Herzblut. Michaela Neumann

Herzblut - Michaela Neumann


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sich mittlerweile teilweise über die Jahre hinweg in eine dunkle, schlecht riechende Masse verwandelt hatte. Daneben gab der ausgediente Spielplatz mit verrosteten Geräten dem Gesamtbild einen faden Beigeschmack.

      Hope wartete bereits vorm Haupteingang – Dexter an ihrer Seite. Als James und Logan auf sie zukamen, richtete sich der Rottweiler auf und beobachtete sie aufmerksam. Hope lächelte sie an, gab James einen Kuss auf die Wange und schüttelte Logan die Hand, die sie länger in der ihren hielt als nötig.

      »Hallo Hope. Tut uns leid, wir sind spät dran. Der Verkehr war die Hölle. Musstest du lange warten?«

      »Nein, nein. Schon gut. Sollen wir? Seine Psychiaterin sitzt schon auf heißen Kohlen und scheint in ziemlich mieser Stimmung zu sein – zumindest hat mir das die Empfangsdame erzählt.« Hope verdrehte die Augen.

      »Na, dann mal los.«

      Da Hunde in der Anstalt nicht erlaubt waren, befahl Hope Dexter draußen zu warten. Scheinbar hatte sie das Vertrauen in ihn, dass er nicht weglaufen würde.

      James ging voraus zur Anmeldung, wechselte ein paar Worte, zeigte seinen Ausweis. Ein Pfleger kam aus dem Empfangszimmer und deutete den anderen, ihm zu folgen. Während sie hinter ihm herginge, informierte James Hope über die Beweislage, welche die Gerichtsmedizinerin herausgefunden hatte.

      »Nicht gerade die komplett gleiche Vorgehensweise, findest du nicht?«, fügte Hope hinzu.

      Die vergilbten Neonröhren an der Decke der Flure flackerten fast unmerklich und tauchten die Gänge in ein ungesundes, gelbliches Licht. Die Türen der Patientenzimmer waren aus schwererem Material, James vermutete Eisen und Kunststoff. Boyeds Zimmer befand sich im ersten Stock, dort waren die Mörder untergebracht, welche suizidgefährdet waren und dort eine 24-Stunden-Überwachung hatten.

      Eine beeindruckende Steintreppe führte in die oberen Stockwerke. Dort wurden sie von einer Schwester in Empfang genommen. »Sie möchten zu Mr. Boyed?«, fragte sie, wartete die Antwort aber nicht ab, sondern lächelte herzlich. »Gehen Sie einfach links den Flur entlang. Sollten Sie etwas brauchen, sagen Sie mir einfach Bescheid. Ich bin Schwester Suzi.«

      Auch in diesem Stockwerk hielten sich einige bewaffnete Sicherheitsangestellte auf. Wegen der hohen Verwahrungs-Standards fand Hope die bewaffneten Angestellte für nicht angebracht.

      Boyeds Zimmer lag im linken Flügel des Gebäudes und die Psychiaterin wartete – umgeben von zwei Sicherheitsbeamten - bereits vor dessen Tür.

      »Da müssen Sie hin«, sagte der Pfleger, und verabschiedete sich hastig.

      Hope, Logan und James legte den Rest des Weges alleine zurück.

      Für eine Psychiaterin sah die Frau etwas zu jung aus. Sie trug ein dezentes Make-up, welches ihren markanten Gesichtszügen sehr schmeichelte, und trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, war der genervte Blick von der Ferne deutlich zu erkennen. Ihr Namensschild an der Brusttasche baumelte bei jeder Bewegung hin und her. Dr. Harson.

      »Ich hatte früher mit Ihnen gerechnet«, zischte sie.

      »Ihnen auch einen guten Tag, Dr. Harson. Ist Ihr Patient soweit?«, fragte Hope in einem bestimmenden Ton.

      »Es ist ganz und gar nicht in meinem Sinn, Mr. Boyed mit Ihnen allein sprechen zu lassen. Als seine Psychiaterin sollte ich bei jedem Gespräch anwesend sein. Ich möchte nicht, dass Sie ihm irgendwelche Worte in den Mund legen. Er ist sehr labil, jegliche Art von Stress könnte seinen hart erarbeiteten Fortschritt zunichte machen und wir müssten wieder von vorne anfangen.« Ihre Stimme bebte.

      »Da Mr. Boyed nur mit mir allein bezüglich des Falls ehrlich sprechen wird, hat es keinen Zweck, sich dagegen zu sträuben«, sagte Hope mit einem freundlichen Lächeln. »Zudem kann er selbst entscheiden, ob Sie dabei sein sollen oder nicht. Ich kann Ihnen versichern, ich werden ihn nicht in eine unnötige Stresssituation bringen. Wenn Sie mich nun vorbeilassen würden.«

      Dr. Harson lief knallrot an. Die Emotionen könnten jederzeit hochgehen, doch Hope stand selbstsicher vor ihr und rührte sich keinen Millimeter. Widerwillig machte Dr. Harson den Weg frei und drückte Hope die Patientenakte an die Brust.

