EUPHORIA Z. Luke Ahearn

EUPHORIA Z - Luke Ahearn


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Im Augenblick wollte er wirklich niemandem über den Weg laufen.

      Während der vergangenen Tage war ihm aufgefallen, dass die Infizierten ihresgleichen suchten, zu essen und zu trinken, weshalb sie in die Innenstadt wollten, wo es das alles im Überfluss gab. Cooper wollte sich nicht vorstellen, wie es nun in der Stadtmitte aussah.

      Er fand ein leerstehendes Haus. Die Besitzer hatten es verlassen, ohne abzusperren. Von drinnen hatte man eine blendende Aussicht auf die Bucht und weite Teile der City. Überall brannte es, und Rauch stieg in hohen Säulen auf, sodass es über der gesamten Stadt dunstig war. Sie wirkte wie leergefegt, still – tot. Cooper machte die Bewegungen weniger Fahrzeuge aus, die den Ort in Kolonnen verließen. Eine Stunde lang schaute er zu, doch mehr gab es nicht zu sehen.

      Nach einiger Zeit, in der er vergeblich versucht hatte, Ruhe zu finden, beschloss er, den Berg hinunterzufahren, um nachzusehen, wie es im Zentrum aussah. Er suchte den Schlüssel zu einem Range Rover, der vor dem Haus parkte, und machte sich auf den Weg durch steile abfallende Straßen, die sich zwischen hohen Bäumen und hübschen Häuschen wanden. In Monterey wuchsen viele unterschiedliche Arten, deren berühmteste wohl die Mammuttannen waren, wie man sie überall entlang der kalifornischen Küste sehen konnte.

      Der Stadtkern befand sich am Fuß des Hügels. Soweit Cooper sagen konnte, war er als Einziger mit einem Auto unterwegs. Auch weiterhin liefen hier und dort Menschen umher, teils nackt und teils angezogen, Arm in Arm und freudestrahlend. Nun tanzte niemand mehr oder tobte sich anderweitig aus. Diejenigen, die noch auf den Beinen waren, schienen sich dahinzuschleppen, bis ihre Körper endgültig kollabierten. Je weiter er nach unten fuhr, desto mehr Menschen lagen herum. Viele sahen tot aus, wohingegen einige noch mit letzter Kraft zuckten. Cooper wich mehreren Feuern aus und musste Rauchwände durchdringen. Dabei versuchte er, durch sein Shirt zu atmen, was ihm jedoch nur leidlich gut gelang. Er hustete, und seine Augen tränten, was das Fahren zusätzlich erschwerte.

      Während er sich dem Zentrum näherte, kam er an Straßen vorbei, durch die Räumfahrzeuge gezogen waren. An deren Rändern stapelten sich Berge von Leichen, die es teilweise zerrissen hatte. Allerdings grinste jedes Gesicht, in das Cooper schaute, und der eine oder andere bewegte sich noch. Er sah offene Augen, sich drehende Köpfe – schwache Versuche, wieder rege zu werden. Etwas derart Unheimliches hatte er noch nie erlebt.

      Er wusste, die Menschen starben, doch diese Körper gaben ihm Rätsel auf. In einer Straße lagen sie zu beiden Seiten mindestens zehn Fuß hoch aufgeschichtet. Zu Tausenden bildeten sie Wände, die sich über mehrere Häuserblocks hinwegzogen. Ein besonders hoher Fleischwall umgab einen ganzen Bereich der Innenstadt. In diesem gewaltigen Berg gab es nur wenige Lücken, und in jeder davon hatte man einen Kontrollpunkt errichtet, den jeweils vier Soldaten bemannten. Cooper konnte nur spekulieren, dass er viele Menschen kannte, die auf diesen Haufen lagen. Nachdem er durch eine der Lücken in dem aufgetürmten Massengrab gefahren war, stieß er auf den ersten Posten.

      Über den Notfunk hatte er erfahren, dass alle Exekutivorgane und das gesamte Militäraufgebot des Landes im Einsatz waren. Von Kleinstädten bis zu Metropolen – überall in den Staaten wimmelte es vor Uniformen. Man hatte eine Ausgangssperre verhängt und jegliches Reisen verboten. Zivilisten wurden aufgefordert, in ihren Wohnungen zu bleiben und ihre Radios einzuschalten. Einzig Mitglieder des Katastrophenschutzes, medizinisches Personal, Polizei- und Regierungsbeamte durften sich im Rahmen ihrer Arbeit fortbewegen. Man wurde an zahlreichen Kontrollpunkten angehalten – und ungefragt niedergeschossen, falls man nicht sofort gehorchte und auf der Stelle stehenblieb. Viele Bürger wurden festgenommen, weil sie die Ausgangssperre missachteten, und Plünderer brachte man um.

      Selbst strenges Kriegsrecht genügte jedoch nicht. Die Infizierten strömten weiter in rauen Mengen in die Straßen und taten, wozu sie gerade Lust hatten. Einige Straßensperren wurden überrannt, weil nicht wenige Soldaten außerstande waren, strahlende, lachende Menschen hinzurichten; andere wiederum streckten unzählige Grinsegesichter nieder. Es grenzte an Irrsinn, sich ins Freie zu wagen.

