Herzblut. Michaela Neumann

Herzblut - Michaela Neumann


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Fällen haben Betroffene erhebliche Schwierigkeiten mit Gefühlen wie Wut oder Trauer. Manche reagieren übermäßig emotional, bis hin zum Verlust der Kontrolle. Dies äußert sich gelegentlich in Fremdverletzung. Wir suchten also nach einer Person, die eine schlimme Situation durchlebte.

      Keine vier Tage später wurde eine dritte Leiche gefunden. Das gleiche Schema. Nur die zeitlichen Abstände waren unterschiedlich. Dies warf weitere Fragen auf. Die Tote studierte ebenso auf der gleichen Uni. Es musste also etwas in der Uni passiert sein. Ihr wurde ein Brief beigelegt. Er fragte mich, ob ich schon jemals den Lebensmut verloren habe und ob ich jemandem Bestimmtes die Schuld dafür geben würde.«

      Hope machte eine kurze Pause und streichelte unbewusst ihren Arm. Es dauerte nur einen Bruchteil einer Sekunde, doch Logan fiel eine Unstimmigkeit in Hopes selbstsicheren Auftreten auf, konnte aber noch nicht greifen, was es war.

      »Doch was hatte der Täter mit jungen Studentinnen zu tun und was wollte er mir damit sagen? Er gab in dem Brief an, er habe ein viertes Opfer und würde uns die Chance geben, sie zu retten, sollte ich imstande sein, sein Rätsel zu lösen. Da ich den Brief so oft gelesen habe, kenne ich die Worte noch auswendig:

      Sie war mein Ein und Alles.

      Meine Seelenverwandte, meine Zukunft.

      Nichts bleibt für die Ewigkeit.

      Nur ein einziger Ort bleibt dir für immer.

      Wir standen ungemein unter Zeitdruck. Das nächste Blutbad musste um jeden Preis verhindert werden. Also fing ich an, zu wühlen. Mich in die tiefsten Abgründe der Frauen zu stürzen und die dunkelsten Geheimnisse zum Vorschein zu bringen. Alle Verbindungen zwischen den Opfern wurden umgedreht und auf den Kopf gestellt. Wir suchten nach einem einschneidenden Ereignis, welches in ihrem direkten Umfeld stattfand. Ich entdeckte den Selbstmord einer Studienkollegin der Opfer. Mary Boyed schnitt sich die Pulsadern auf, ohne Anzeichen von Fremdeinwirkung. In ihrem Abschiedsbrief machte sie die drei ermordeten Frauen und eine weitere Frau dafür verantwortlich. Ich grub mich durch die Angehörigen und stieß auf den trauernden Vater. Seine Verwandten berichteten mir, ihn seit ein paar Wochen nicht mehr zu Gesicht bekommen zu haben, geschweige denn, etwas von ihm gehört zu haben. Mein Verdacht war geweckt. James vertraute auf meinen Instinkt und schickte ein Einsatzkommando zu seinem Haus. Doch natürlich war er nicht zu Hause. Also nahm ich mir seinen Brief noch einmal zur Hand. Welcher Ort bleibt dir für immer?«

      »Das ist schwierig, aber ich habe ja eine gewisse Vorkenntnis. Es ist das Grab«, antwortete Logan.

      »Bingo! Familie Boyed hat ein Familiengrab, eine Krypta. Das perfekte Versteck. Niemand hört dich und niemand stört dich. Ein Sonderkommando stürmte die Krypta und fand die junge Frau, die sich gerade die Pulsadern aufschneiden wollte. Das ist schwieriger als man denkt – was für sie und für uns von Vorteil war. Sie war in einem sehr schlechten Zustand, aber sie überlebte. Boyed wurde verhaftete und weggesperrt.«

      »Er hatte die Frauen auf eine grauenvolle Weise gefoltert, gab ihnen immer wieder die Chance, sich selbst das Leben zu nehmen. Sie konnten sich aussuchen, wie sie sich das Leben nehmen wollten. Er wollte also Rache für den Tod seiner Tochter«, schlussfolgerte Logan. »Es ging gar nicht um die Freude an der Gewalt, sondern nur um einen schwer belasteten Vater, dem die Sicherung durchgebrannt ist.«

      »Das bringt es auf den Punkt. Deshalb glaube ich nicht, dass Boyed den Mord begangen hat. Ich bin mir sogar sicher. Mir ist natürlich bewusst, dass wir in alle Richtungen ermitteln müssen, doch ich halte sogar einen Komplizen für unwahrscheinlich.«

      »Ich verstehe. Und was vermuten Sie?«

      »Ohne weitere Informationen ist das schwierig zu sagen. Ich vermute jedoch, dass Boyed sich jemandem anvertraut hat und dieser es weitergetragen hat. Diese Person hat vielleicht schon früher gemordet und suchte einen Kick. Er dachte sich, er könnte uns verwirren, indem er im Namen eines Häftlings tötet und so seine Spuren verwischt.«

