EUPHORIA Z. Luke Ahearn

EUPHORIA Z - Luke Ahearn


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fand ein Radio und schaltete es ein, doch es blieb stumm. Er bemerkte, dass das Gerät über einen eigenen kleinen Trafo betrieben wurde. An der Seite war eine Kurbel angebracht, um eine Kraftfeder zu spannen. Diese trieb den kleinen Trafo im Inneren an und versorgte das Radio eine knappe Stunde mit Strom. Cooper kurbelte und lauschte. Wie sich herausstellte, hatte die Infektion ihre nächste Phase erreicht.

      In den letzten 24 Stunden schon gelangten die Kranken an ihre körperlichen Grenzen. Sie hatten sich physisch ausgezehrt, entweder das Bewusstsein verloren oder ihre Bewegungen auf ein Minimum eingeschränkt. Zudem traten neue Symptome auf. Innerhalb weniger Stunden hatten sich dicke Furunkel auf ihrer Haut gebildet, die nun aufplatzten.

      Dass sie Schmerzen empfanden, war vor dem Hintergrund ihres Hirnschadens im Zuge des hohen Fiebers unwahrscheinlich, aber ihre Körper reagierten offensichtlich auf die Qualen, welche die berstenden Geschwüre nach sich zogen. Ein paar Stunden lang spürten sie die Schnitte und Risse in ihrem Fleisch, gebrochene Knochen, Brandwunden und andere Verletzungen, die sie davongetragen hatten, aber der Schmerz, den die platzenden Blasen verursachten, war eindeutig am schlimmsten. Anscheinend setzte er ihnen dermaßen zu, dass sie daran zugrunde gingen.

      Nun scharten sich Tausende auf den Straßen, die um sich schlugen und vor Qual brüllten. Einige wenige, die noch frühe Stadien der Infektion durchmachten, wankten weiterhin grinsend umher. Sie wohnten der Aufregung bei wie Kinder einem Zeichentrickfilm, doch bald barsten auch ihre Geschwulste.

      Nachdem die Furunkel aufgeplatzt waren, brachen die Opfer bald zusammen und fielen in einen komatösen Zustand. Zu diesem Zeitpunkt schwebten sie zweifellos am Rande des Todes, und es war nur eine Frage der Zeit, bis sie starben. Ihre Geister und Leiber waren derart in Mitleidenschaft gezogen worden, dass man nur noch von leeren Hüllen sprechen konnte. Sie verfügten kaum mehr über die nötigen Hirnfunktionen, um nur die Mindestanforderungen dessen zu erfüllen, was noch als Leben durchging.

      In der Nacht hörte Cooper die ersten Schreie, als der Wind sie von der Bucht herantrug. Es wurden mehr, dann schien die ganze Stadt unter dem Schrillen und Heulen der Gemarterten zu beben. Auf jeden Leichnam, der auf einem Berg in der Innenstadt lag, kamen Tausende mehr, die kreischten und brüllten.

      Coopers Bemühungen, den Ort zu verlassen, waren gescheitert, und er wusste nicht so recht, was er als Nächstes versuchen sollte. Sich zu Fuß auf den Weg zu machen, stand außer Frage, da es ganz einfach an Irrsinn grenzte. Er war zwar Pfadfinder gewesen und hatte sich um den Rang des Eagle Scouts verdient gemacht, was keine geringe Leistung darstellte, fühlte sich aber dennoch unvorbereitet. Sicher, er hatte Wanderwege zurückgelegt und unter den herbsten Bedingungen kampiert, allerdings nie allein und unter solchen Umständen. Selbst wenn alles friedlich gewesen wäre, hätte er einen Tag und länger ohne Unterbrechung marschieren müssen, um nach San José zu gelangen – und wenn er dort einträfe, würde er auf erheblich mehr Infizierte als hier in Monterey stoßen. Fürs Erste musste er sich ausruhen, doch das ging nicht, solange er die Schreie der Sterbenden hörte. Er fand einen iPod, zog die Ohrstecker an und schaltete das Gerät ein. Bei geschlossener Tür in einem der Schlafzimmer zu bleiben, kam ihm erträglich vor. Er legte sich aufs Bett, drückte sich ein Kissen ins Gesicht und döste endlich ein.

      - 4 -

      Jeder Herzschlag glich einem Hieb mit einem Hammer auf seinen Schädel. Sein Magen kam ihm vor wie ein zuckender Sack, weil ihm so übel war, dass er sich jeden Augenblick übergeben musste. Sal lag flach auf dem Rücken. Er wünschte sich, gestorben zu sein, und dachte: Vielleicht bin ich ja tot, und das ist die Hölle.

      Sein Magen drehte sich unwillkürlich um und stieß das Gift gewaltsam in einem heißen Schwall, der in seinem Hals brannte, aus dem Verdauungstrakt. Er erbrach sich über Pfützen von bereits Ausgeworfenem, das nicht von ihm stammen konnte, soweit er sich erinnerte. Nachdem er geschnaubt und ausgespien hatte, legte er sich wieder zurück. Vorübergehend fühlte er sich besser, doch prompt setzte sich das Hämmern fort, und mit ihm einher ging noch einmal der Wunsch, zu sterben.

