EUPHORIA Z. Luke Ahearn

EUPHORIA Z - Luke Ahearn


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Sex miteinander hatten und allen erdenklichen Schlechtigkeiten nachgingen. Sie prügelten sich, vergewaltigten, rasten mit ihren Autos durch die Gegend – alles, was man sich vorstellen konnte.

      Während Sal Nachrichten schaute, gewann er den Eindruck, die Infektion sei allerorts von jetzt auf gleich aufgetreten. Die Kranken steckten ihr Umfeld schnell an, also wurden weite Teile des Planeten zum gleichen Zeitpunkt befallen. Beim Anblick der Szenen im Fernsehen dämmerte ihm, was seine Frau schon seit Tagen predigte: Das war eine ernste Angelegenheit.

      Die Infektion breitete sich so rasch aus, dass die Welt binnen weniger Stunden ins Chaos abrutschte. Trotz der Tatsache, dass die Zivilisation zusammenbrach, glaubten immer noch viele Menschen, was gerade geschah, sei eine gute Sache, und trafen keinerlei Vorkehrungen. Nun trugen sie die Konsequenzen.

      Sal sollte im Lauf der kommenden Tage noch viele Male die gleichen Dinge hören, die ihm seine Frau schon länger vorbetete. Allem Anschein nach breitete sich das Virus hauptsächlich über den Kontakt mit Körperflüssigkeiten aus. Wie es schien, bestand schon eine hohe Wahrscheinlichkeit der Infektion, wenn man jemanden umarmte und seine Ausdünstungen berührte. Da die Betroffenen hohes Fieber bekamen, begannen sie, stark zu schwitzen. Indem sie miteinander rangen oder schliefen, steckten sie sich gegenseitig an.

      Die Zügellosigkeit hatte zur Folge, dass die Krankheit viele Todesopfer forderte. Schwere Unfälle geschahen. Es kam zu Drogenexzessen, man vergaß, wichtige Arzneimittel einzunehmen, und erlitt Verletzungen durch Gewalt. Viele Menschen wurden schlichtweg zerdrückt, erstickt oder zu Tode getreten.

      Das alles konnte Sal von seinem Fenster aus beobachten. Zuerst hatte er befürchtet, seinen Job zu verlieren, sich aber mit der Zeit größere Sorgen um seine Frau, Freunde und Angehörige als um seine Arbeit gemacht. Jetzt griff er wieder zur Flasche, schnitt dann jedoch eine Grimasse, als er die Hand zurückzog und sich in den Lehnstuhl zurückfallen ließ. Sich in die Besinnungslosigkeit zu saufen, war zu einfach. Er musste wachsam bleiben.

      Sal war ein kraftvoller, gebräunter Bolide aus natürlich entwickelten Muskeln. Sein Körperbau rührte nicht vom Fitnessstudio her, sondern war genetisch bedingt und durch seine handwerkliche Tätigkeit bevorteilt. Er war mit italienischen Wurzeln auf dem Spaghetti Hill in Monterey aufgewachsen, dessen Name auf den Umstand zurückging, dass sich dort zahlreiche italienische Einwanderer angesiedelt hatten. Sals Hände waren mit Narben und Brandmalen übersät, doch sein äußeres Erscheinungsbild trügte: Er wirkte zwar wie ein Arbeiter der Unterschicht, ein ranklotzender Steineklopfer oder Rohrbieger, doch in Wirklichkeit war er eine sanftmütige, musische Seele. Sal las viel und schaute sich gerne gemeinsam mit seiner Frau alte Filme an. Auf seine halb künstlerische Tätigkeit in einer lokalen Autoschlosserei bildete er sich etwas ein. Nachdem er Zeit seines Lebens anständiges Geld als Zimmermann verdiente, hatte er vor einigen Jahren in der Werkstatt angefangen, kundenspezifische Lackierarbeiten durchzuführen.

      Sal war besonders stolz auf einen Zeitschriftenartikel über sein Schaffen. Er hatte es gemeinsam mit dem Besitzer eines restaurierten Muscle Car auf die Titelseite eines führenden Fachmagazins geschafft. Sein Arbeitgeber, ein anständiger Kerl, hatte durch die Werbung einen Aufschwung erfahren, in dessen Zuge er imstande gewesen war, Sals Gehalt zu erhöhen. Ferner hatte er ihm einen geringen Anteil am Geschäft sowie das Vorrecht zum Kauf gewährt, sollte die Werkstatt je veräußert werden. Sal war zufrieden mit seinem Leben gewesen.

      Sein Aussehen mochte sich nun auch als Segen erweisen. Üblicherweise hatten die Menschen einen weiten Bogen um ihn gemacht und offen zugegeben, dass sie sich vor ihm fürchteten. Er konnte nichts dafür, wenn sein Gesichtsausdruck wütend anmutete, obwohl er gutgelaunt war. Außenstehende hielten ihn für dumm und gewalttätig – einen Schläger, der seine Fäuste einsetzte und einschüchterte, um seinen Willen durchzusetzen. So geriet er nicht selten an Typen, die Streit suchten. Ging er auf Partys oder in Kneipen, fing fast immer irgendein Betrunkener an, ihn anzumachen. Er konnte sich nicht prügeln, selbst wenn er es gewollt hätte, und hielt deshalb nur die Arme hoch, um sich zu verteidigen und sein Gesicht zu schützen. Dann kehrte er dem Angreifer den Rücken zu und bat ihn, damit aufzuhören. Das ermutigte den Trunkenbold jedoch oftmals erst dazu, noch fester und häufiger zuzuschlagen. Stets schritten andere ein, um das Drama zu beenden, doch sie bedachten Sal mit mitleidigen Blicken. Er war nie zornig oder ängstlich, sondern schämte sich einfach nur.

