BERLIN ZOMBIE CITY. Kalle Max Hofmann

BERLIN ZOMBIE CITY - Kalle Max Hofmann


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Ihr Boyfriend mit dem peinlichen Küchenmesser sprang ihr zur Seite.

      »Vielleicht ist das doch ein Trick?«, mutmaßte er, wobei er versuchte, besonders schlau und kein bisschen ängstlich zu klingen. Zu seinem Erstaunen merkte Ben, dass die anderen seine Worte aufzunehmen schienen. Dabei hatte er selbst überhaupt keine Ahnung, wovon sie redeten, und was für einen Trick er angeblich in Planung haben könnte. Stattdessen wurde ihm mit dem Abfallen seines Adrenalinpegels nur wieder bewusst, was geschehen war. Sein Herz rutschte in die Hose und eine völlig ungekannte Form der Verzweiflung überkam ihn.

      »Hey, ich bin gerade eben erst angekommen, okay?«

      Nachdem diese Worte seinen Mund verlassen hatten, merkte er sofort, dass die Anderen plötzlich an seinen Lippen hingen.

      »Im Hafen«, fuhr er fort. Seine Zuhörer machten große Augen.

      »Hier in Tempelhof?«, fragte jemand aus der Ecke hinter ihm.

      »Genau, ich hatte mich mit meiner Freundin gestritten und bin abgehauen … drei Wochen auf meinem Boot … ohne Handy, ohne Radio …«

      Ben rang nach Worten, denn während er sprach, überkamen ihn merkwürdige Erinnerungen seiner Reise. Die anderen waren anscheinend sprachlos. Matthias erwachte als erster aus seiner Starre.

      »Ich muss dich kurz kontrollieren«, sagte er, zog an Bens Kragen, schob seinen Pullover hoch und betrachtete flüchtig Bauch und Hüfte, dann tastete er noch schnell die Beine ab und richtete sich dann wieder vor Ben auf.

      »Na dann; Willkommen zurück«, sagte er und wandte sich dann dem Alten zu: »Er scheint okay zu sein.«

      »Wärste mal lieber weggeblieben«, knurrte der Angesprochene mürrisch.

      »Warte mal«, sagte eine Stimme hinter Ben. Er drehte sich um und sah das punkige Mädchen, das allerdings gar nicht ihn angesprochen hatte, sondern den Alten.

      »Wenn er mit 'nem Boot bis hierher gekommen ist, dann müsste man doch …«

      Der Mann schnitt ihr direkt das Wort ab. »Das haben wir oft genug durchgekaut. Wir bleiben hier und warten! Alles andere ist Selbstmord!« Grollend schaute er in die Runde, die anderen Anwesenden schwiegen pikiert, einige nickten pflichtbewusst. Dann richtete der Alte wieder das Wort an die burschikose junge Frau: »Paula, der ist jetzt dein Problem. Und wenn's draußen wieder ruhig ist, muss er abzischen!«

      Sie nickte frustriert und drehte sich weg, während Ben schwer schluckte. Obwohl er immer noch gar nichts verstand, wusste er, dass dies der schlimmste Tag seines Lebens war. Und dass es wahrscheinlich noch viel schlimmer werden würde.

      Kapitel 6

      WASSER UND BROT

       18:49 Uhr

      Nachdem sie den immer noch zitternden Ben an einen alten, schweren Esstisch gesetzt hatten, ließen sie ihm erst einmal einen Moment zum Durchatmen, in dem er versuchte, sich einen Reim auf das Gesehene zu machen. Sein Glas stand auch vor ihm, momentan halbvoll, und als Nächstes landete eine trockene Scheibe Toastbrot vor ihm. Paula setzte sich ihm gegenüber an den Tisch.

      »Das Brot geht auf mich«, sagte sie, »Wie heißt du eigentlich?«

      »Ben« antwortete der Angesprochene, und Paula hob die Augenbrauen – so als würde sie das nicht für seinen richtigen Namen halten – und Ben fühlte sich irgendwie ertappt.

      »Okay, Ben … ich bin Paula. Die meisten nennen mich Paule«, grinste sie.

      Jetzt fiel etwas Anspannung von Ben ab. Herzlichen Glückwunsch, dachte er, und musste sich auf die Unterlippe beißen, um nicht zu lachen. Ein Jungenname für so eine Punklesbe, das passte doch wie die Faust aufs Auge. Er nahm sie genauer unter die Lupe. Ihre kurzen Haare wirkten fettig und hatten viele Kanten, als wären sie vor kurzem selbst geschnitten worden. Könnte aber schlimmer sein. Eigentlich hatte sie schon ein mädchenhaftes, nicht unattraktives Gesicht mit einer sehr feinen Nase, wenig Kinn und fast schon asiatisch angeschrägten Augen. Die wirkten in diesem funzeligen Licht tiefschwarz, und als sie sie auf einmal weit aufschlug und Bens Blick voll erwiderte, fühlte er sich schon wieder ertappt. Eigentlich schade, dass sie ihren offenen Ausdruck mit diesen Piercings so verschandelte. Sie hatte einen kleinen silbernen Ring in der Unterlippe und einen in der rechten Augenbraue, nach Bens Geschmack die beiden absolut unattraktivsten Stellen für Gesichtsschmuck. Trotzdem starrte er sie immer noch an, und sie hob schon wieder so herausfordernd die Brauen. Zum Glück trat jetzt die Schwangere an den Tisch, füllte wortlos sein Glas auf und stellte eine brennende, dicke Kerze auf den Tisch. Ben fragte sich, ob sie im Gastro-Bereich arbeitete, so flüssig wie ihre Bewegungen waren. Er schaute ihr mit großen Augen hinterher und bedankte sich artig.

