BERLIN ZOMBIE CITY. Kalle Max Hofmann
Wasser zu sammeln. Sicherheitshalber«, sagte sie. In Bens Kopf formte sich langsam ein Gedanke, es war, als würde etwas anschwellen, das seinen Kopf zum Platzen zu bringen drohte. Er merkte, dass er sich auf etwas anderes konzentrieren musste, dass er mehr erfahren musste. Er zwang sich, zu sprechen, und dabei möglichst cool zu klingen: »Ähm … hast du gerade Kriegsrecht gesagt?«
Paula nahm den Ansatz dankbar an; sie atmete einmal durch und fuhr fort. »Ja, die Freaks gehen auf alles los, was sich bewegt. Nur gegenseitig lassen die sich in Ruhe. Deswegen herrscht der absolute Notstand.«
Jetzt war es so weit, in Bens Kopf knallte irgendwo eine Sicherung durch. Er sprang ansatzlos auf und gestikulierte in den Raum hinein.
»Und ihr sitzt hier alle einfach rum?«, rief er. »Wir müssen doch … irgendwohin, wo es sicher ist … 'ne Polizeistation oder so … wo die uns schützen können!«
Alle Anwesenden hielten inne und schauten Ben für einen Augenblick verwundert an, dann musterten sie sich gegenseitig, bis Wolfgang schließlich demonstrativ langsam aufstand. Er wandte sich an die Gruppe und sagte laut: »Ich hab doch gesagt, der muss weg! So einen können wir hier nicht brauchen!«
Ben war irritiert, er wollte eigentlich noch etwas sagen, doch sofort merkte er, dass damit für die anderen schon alles gesagt war – sie kümmerten sich wieder um ihre Angelegenheiten; jedoch nicht ohne das eine oder andere Augenverdrehen oder Kopfschütteln. Nachdem sein kurzlebiger Adrenalinschub wieder wegbrach, sackte Ben hilflos in sich zusammen. In diesem Moment kam Mathias auf ihn zu und schob ihn wieder auf den Stuhl.
»Nimm es uns nicht übel, aber Wolle hat recht«, begann er. »Wir treten uns hier schon gegenseitig auf die Füße. Und die Vorräte halten auch nicht ewig.«
Ben schaute ihn immer noch begriffsstutzig an, und Paula übernahm das Erklären.
»In Polizeiwachen und Krankenhäusern gab es die größten Massaker. Da wollten die meisten Leute hin. Aber wo viele Leute sind, gibt's für die Freaks das meiste Fressen, verstehst du? Und deswegen sind da jetzt auch die meisten Infizierten. So etwas wie Sicherheitskräfte gibt's nicht mehr. Die sind alle gebissen worden. Und der Konsens hier –«, an dieser Stelle machte sie eine Kunstpause und seufzte, »– ist, dass wir die Sache aussitzen sollten. Bloß nicht nach draußen gehen.«
Sie schaute Matthias konspirativ an. »Vor allem seit vorgestern, da ist Wolfgang fast von denen erwischt worden. Weil er nicht auf mich gehört hat.«
Matthias stieg nicht auf ihre Vorlage ein. »Er hat doch aber recht. Wir können nichts machen, außer warten, dass die Armee kommt … und aufräumt.«
Bens Schädel pochte immer noch, sein kleiner Ausbruch hatte ihn völlig fertiggemacht, vor allem aber fühlte er sich so benommen, dass er eigentlich nur nachplappern konnte. Die Informationen wollten einfach nicht in sein Bewusstsein dringen.
»Wie, aufräumen … was meinst du?«
Mathias zuckte nur mit den Schultern und sagte lakonisch: »Die müssen alle Infizierten abknallen.«
Ben atmete tief durch. Das war alles sehr starker Tobak. Einfach absolut irreal. Doch der Druck in seinem Schädel nahm langsam ab und er atmete tief durch. Dabei fiel sein Blick auf einen großen Anstecker, der an Paulas Jacke befestigt war. Auf schwarzem Grund prangten dort ein weißer Totenschädel und die rote Aufschrift: Soldaten sind Mörder. Wie die Zeiten sich ändern konnten. Ein gewisser Groll stieg in Ben auf.
»Hey sorry, ich weiß, ich komme aus dem Mustopf und so«, sagte er, »Aber das kann doch einfach nicht wahr sein! Ihr sitzt alle nur hier rum, als wäre nichts gewesen! Wir müssen doch irgendwas machen!« Damit traf er anscheinend bei Matthias einen wunden Punkt, denn der ging ihn sofort mit wütender Miene an.
»Pass' mal auf«, drohte er, wobei er Ben den Zeigefinger in die Brust bohrte, »Ohne uns wärst du tot, Freundchen!«
Paula atmete tief durch und hielt Matthias ihre aufgestellten Handflächen entgegen; ein Zeichen, dass er sich beruhigen solle.
