EUPHORIA Z. Luke Ahearn

EUPHORIA Z - Luke Ahearn


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legte er sich auf eine kleine Bank und stemmte eine Stange Gewichte. Er hob sie ein wenig an, sodass er es leicht in der Brust spürte. Er hatte es bislang nicht geschafft, richtig stämmig zu werden, sondern sah schmächtig aus, obwohl seine Muskeln stahlhart waren und das Gros selbst derjenigen, die Steroide zu sich nahmen, im Gewichtheben keine Chance gegen ihn hatte. Nachdem er die Stange langsam eingehängt hatte, setzte er sich hin.

      Cooper besah kurz seine Pokale und Urkunden, wandte sich dann jedoch ab. Dies alles mutete an wie ein Leben, das weit in der Vergangenheit lag, obwohl er seinen Abschluss erst wenige Wochen zuvor gemacht hatte. Er schob das dicke Jahrbuch von seinem Schreibtisch; er musste aufhören, an früher zu denken. Nichts davon hatte noch irgendeine Bedeutung. Seit das Leben schlagartig zum Erliegen gekommen war, kam es auf die Fähigkeiten zum Überleben an, die er sich als Pfadfinder angeeignet hatte, nicht auf seine verdienten Abzeichen und Ehrenbänder – genauso wie die Stärke und Kondition, welche er sich antrainiert hatte, wichtiger waren als die Trophäen.

      Er ging duschen. Das heiße Wasser tat gut, es beruhigte ihn. Als er sich über die dichten Stoppeln in seinem Gesicht fuhr, entschied er, sich nicht zu rasieren. Dazu gab es keinen Grund. Dann ging er wieder im Haus herum, da er außerstande war, längere Zeit stillzusitzen.

      Die geräumige Wohnung mit ihren hohen Zimmern und Fenstern, die vom Boden bis unter die Decken reichten, mutete wie ein Museum an. Die Scheiben vermittelten ihm das Gefühl, angreifbar zu sein. Obwohl er die Läden geschlossen und die Vorhänge zugezogen hatte, wirkte das Glas schwach im Vergleich zu Ziegel- oder Betonstein. Bei seinem nächsten Durchgang warf er einen Blick hinaus. Eine Menge Menschen bevölkerten die ansonsten ruhige Straße. Sie veranstalteten eine riesige Feier – eine Orgie des Wahnsinns.

      Von hier aus überblickte er einen großen Teil Montereys, da sein Haus auf der Spitze eines 900 Fuß hohen Hügels mitten auf der Halbinsel stand. An einem Hang der weitläufigen Anhöhe erstreckte sich ein Wald, und er nahm sich vor, auf diesem Weg zu fliehen, sollte es darauf hinauslaufen.

      Cooper hatte bereits versucht, nach San José zu gelangen, doch die Straßen waren versperrt und gefährlich, weil die anderen Verkehrsteilnehmer durchdrehten. Man konnte nicht einmal mehr tanken. Sein Plan bestand nun darin, sich auf die Lauer zu legen, obwohl er sich große Sorgen um seine Schwester machte. Sie standen sich sehr nahe, und er musste sie irgendwie erreichen.

      Sie lebte in einem großen Appartementkomplex in San José, und er hatte schon seit Tagen nichts von ihr gehört. In der Stadt war es schon schlimm gewesen, bevor die Krankheit Monterey überhaupt heimgesucht hatte. Seine Schwester selbst wusste genauso wenig wie er, was sie tun sollte. Er wünschte sich, sie würde nach Monterey kommen, hatte aber die gleichen Bedenken wie sie, weil sie auf dem Highway steckenbleiben konnte. Bei seinem letzten Versuch, sie anzurufen, war die Leitung tot gewesen.

      An dem Tag, als die Infektion die Stadt erreichte, war Cooper bereits darauf eingestellt und entschlossen gewesen, sich nicht anzustecken. Er hatte den Notfunk abgehört und wusste deshalb, dass es sich um ein Virus handelte. Jetzt kam er sich dämlich vor, weil er noch vor wenigen Tagen versucht hatte, zur Arbeit zu gehen. Er war in einem Burger-Imbiss vor Ort angestellt gewesen und hatte Anhaltspunkte für die Infektion gesucht. Seinen Vorgesetzten, einen ausgemachten Arsch, der sich nie zu schade war, seinem Personal die Hölle heißzumachen, hatte er als Infizierten verdächtigt, und sich, als der Kerl zum Grinsen übergegangen war, statt seine Untergebenen zu rügen, in seinem Verdacht bestätigt gesehen, sodass er umgehend abgehauen war.

      Cooper fragte sich, ob der Asteroideneinschlag in Ufa mit den Geschehnissen zusammenhing. Allerdings hatte es nicht unmittelbar danach begonnen. Viele spekulierten darauf, das Virus sei mit dem Gesteinsbrocken auf der Erde gelandet, doch Wissenschaftler widersprachen dieser These aufgrund des Musters, nach dem sich die Infektion auf der Welt ausbreitete. Es gab kein Epizentrum, keinen Ausgangspunkt; sie war vielmehr überall zugleich aufgetreten. Hätte eine einzelne Quelle existiert, wäre man möglicherweise in der Lage gewesen, einen Ursprungsort oder spezifischen Träger zu bestimmen, um die Verbreitung einzudämmen.