      »Wir sind gleich hier draußen, falls du uns brauchst«, versicherte James und gab den Wachen ein Zeichen, die Türe von Boyeds Zimmer aufzuschließen. Hope nickte und trat ins Zimmer.

      *

      Der Geruch von salzigem Rasierwasser füllte den Raum. Es war so penetrant, dass es Hope für einen Moment die Kehle zuschnürte.

      »Einen wunderschönen guten Tag, Dr. O’Reilly«, brummte Boyed mit tiefer Stimme.

      »Guten Tag, Mr. Boyed.«

      Hope öffnete die großen Fenster, die durch dicke Gitterstäbe einen Ausbruch verhinderten, bevor sie sich in den abgewetzten Ledersessel setzte. Sie versuchte sie eine angenehme, gelöste Stimmung zu bereiten – das machte vieles einfacher.

      Boyed saß ihr gegenüber. Es trennte sie nur ein kleiner runder Kaffeetisch aus grauem Kunststoff. Das Zimmer war spartanisch eingerichtet. Ein altmodischer Schrank mit passender Kommode aus den 60ern, der Bettrahmen aus Metall, wie man es aus Krankenhäusern kannte. Die Wände waren kahl und grau. Die einzige Dekoration bestand aus einem künstlichen Blumenstrauß auf dem Beistelltisch neben dem Bett sowie die Aufbewahrungsbox der wenigen Habseligkeiten, die er besitzen durfte.

      »Es freut mich außerordentlich, Sie endlich wiederzusehen.«

      Hope wollte nicht darauf eingehen und versuchte ihn auf das eigentliche Thema, warum sie gekommen war, langsam hinzuführen. »Wie ist es Ihnen ergangen, seit Sie hier sind?«

      Er schlug die Beine übereinander und verlagerte das Gewicht auf seine linke Seite. »Na ja, Sie wissen ja, wie es hier abläuft. Therapie hier, Therapie dort. Fragen über Fragen. Mein Tagesablauf beginnt damit, dass ich gezwungen werde, meine Medikamente zu nehmen; danach geht es zur Verhaltenstherapeutin, dann in die Cafeteria, wo man den Haferbrei mit Tabletten runterwürgen muss«, er verzog angewidert das Gesicht. »Nach dem grauenhaften Essen geht es zu den Gruppensitzungen mit den schizophrenen und den suizidgefährdeten Verbrechern und weiter zur Therapie, bei der einem eingeredet wird, dass man nicht richtig im Kopf sei. So lange, bis die Sonne untergeht und ich endlich wieder in mein trostloses Zimmer zurückgebracht werde.«

      »Würden Sie sich nicht als Verbrecher bezeichnen?«

      »Eher bin ich ein Mann, der Gerechtigkeit will. Ich habe mich gerächt. Offensichtlich habe ich nicht nach den Regeln der Menschheit gespielt, aber sonst wären diese Monster, die sich nach außen als Freundinnen meiner Tochter ausgaben, nicht bestraft worden. Ich bin kein schlechter Mensch und erst recht kein Psychopath.«

      Der Selbstmord seiner Tochter hatte damals eine akute Belastungsreaktion bei ihm ausgelöst. Diese hatte sich nach den Morden zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung verändert und war eine Reaktion auf ein Trauma. Hope hatte sich eingehend mit dem Fall beschäftigt, auch, wenn sie es niemals gutheißen konnte, sein Handeln nachvollziehen können. Wer seine Tochter tot in einer Blutlache vorfindet, will Vergeltung. Irgendjemand musste für seinen Verlust bezahlen. Er war in Wahrheit kein schlechter Mensch. Nur ein zutiefst trauernder und verzweifelter Vater, für den seine Tochter Mary wichtiger war als alles andere auf der Welt. Nach dem Tod seiner Frau Susan war Mary das Einzige, das er noch gehabt hatte.

      Jeder Mensch reagierte anders. Einige verfallen in Selbstmitleid, andere schalteten den Verstand voll und ganz aus. Je länger Hope mit ihm sprach, desto mitfühlender wurde sie und der Ekel ihm gegenüber verschwand.

      »Wie geht es Ihnen bei den Therapien? Fühlen Sie sich danach besser?«, fragte sie.

      Boyed lachte auf.

      »Sie wissen am allerbesten, dass ich voll zurechnungsfähig war, als ich die Morde begangen habe. Mein Anwalt wollte auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren. Nur deshalb sitze ich hier und nicht in einem normalen Gefängnis. Hier drin wird mein Gehirn zu Brei und mein Verstand …« Er machte eine Pause und überlegte. Scheinbar war er wirklich enttäuscht von dem, worüber er gerade nachdachte. »Es wird


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