      Jetzt rutschte er auf dem Sessel herum. Seine Frau war in der Küche und telefonierte mit jemandem. Anscheinend befand sich die gesamte Nachbarschaft auf der Straße, kreischte und tanzte herum. Manche waren nackt, und zu Anfang hatte sich Sal die hübschen Frauen gerne angesehen. Wenn sie unbekleidet waren, tanzten sie fast immer, doch es hatte nur wenige Minuten gedauert, bis ihm viele nahe Bekannte und Verwandte in der Menge aufgefallen waren.

      Als es auf einmal laut an der Haustür klopfte, schaute er hinaus. Es war sein Cousin Tony. Er grinste, schwitzte und wirkte ein bisschen wirr – alles Anzeichen, auf die er laut seiner Frau achten musste. Sie hatte ihm ebenfalls befohlen, wirklich niemanden hereinzulassen, Punkt! Da sie aber nicht aus Monterey stammte, besaß sie hier weder Angehörige noch langjährige Freunde.

      »Sally!« Tonys Stimme klang irgendwie dumpf, leblos.

      »Hey, äh, tut mir leid, aber ich kann dich nicht reinlassen.«

      »Sally!« Tony schien ihn nicht gehört zu haben. »Hey, Sally, lass uns spielen.«

      Tony und Sal hatten ihre Jugend nur ein paar Häuser voneinander entfernt verlebt. Seit Gedenken kam sein Cousin nahezu täglich zu ihm herüber. Noch heute, obwohl sie beide über 30 waren, änderte sich nichts daran, doch diesmal war Tony nicht gesund. Er sah fröhlich aus, strahlte und klopfte erneut. Sal wandte sich ab, rutschte an der Tür hinunter und fing an zu weinen. Sein Cousin hatte sich angesteckt. Er war sein Freund, Verwandter und ein wichtiger Teil seines Lebens. Sal schluchzte.

      »Ach Gott, Schatz, was ist denn los?« Seine Frau kam zu ihm, um ihn zu trösten.

      »Es ist Tony«, gluckste er.

      Sie setzte sich neben ihn und nahm ihn in den Arm. »Das tut mir furchtbar leid.« Mehr konnte sie dazu nicht sagen.

      ***

      Stunden später, als es dunkel und Tony nicht mehr da war, grämte sich Sal immer noch, auch wenn er nicht mehr weinen konnte. Er saß wieder in dem Lehnstuhl, seine Frau war in der Küche, und draußen spielten nach wie vor alle verrückt. Auf einmal donnerte es heftig, und auf der Straße pulsierte ein gleißendes Licht. Sal stürzte ans Fenster, und die Menschen explodierten, ihre Leiber wurden in Stücke gerissen. Er musste mit ansehen, wie sich Arme auflösten, sodass zerfranste, rote Stümpfe zurückblieben. Köpfe platzten in rotem Sprühnebel; Körper gingen entzwei, woraufhin ihre Eingeweide auf die Straße purzelten, und bei alledem lachte, tanzte die Meute weiter.

      Sal versuchte von seiner Warte aus zu erkennen, woher die Blitze kamen. Er sah, wie es Äste und Blätter regnete. Ein Baum wurde am Stamm getroffen, sodass ein großes Loch darin klaffte. Holzsplitter flogen durch die Luft. Der dicke, alte Riese knickte ein und stürzte auf die Fahrbahn. Warum, in Gottes Namen, wurde seine Straße verwüstet?

      Er sah dieses Gleißen, aber nicht dessen Ursprung, auch wenn er sich die Nase am Fenster plattdrückte. Er zuckte zusammen, als es mehrmals laut knallte, und löste sich von der Scheibe. Staub lag in der Luft. In einer Wand taten sich drei Löcher auf, und noch mehr in der gegenüberliegenden. Bücher, Schmuck und Plunder lagen verstreut am Boden.

      Dann wurde wieder alles still und dunkel. Von dort, wo die Blitze aufgekommen waren, hörte er leise Motorengeräusche. Einen Moment später donnerte es erneut, aber nicht mehr so laut. Lichtblitze zuckten unter den Wipfeln der Bäume im angrenzenden Häuserblock. Die Menschen wurden niedergemäht, aber wieso? Was, wenn es ein Heilmittel für diese Krankheit gab? Man brachte seine Sippe und Freunde um. Sal wollte hinauslaufen und es verhindern. Er spielte ernsthaft mit dem Gedanken.

      Als er in die Küche gehen wollte, um seiner Frau zu erzählen, was er gerade gesehen hatte, kam er nur bis zur Tür. Was er dort erblickte, konnte er mental nicht verarbeiten. Mehrere zähe Sekunden lang vermochte er nicht, sich einen Reim darauf zu machen. Seine Frau saß am Küchentisch, aber ohne Kopf. Dann traf es ihn wie ein Vorschlaghammer


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