      Man glaubte, das Virus war aus einem alten Militärlabor freigesetzt worden. Natürlich bestanden auch andere Theorien, angefangen bei Gott über Außerirdische bis zu Terroristen. Es gab keinen Flecken auf der Erde, an dem der Erreger nicht präsent war.

      Schüsse unterbrachen jäh Coopers Gedankengang. Er duckte sich instinktiv, versuchte aber weiter, aus dem Fenster zu schauen. Nichts zu sehen. Die Zahl und Lautstärke der Schüsse nahmen rasch zu, bis sie eine andauernde Lärmkulisse bildeten. Er wähnte sich in einer Kriegszone und hätte gerne gewusst, was genau da draußen vor sich ging. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass die Türen verschlossen waren, rief er die gleichen Personen an, bei denen er es immerzu probiert hatte: Mutter, Vater, Schwester, Freunde. Durchzukommen war einfach unmöglich. Immer wieder tippte er die Nummern im Eiltempo ein.

      Ihm lag es fern, den Schutz und die Bequemlichkeit seines Hauses hinter sich zu lassen. Er verfügte über genügend Nahrungsmittel und Wasser für Wochen, falls nicht sogar Monate. Auch seine Mutter legte gerne Vorräte an für den Fall eines Erdbebens, und sein Vater kaufte vorzugsweise große Stückzahlen ein. Nur über seine Schwester zerbrach er sich den Kopf und wollte unbedingt wissen, ob es ihr gutging. Bis auf weiteres jedoch konnte er nichts weiter tun, als im Dunkeln auszuharren und zu warten – bloß worauf? Diese Frage ließ ihn nicht los.

      Ein ohrenbetäubendes Krachen erschütterte das Haus. Der Lärm, den die Feiernden draußen machten, schwoll um ein Vielfaches an. Cooper lief den Flur hinunter, um herauszufinden, was geschehen war, und erstarrte: Die Orgie weitete sich durch eine zerbrochene Scheibe in sein Wohnzimmer aus. Ein Auto hatte einen Teil der Mauer eingerissen und damit auch mehrere der hohen, breiten Fenster. Immer mehr Irre drängten ins Haus, was ihm die Flucht unmöglich machte. Die Schlafzimmer hinter ihm verfügten bloß über dünne Innenraumtüren.

      Hier war er nicht mehr sicher, und einen Weg nach draußen gab es nicht. Zum ersten Mal fürchtete er sich, weil er wusste, dass er nun sterben könnte.

      - 2 -

      Sal Labeggio schaute sich die Nachrichten an und nippte an einer Flasche Rum – nur einen Schluck, nicht viel, da ihm nicht der Sinn danach stand, sich zu besaufen. Dennoch musste er unbedingt seine Nerven beruhigen. Nachdem er den Deckel aufgeschraubt hatte, stellte er die Buddel auf den Couchtisch.

      Seine Frau wollte ihn nicht aus dem Haus lassen. Sie war Krankenschwester aus Leidenschaft, weigerte sich aber gleichsam, selbst zur Arbeit zu gehen. Dieses fröhliche Einerlei, das wusste sie, verhieß nichts Gutes. Er hatte versucht, sie zu überreden und sich über sie hinwegzusetzen, war aber zurückgehalten worden – auch von ihrem Weinen. Da sie ihn in puncto Intelligenz ausstach – sie war ja praktisch Ärztin – hatte er nachgegeben und versprochen, zu Hause zu bleiben; nicht nur dass, insistierte sie, sondern im Haus. Er hatte seiner zierlichen Frau in die Augen schauen und einen Schwur ablegen müssen. Jetzt war er froh, dies getan zu haben.

      Zuerst beobachtete er, dass seine Freunde und Verwandten freudiger denn je waren. Das fand er wirklich mitreißend! Tagelang kehrten sie unbändige Begeisterung hervor. Sie riefen Sal an, luden ihn zu sich ein oder wurden an der Haustür vorstellig. Maria jedoch hielt sich und ihn vehement – ja sogar mit Gewalt – im Haus eingesperrt. Sie wies auf verschiedene Symptome hin, die man nicht einfach so ignorieren konnte. Über mehrere Tage hinweg wurde die Außenwelt vor Sals Tür ohne sein Zutun immer glücklicher. Die Betroffenen lachten, fielen einander in die Arme und schienen zur Gänze mit Glück erfüllt zu sein. Jeder, außer ihm und seiner fanatischen Frau, so schien es, erfuhr die glücklichste Zeit seines Lebens.

      Die Glücklichen mauserten sich rasch zu einer überbordenden Mehrheit der Bevölkerung. Einige wenige wunderbare Tage lang war die Erde ein besserer Ort als je zuvor. Sal hingegen musste aus seinem langweiligen, stickigen Haus zuschauen.

      Dann aber wurden die Glücklichen allmählich zu überschwänglich. Sie lebten sich auf extreme Weise aus, frönten jedwedem Laster und stillten ihre Begierden in ausschweifendem Maße. Im Nu verwandelte sich die Welt in einen fiebrigen, orgiastischen Albtraum. Niemand ging mehr zur Arbeit, niemand schien mehr zu schlafen, niemand redete mehr, weil der Planet zu einem Ort konstanten


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