meute ab, ohne sich in den Wirkungsradius ihrer Hände und Zähne zu begeben. Doch es sieht schlecht aus, einer der Angreifer ist kurz davor, sich durch den Türspalt zu quetschen. Als er sich gerade auf Paula stürzen will, trifft ihn ein Pflasterstein mit einem ungesunden Krachen am Kopf. Matthias kommt auf das Tor zu gerannt und schreit aus voller Kehle »Verpisst euch!« in die Meute. Er schubst den jetzt nur noch unkontrolliert Zuckenden und schwer am Kopf Blutenden zurück in die Mauer aus menschlichen Körpern und wirft sich ungeachtet der Gefahr gegen die Tür, sodass Paula endlich den Schlüssel umdrehen kann. Einen Sekundenbruchteil später ist Matthias auch schon wieder zurückgesprungen und zieht Paula weg, bevor eine der blutigen Krallen sie erwischen kann. Melanie und die andere Frau, die Ben immer noch stützen, überzeugen sich gerade mit hektischen Blicken davon, dass alle okay sind – da drehen sich Bens Augäpfel nach oben und er bricht zusammen. Seine 80 Kilo sind zu viel für die beiden erschrockenen Frauen, sie können ihn nicht halten und sein Kopf schlägt auf den Steinboden. Um ihn herum wird alles schwarz.

      Kapitel 5

      WILLKOMMEN

       18:25 Uhr

      Bens Blick wanderte über die vielen Diplome an der Wand. Was für eine Zeitverschwendung, für ihn zählte nur eine Art von Scheinen, und die war deutlich bunter als das, was man an einer Uni kriegen konnte. Das Fenster daneben war leicht geöffnet, es war ein herrlicher Sommertag. Diese Frische in der Luft roch für ihn nach Zukunft. Stolz prüfte er den Sitz seiner neuen Manschettenknöpfe. Gold. Schön oldschoolig, edel – das war eine Investition, die sich gelohnt hatte. Warum war er nicht schon viel früher auf die Idee gekommen, einfach schon vorher das ganze Geld auszugeben, das er bald verdienen würde?

      Herr Preuß räusperte sich leicht, anscheinend war er fertig mit den Unterlagen und wollte nicht, dass Ben den Moment verpasste, wo er feierlich unterschrieb.

      »So, jetzt sind Sie dran«, sagte er und schob die Dokumente über den schweren Mahagoni-Schreibtisch. Ben grinste ihn breit an, er konnte einfach nicht anders, dann schnappte er sich den edlen Federhalter und lieferte lässig sein Autogramm ab: Benjamin Jovan – ohne das -ovic hinten klang sein Nachname doch gleich viel internationaler. Und dass er die ungewohnte Schreibung gestern Abend noch geübt hatte wie eine nervöse Braut vor der Trauung, das musste ja niemand wissen. Schon gar nicht Herr Preuß, dessen Lippen nun ebenfalls ein leichtes Schmunzeln umspielte.

      »Wissen Sie, warum ich Ihnen den Job gegeben habe?«, fragte er nun, und es klang ein wenig herausfordernd.

      »Klar«, antwortete Ben lässig, »weil Sie genau wissen, dass ich Ihren Job haben will!«

      Die beiden Männer lachten nun verschwörerisch, dabei rasselte etwas in ihren Lungen, es klang fast wie eine alte Registerkasse. Nein, es war ein Klang aus der Vergangenheit; der Türsummer aus der ersten Vorrunde der Stelleninterviews. Ben erinnerte sich genau an den Moment: Die Tür ging auf, und Unruhe kam in die wartenden Bewerber. Frau Leier, die Assistentin von Preuß, zeigte sich, um den nächsten Kandidaten aufzurufen. Doch Ben, der kaum zwei Meter entfernt stand, machte einen Satz auf sie zu, streckte seinen Kopf durch die Tür und rief grinsend: »Sekunde mal, Herr Preuß – Sie können eigentlich alle anderen gleich nach Hause schicken!«

      Damals hatte Preuß verdattert den Kopf gehoben und nachdem er Ben einen Moment streng gemustert hatte, ebenfalls dieses anerkennende Schmunzeln aufgesetzt.

      In seiner Erinnerung drehte sich Ben noch einmal siegessicher zu seinen Konkurrenten um, die ihn mit einer Mischung aus Verachtung, Angst und Neid angeschaut hatten.

      Doch diesmal waren sie verändert. Ihre Gesichter waren geschunden und grau, die Augen weit aufgerissen, blutunterlaufen, und aus ihren Mündern lief unkontrolliert der Speichel.