»Lass' mal gut sein, Matze«, sagte sie beschwichtigend. Dann wandte sie sich Ben zu: »Du hast echt keine Ahnung, was wir durchgemacht haben. Wahrscheinlich sind wir einfach schon abgestumpft. Uns ist das alles andere als egal, aber es fühlt sich an, als wäre man in Watte gepackt …«
»Ja, so ist es vielleicht am Tag«, fiel ihr Matthias ins Wort, »Aber wenn man schläft … das ist die reinste Folter.«
Bei diesen Worten meinte Ben, einen Funken von Wahnsinn in Matthias' Augen aufblitzen zu sehen, sein Blick fokussierte plötzlich einen Punkt außerhalb dieser Welt. Paula hingegen schien das ganz anders wahrzunehmen, denn sie brach auf einmal in ein glucksendes Lachen aus und boxte Ben auf die Schulter.
»Hey, ich hab mir neulich im Schlaf ein Stückchen Zunge abgebissen«, erklärte sie. »Dann bin ich mit ’ner blutigen Fresse aufgewacht, und Matze hätte mir fast den Kopf abgehackt.«
»Was verpasst du mir auch so 'nen Schock«, stimmte Matze in das Gelächter mit ein. Das für Ben absolut absurde Geräusch echote durch seinen Schädel, es erinnerte ihn an etwas … an jemanden. Urplötzlich klang das Gelächter wie unter Wasser, eine Erkenntnis traf ihn wie der Blitz und jagte einen langanhaltenden Piepton durch Bens Gehirn. Er hatte wieder das Gefühl, der Boden würde unter ihm weggezogen – seines Gleichgewichtes beraubt, kippte er ein Stück nach vorne und musste sich am Tisch abstützen.
»Alles okay?«, fragte Paula besorgt, als sie seinen ungesunden Gesichtsausdruck registrierte.
Matthias schaute Ben ebenfalls forschend an, wobei er die Stirn in Falten legte, da sprang Ben unvermittelt auf und murmelte: »Ich muss los.«
»Was?«, fragte Paula erstaunt, während Matthias bereits zögerlich aufstand und Ben argwöhnisch im Auge behielt.
Bens Gedanken rasten, mit einer unnatürlich langen Verzögerung sagte er abwesend: »Ich muss zu meiner Freundin.« Er versuchte, sich abrupt wegzudrehen, doch Matthias hielt ihn am Arm fest, worauf Ben erst ihn, dann Paula fragend anstarrte.
»Ey, wir wollen dich ja loswerden, aber nicht jetzt sofort«, sagte Paula kopfschüttelnd. »Da draußen ist jetzt alles voll mit den Freaks«, gab Matthias zu bedenken. Doch der völlig weggetretene Ausdruck wich nicht aus Bens Gesicht.
»Ich muss sofort zu meiner Freundin«, sagte er jetzt lauter und mit einem sehr eindringlichen Tonfall.
»Hey, bitte nimm's mir nicht übel«, setzte Paula an, »aber die Chance, dass sie noch lebt …«
Während sie nach einer möglichst schonenden Formulierung suchte, fummelte Ben geistesabwesend das Foto aus seiner Hosentasche. »Nein, ihr versteht das nicht …«, begann er, während er das geschundene Bild nervös glatt strich. »Meine Freundin …«, fuhr er fort, wobei seine Augen hektisch zwischen seinen beiden Gesprächspartnern hin und her sprangen, »sie … sie ist schwanger!«
Ben schleuderte Paula und Matthias dieses Wort mit solcher Inbrunst entgegen, dass sie unwillkürlich zusammenzuckten. Auch Ben selbst wirkte erschrocken, es zu hören. Sein entschlossener Gesichtsausdruck fiel zusammen und zurück blieb nur Verzweiflung. Das machte seine Aussage umso eindrucksvoller, und Ben nutzte in seinem plötzlichen Drang zum Rückzug die Überraschung seiner Zuhörer, um sich loszureißen und auf den Balkon zu stürmen. Die übrigen WG-Mitglieder schauten ihm fragend hinterher, während Paula Matthias einen besorgten Blick zuwarf. Der zuckte bloß mit den Schultern, folgte Paula allerdings sogleich in Richtung Balkontür.
Ben stand zitternd am Geländer und starrte auf die flache Berliner Skyline. Er nahm gar nicht wahr, dass Paula und Matthias im Türrahmen erschienen. Nachdem sie ihn eine Weile beobachtet hatten, stieß Matthias ihr den Ellenbogen in die Seite und sie räusperte sich.
»Wie gesagt … du musst vielleicht den Gedanken in Betracht ziehen, dass sie …« Sie suchte wieder nach rücksichtsvollen Worten, aber Matthias war weitaus weniger geduldig.
»Mindestens zwei Drittel der Menschen im Stadtkern sind tot«, platzte er dazwischen, »Und fast