      Er bedauerte es, getrunken zu haben, dachte an seine Frau und musste wieder weinen. Indem er sich nach der Tischplatte ausstreckte, versuchte er, sich möglichst sparsam zu bewegen, und griff zur zweiten Flasche Rum. Diese leerte er zu einem Drittel – der Rest gluckerte in sein Gesicht und breitete sich auf dem Hartholzboden unter seinem Kopf aus. Zuletzt stellte er die Flasche ab und schloss die Augen. Sein Magen rebellierte, schlug Purzelbäume und wehrte sich erneut strikt gegen den Alkohol, was sich im nächsten qualvollen Spritzguss aus Sals Mund äußerte.

      Er mochte sich nach dem Tod sehnen, wollte dabei aber nicht leiden. Da er den Schmerz, egal in welcher Form, lindern wollte, kam er nicht umhin, sich ins Bad zu schleppen. Das Aufstehen war mit großer Anstrengung verbunden, also versuchte er erst gar nicht, langsam zu machen oder den Schmerz auf ein Minimum zu reduzieren; er stand einfach nur auf. Kaum dass er auf den Beinen war, zeigte sich der Hammerschläger in seinem Kopf verärgert und klopfte dreimal so fest. Kalter Schweiß brach sich Bahn, während er langsam vorwärtsging, als balancierte er einen Stapel Bücher auf dem Kopf.

      Im Bad brach er auf den Fliesen zusammen und griff zu den Schmerztabletten, die unter dem Waschbecken standen. Während er damit haderte, die Flasche zu öffnen, fielen ihm ein paar verschreibungspflichtige Pillen auf. Vor Jahren hatte sich Sal einen Finger gebrochen und dieses Mittel vom Arzt verschrieben bekommen. Er warf eine Handvoll Tabletten ein, trank aus dem Wasserhahn, sackte wieder zu Boden und wartete darauf, dass das Hämmern verschwand. Er hoffte dabei, es nicht zu überleben, damit sein Leiden ein Ende fand. Es dauerte nicht lange, bis die Schmerzmittel in Verbindung mit dem Alkohol wirkten, sodass er sich in einen Zustand der Empfindungslosigkeit und des Nichts mitreißen lassen konnte.

      ***

      Als Sal aufwachte, stieg ihm der strenge Geruch von Urin in die Nase, abgestanden und faulig. Seine Haut war schmierig vor Schweiß, die Kleidung feucht, und trockene Kotze klebte ihm am ganzen Leib, als ob er sich darin gewälzt hätte. Er konnte nicht abschätzen, wie spät es war und wie lange er geschlafen hatte.

      Der Leichnam seiner Frau hockte immer noch in der Küche, und er legte während seines langen Aufenthalts auf den Badezimmerfliesen fest, was er für sie tun würde. Außerdem überlegte er gründlich, was er für sich selbst tun sollte. Ihm fiel kein einziger Grund zum Weiterleben ein, doch dafür kamen ihm ungefähr hundert zum Sterben in den Sinn, aber Selbstmord begehen konnte er nicht, also beschloss er, seiner Frau die letzte Ehre zu erweisen und die Stadt zu verlassen.

      ***

      Sal schleppte sich vom Bad in die Küche, um Maria auf den breiten Holztisch zu legen, den sie so sehr geliebt hatte. Er erinnerte sich an jenen Tag vor ein paar Jahren, als sie auf einem Flohmarkt darauf gestoßen waren, und welche Schwierigkeiten es ihnen bereitet hatte, ihn ins Auto und nach Hause zu schaffen, wie mühselig es gewesen war, ihn abzuschrubben, zu schmirgeln sowie neu zu lackieren, und wie froh sie gewesen waren, als sie sich zum ersten Mal daran niedergelassen und scherzhaft behauptet hatte: »Ich mag ihn nicht.«

      Nun war es an der Zeit, sich um ihre Gebeine zu kümmern. Ihr Kopf war weg – ihre Identität, ihre Schönheit –, und er brachte es nicht fertig, sie hochzuheben. Gerne hätte er sie ein letztes Mal umarmt, doch sie auch nur anzuschauen, schaffte er nicht. Die verfärbte Haut und das verschrumpelte Gewebe sahen entsetzlich aus. Es stank erbärmlich; er wusste, wenn jemand starb, entleerte er meist Darm und Blase, und das hier war eine einzige Schweinerei. Er hatte zu lange gewartet, weshalb sie nun nicht mehr seine tote Frau, sondern eine verwesende Leiche war.

      Er nahm die alte Steppdecke von ihrem Ehebett und deckte sie zu. Dann hob er sie so sachte wie möglich an, doch sie war steif, weshalb es ihm vorkam, als hebe er eine Gliederpuppe. Dieser Eindruck verstörte ihn so sehr, dass er sie wieder auf den Stuhl fallen ließ. Dabei streifte seine Haut die ihre, die kalt war. Er schüttelte sich bei dieser Berührung und bekam ein schlechtes Gewissen. Letzten Endes gelang es ihm, sie auf den Tisch zu wuchten.

      Er legte sie auf die Seite und die Decke darüber, um sie behutsam einzuwickeln, wobei er darauf achtete, sie gründlich einzupacken. Er fragte sich, warum ihm das so viel bedeutete, wo er doch wusste, dass es für sie unerheblich war. So gern er sie umarmen wollte, besann er sich darauf, dass er es nicht so erleben


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