      Als Cooper nun bei den Soldaten am Kontrollpunkt vorfuhr, als wollte er einen Big Mac bestellen, lag es also nahe, dass sie ihn für völlig übergeschnappt hielten. Die Männer trugen schwere Atemschutzmasken, die den Kopf mitsamt dem Hals schützten und über Schläuche zur Brust sowie dem Rücken verfügten. Man konnte ihre Gesichter aber durch die Kunststoffvisiere erkennen. Sie winkten ihn heran. Zwei hielten ihn mit Gewehren in Schach, die sie auf Höhe seines Kopfes anlegten, einer stand an einem Geschütz auf der Ladefläche eines Humvee, und der Letzte näherte sich dem Wagen.

      »Wohin wollen Sie?«, schnauzte er durch die schwere Maske.

      »Ich mache nur eine Spritztour«, antwortete Cooper verschmitzt.

      »Nur eine Spritztour …« Er sah die Augen des Soldaten, und seine ungläubige Miene machte es unerheblich, dass er den Satz zu Ende führte.

      »Sir, die Situation ist brenzlig … Sir, Sie müssen nach Hause zurückkehren. Wir erschießen alle, die freudestrahlend herumlaufen. Bei Ihnen haben wir nur deshalb davon abgesehen, weil Sie nicht grinsen wie ein Honigkuchenpferd.«

      »Ah, in Ordnung.« Cooper starrte und überlegte.

      »Im Ernst, sehen Sie zu, dass Sie wieder nach Hause kommen. Wären Sie an einen anderen Diensthabenden geraten, hätte der Sie vielleicht abgeknallt. Theoretisch stehe ich in der Pflicht, Sie festzunehmen.«

      »Wir dürfen die Stadt also nicht verlassen? Was ist mit –«

      »Nein, und Sie müssen jetzt verschwinden, ansonsten sehe ich mich gezwungen, Sie in Gewahrsam zu nehmen. Wenn dies geschieht, landen Sie in einem Lager der Regierung, und glauben Sie mir, zu Hause sind Sie besser aufgehoben als dort.«

      »Ich mache mir bloß Gedanken um meine Schwester. Sie wohnt im Norden in –«

      »Sie werden es nie schaffen, durch alle Checkpoints zu gelangen. Außerdem werden die Straßen von Autowracks und gewaltigen Massenkarambolagen versperrt. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als nach Hause zu fahren.« Der Soldat war mit seiner Geduld am Ende. »Jetzt hauen Sie ab, oder ich werde Sie aus dem Wagen zerren.«

      Cooper bedankte sich und kehrte um, allerdings nicht zurück zu seinem Haus. Jetzt wollte er die Stadt dringlicher den je verlassen, doch das kam ihm in Anbetracht der Hindernisse und Straßensperren umso unwahrscheinlicher vor. In der Stadt war es so still geworden, dass er sich große Hoffnungen machte, bald würden alle Kontrollpunkte aufgelöst und die Straßen von jeglichen Wracks befreit. Jawohl, nicht lange, und er würde nach Norden fahren können, um bei seiner Schwester nach dem Rechten zu sehen. Bis dahin aber wusste er nicht so genau, was er mit sich anfangen sollte.

      ***

      Später am Abend war er in einem anderen Haus, erneut einem Eigenheim mit offener Tür, dessen Bewohner sich anderswohin aufgemacht hatten. Er zündete eine Kerze an, aß etwas aus ihrer Küche und ließ sich dann mit einem Buch nieder, das er gefunden hatte. Er wollte lesen, um sich abzulenken. Nach ein paar Stunden klopfte es leise aber beharrlich an der Haustür. Es war wirklich kaum zu hören und wurde noch schwächer, schwoll wieder an und erstarb abermals. Man mochte glauben, der Klopfende vergaß wiederholt, was er da tat, und musste alle paar Sekunden neu ansetzen. Cooper warf einen Blick hinaus, um zu sehen, wer dort war.

      Er erblickte einen Mann in ungefähr seinem Alter, der dastand und lächelte, während er die Tür anglotzte und klopfte. Cooper fielen dicke, silberfarbene Furunkel überall an seinem Körper auf. Der Kerl trug keine Kleider und war am ganzen Leib mit getrocknetem Erbrochenen und Blut besudelt. Nach 20 Minuten, die sich wie zwei Stunden anfühlten, drehte er sich um und verschwand auf der Straße.

      Diese Geschwulste brachten Cooper ins Grübeln, überraschten ihn aber nicht. Er hielt es für leichtsinnig, etwas als harmlos abzutun, dass sich so drastisch auf Verstand und Körper auswirkte. Die Menschen waren rasch zur Stelle, wenn es darum ging, etwas als harmlos oder sogar nützlich einzustufen, noch bevor alle Fakten bekannt wurden. Selbst die Gesundheitsbehörde vermochte nicht, dieses Leiden zu klassifizieren, abgesehen davon, dass es sich um ein Virus handelte. Dennoch nahm es die Bevölkerung vorschnell als etwas Gutes hin, nur weil Vergnügung zu den Nebenwirkungen zählte. Angesichts dieser schauderhaften


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