      Schockiert wich Ben zurück, doch sein Fuß trat ins Leere, er verlor das Gleichgewicht, versuchte, sich am Türrahmen festzuhalten – doch auch der war nicht mehr da. Hilflos stürzte er in die Tiefe, ins Bodenlose, dann schlug er hart auf.

      ***

      »Hallo? Hörst du mich?« Aus der Dunkelheit drang eine Stimme an sein Ohr. »Scheiße, ich glaube, der ist richtig K.O.!«

      Ben spürte etwas Feuchtes an seiner Stirn. Langsam öffnete er die Augen und sah ein Gesicht vor sich. Tanja? Nein, es war eine junge Frau mit dunkelblondem Haar. Mitteleuropäisch-Asch, um genau zu sein. Nicht gerade die spannendste Haarfarbe, die man haben kann, echote ein weiterer Gedanke aus einer fernen Vergangenheit durch Bens Schädel. Die Frau befeuchtete ihre Finger in einem breiten Glas voller Wasser und strich über seine Wangen. Als sie sich zu ihm vorbeugte, sah er ihren schwangeren Bauch, und langsam realisierte er, was passiert war. Schwindel überkam ihn wieder, er war auf den Knien, er musste sich abstützen! Doch seine Hände gehorchten ihm nicht – sie wurden festgehalten!

      Ben blinzelte und drehte langsam den Kopf. Das schmerzte, und dazu knirschte es in seinem Schädel, als hätte er Sand in der Halswirbelsäule. Zu seiner Rechten sah er einen starken Arm, der ihn packte, zu seiner Linken eine etwas schmächtigere Version davon. Die Frau sprach ihn jetzt mit sanfter Stimme an: »Bist du okay? Trink' erst mal was!«

      Sie hielt ihm das Wasserglas hin, Ben wollte etwas sagen, doch er konnte nur trocken schlucken. Missmutig riss er an seinen Armen, der Mann an seiner Linken gab schließlich die Hand frei und er nahm das Glas. Den Schwung nutzend wollte er aufstehen, doch seine Muskeln versagten – er ließ stattdessen seinen Hintern auf die Fersen herab und stürzte das Wasser hinunter wie ein Verdurstender. Jetzt musste er husten, wobei ihm kurz schwarz vor Augen wurde.

      »Vorsicht, vielleicht ist er gebissen worden«, hörte er eine dünne Frauenstimme sagen. Er riss die Augen wieder auf, und nun war sein Blick umso klarer. Sein Bewusstsein war wieder voll da, und er warf der komischen Lehrerfrau im roten Strickpulli, die zuletzt gesprochen hatte, einen hasserfüllten Blick zu. Die machte ängstlich einen halben Schritt zurück, und Bens Aufmerksamkeit fiel auf die drei Männer, die sich in bedrohlicher Pose vor ihm aufgebaut hatten und nun noch einen Schritt auf ihn zu machten. Der fette Alte im langen Unterhemd war doch der Schlüsselmeister, der Vater der Schwangeren – Wolfgang. Er hatte jetzt eine Art Feuerhaken in der Hand, flankiert wurde er von einem Unbekannten und dem komischen Akademikertypen, beide hielten lange Küchenmesser in den Händen, was auf Ben etwas albern wirkte. Als an seinem rechten Arm gerüttelt wurde, warf Ben einen mürrischen Blick auf den muskulösen jungen Mann an seiner Seite, Matthias hatten sie ihn gerufen.

      »Steh auf, Mann! Was ist los mit dir?«, herrschte der ihn an, und bei Ben knallte irgendwo eine Sicherung durch. Er sprang auf, wobei die Lehrerin und die Schwangere instinktiv zurückwichen. Er schrie aus vollem Hals: »Was los ist? Was mit mir los ist?!?«

      Ben holte unnatürlich tief Luft, wobei ein komisches, pfeifendes Geräusch entstand, wie bei einem kaputten Ventil.

      »Was ist mit EUCH los? WAS IST HIER LOS?!?«

      Das eben noch kühlende Nass auf seinem Gesicht schien Ben nun kochend heiß zu sein, sein Kopf war knallrot. Ben merkte, dass sein Kreislauf immer noch nicht optimal funktionierte; schwarze Flecken tanzten durch sein Sichtfeld und er rang nach Luft. Als das Hämmern in seinem Schädel zurückwich, bemerkte er die Totenstille, die auf einmal herrschte. Er schaute in die Runde; alle starrten ihn mit offenen Mündern an. Der Alte fand als erster die Sprache wieder, seine Worte klangen, als wäre ihm eine unglaubliche Erkenntnis gekommen: »Du hast überhaupt keine Ahnung, oder?«

      Die Lehrertante


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