      »Das klingt plausibel. Doch dafür müssen wir herausfinden, mit wem er Kontakt hatte. Sie werden gezwungen sein, erneut mit ihm zu sprechen.«

      Hope senkte den Blick. »Ich weiß und das macht mir sehr zu schaffen. Ich denke nicht, dass er noch einmal mit mir sprechen möchte. Er wurde verletzt. Und der Klinikleiter sowie seine Psychiaterin sind keine allzu großen Fans von mir.«

      »Hat Ihnen schon einmal jemand gesagt, dass Sie, wenn sie Ihren Standpunkt vertreten, sehr einschüchternd wirken können, wenn man Sie nicht kennt?«

      »Was meinen Sie damit?«

      »Allein Ihr Auftreten. Eine Selbstsicherheit, von denen die meisten Menschen nur träumen können. Man merkt sofort, Sie haben den vollen Durchblick – egal, was Sie tun. Um ehrlich zu sein, ich war perplex, als ich Sie gestern zum ersten Mal sah. Erst wenn man mit Ihnen ins Gespräch kommt, spürt man Ihre Warmherzigkeit. Ich möchte Ihnen den Job nicht streitig machen, aber ich denke, für die Menschen, die Sie lieben, würden Sie alles riskieren. Sowie für die Wahrheit. Und dass Sie gut aussehen, muss ich Ihnen ja nicht sagen.«

      Hopes Wangen röteten sich. »So habe ich das noch nie wahrgenommen. Mögen mich die Mitarbeiter des Reviers deswegen nicht?«

      »Sie haben ihnen offensichtlich die Show gestohlen und sie denken, dass Sie ihnen in ihre Seelen schauen können.«

      Hope fing an, herzlich zu lachen. »Da haben sie gar nicht so Unrecht.«

      Sie mäßigte sich wieder, wurde etwas nachdenklich. »Wenn ich den Leuten dann wenigstens helfen könnte, wenn ich schon in ihre Seele schauen kann. Aber das schaff ich ja nicht mal bei meiner besten Freundin.«

      Logan bemerkte an ihrer verschlossenen Körperhaltung, dass sie das angeschnittene Thema nicht mit ihm diskutieren wollte. »Hope, wenn Ihnen etwas auf dem Herzen liegt, habe ich ein offenes Ohr«, sagte er trotzdem. »Ich bin unvoreingenommen und unbeteiligt und werde mich bestimmt nicht in Ihre Angelegenheiten einmischen.«

      »Das ist sehr lieb, Logan. Aber Sie sind ein Fremder, auch wenn sie James Bruder sind, und was sollten Sie mit meinen Sorgen anfangen?«

      »Ich denke, es würde Ihnen bessergehen, wenn Sie sich etwas Luft schaffen.«

      Hope schien darüber nachzudenken. »Also gut«, sagte sie schließlich. »Vielleicht haben Sie Recht.«

      Sie erzählte ihm von Zoe, von den letzten Tagen, von den letzten Jahren, von der Veränderung von Zoe und Tom.

      »Zoe sollte den Mistkerl verlassen und ihn verklagen«, sagte Logan. »Er sollte mir besser nicht über den Weg laufen.«

      »Ich verpflichte Sie zur absoluten Verschwiegenheit. Es würde das Feuer nur mehr schüren.«

      »Sie haben mein Wort. Auch wenn es mir schwerfällt, dem Typ nicht den Schmerz spüren zu lassen, den Zoe spürt.«

      »Ich weiß. Mir geht es genauso. Und ich fühle mich schrecklich, weil ich nicht mehr tun kann.«

      »Es ist ganz allein Zoes Entscheidung. Sie können ihr nur helfen die Sache durchzustehen – bis es sich wieder zum Guten wendet oder eskaliert.«

      »Wahrscheinlich wird es ein böses Ende nehmen. Und ich werde daran nicht unbeteiligt sein.«

      »Wenn Sie Hilfe brauchen, können Sie mich jederzeit anrufen. Egal, wann. Und ich bitte Sie darum, es wirklich zu tun. Denn es ist ein ernst gemeintes Angebot.«

      »Versprochen. Ich könnte wahrlich Unterstützung brauchen«, entgegnete Hope und griff nach der Visitenkarte, die Logan ihr entgegenstreckte. »Ehrlich gesagt bin ich erleichtert darüber, es Ihnen mitgeteilt zu haben, Logan. James sollte es besser nicht wissen. Sie kennen ihn ja. Er würde sich wieder hineinsteigern und bei Zoe auf der Matte stehen und sie, ohne nachzudenken, da rauszerren. Er ist in solchen Situationen sehr impulsiv, wenn es Freunde angeht. Bitte nicht falsch verstehen, das ist absolut kein charakterlicher Nachteil. Das macht ihn nur noch liebenswerter, weil er immer für einen da ist und alles stehen und liegen lässt.«

      »Darf ich Sie etwas über meinen Bruder fragen?«

      Ihre


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