      »Das ist Melanie«, erklärte Paula, »die Tochter vom Wolfgang. Das ist der mit dem Plastikgewehr. Sozusagen unser Chef.« Sie rollte kurz mit den Augen. »Na ja, ist halt auch seine Wohnung hier.« Dann beugte sie sich ein wenig vor und fügte flüsternd hinzu: »Er nimmt das mit dem Patriarchat trotzdem ein bisschen zu ernst.«

      Ben nickte fast automatisch. Paulas Lockerheit und ihr beiläufiger Ton irritierten ihn irgendwie, wollten sie doch einfach gar nicht dazu passen, dass hier ganz offensichtlich schreckliche Dinge im Gange waren. Doch jede Faser von Bens Verstand sträubte sich dagegen, sich mit diesen Gedanken zu beschäftigen, und so war er erleichtert, als Paula fortfuhr und in den Raum gestikulierte.

      »Der Tarun da drüben, das ist Melanies Mann … Andrea und Günter haben im Hinterhaus gewohnt, genau wie ich.« Das waren die beiden komischen Intellektuellen, die nicht gerade Bens Favoriten in dieser zusammengewürfelten Truppe waren. »Da gab es dann aber ein Feuer, ist alles total verrußt jetzt«, sagte Paula, als wäre es das Normalste der Welt. »Und Matze und Pille, das sind Studienkollegen von Melanie und Tarun. Die waren hier, um beim Umzug zu helfen …« Sie suchte kurz nach Worten und schloss dann mit »… an dem Tag

      Ben hob die Augenbrauen. Jetzt wurde es wohl interessant. »An dem Tag?«

      »Ich nenne ihn den Tag X«, erklärte Paula, nun wieder im sachlichen Modus. »Der Freitag vor drei Wochen war das. Angefangen hatte es eigentlich noch zwei Wochen früher, mit dieser komischen Krankheitswelle. Erst hieß es was von Tollwut …«

      Paula lehnte sich kurz seitlich über den Tisch und fischte eine abgegriffene Zeitungsseite aus einem Stapel mit Papieren hervor, der sich am Kopfende des Tisches befand. Sie schob Ben das Blatt zu, die Schlagzeile lautete »EPIDEMIE«.

      »Das hab ich auch noch mitgekriegt … aber …« Ben driftete in Erinnerungen an seinen letzten Landgang ab. Das hatten ihm die Einheimischen also damals sagen wollen. Aber Ben hatte keine Lust gehabt, sich mit ihrem Radebrechen und der Konversation über Hand und Fuß zu beschäftigen. Er hatte einfach seine Vorräte gekauft, während der Tank befüllt worden war, und hatte innerlich den Kopf über die vermeintlich Bekloppten geschüttelt. In diesen Hafenstädten hatte er schon viel Seemannsgarn gehört, und auf seinem Boot fühlte er sich sowieso unverwundbar. Paula beugte sich zu ihm vor und senkte ihre Stimme, was ihr sofort wieder Bens volle Aufmerksamkeit sicherte.

      »Die Infizierten sind dann voll ausgerastet. Wie Tiere. Die fallen alles an, was sich bewegt, und beißen … und dann kriegt man das auch. Das hat sich immer schneller ausgebreitet, und irgendwann war dann Sense. Tag X. Notstand, Kriegsrecht, alles zu spät.«

      Ben hatte Mühe, ihre Worte für bare Münze zu nehmen, aber er konnte förmlich spüren, wie auch Paula um Fassung rang. Sie hatte das alles hautnah erlebt, daran hatte er keine Zweifel. Und sie hörte nicht auf zu reden, ganz so, als würde sie sich dadurch selbst beruhigen. »Kein Fernsehen mehr, kein Radio … die Handynetze sind auch zusammengebrochen. Aber Strom und Wasser gehen noch. Im Moment. Ist wohl alles automatisch.«

      Ben dachte an die unbemannten Schleusen, die er auf dem Weg zurück in die Stadt passiert hatte, und die wenigen Schleusenwärter, die rückblickend betrachtet auch nervös schienen oder ihm sogar Dinge zugerufen hatten, die für ihn keinen Sinn ergaben.

      Paula wirkte,


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