Herzblut. Michaela Neumann

Herzblut - Michaela Neumann


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Habe ich gerade per E-Mail erhalten. Aber nur, dass das klar ist – ich habe hier das Sagen.«

      Logan hatte bereits von Bobby Fraser gehört – von James. Bobby war in den letzten Jahren zu einer Art Vaterfigur für James geworden. Sein engster Vertrauter. Sie arbeiteten Hand in Hand und Fraser ließ James genügend Spielraum bei den Ermittlungen, damit die Bürokratie nicht zu sehr dazwischen funkte. Die machte es immer schwerer einen Fall zu lösen.

      »Ey, ey, Captain! Verstanden.« Logan streckte sich und nahm sich eine Zigarette aus der Schachtel, steckte sie hinter sein Ohr und erhob sich.

      In diesem Moment erschien ein grauhaariger Mann in der Tür.

      »Wir haben gerade von dir gesprochen, Bobby«, sagte James mit einem Lächeln.

      »Ich bin ja nicht neugierig, aber ich wollte den jungen Herren persönlich kennenlernen, dem ich gerade gestattet habe, dir auf die Nerven gehen zu dürfen«, entgegnete Bobby.

      »Das habe ich vor, Sir. Darf ich mich vorstellen? Logan Reynolds, der verschollene Bruder aus L.A.«, sagte Logan und streckte ihm die Hand entgegen. Mit einem kräftigen Händedruck schüttelte Bobby die seine und nickte, als würde er ihn in seinem Revier akzeptieren.

      »Es ist mir ein Vergnügen, Sie bei uns begrüßen zu dürfen. Unter anderen Umständen würde ich Ihnen einen schönen Aufenthalt wünschen, aber Sie wissen ja … Und nennen Sie mich bitte Bobby.«

      »Vielen Dank, Bobby«, antwortete Logan und wurde mit einem behaglichen Gefühl durchflutet.

      Somit verabschiedete Bobby sich und die Brüder verließen das Revier.

      Autolärm und kalte Temperaturen begrüßten sie auf der Plaza zwischen Revier und Gerichtsmedizin. Die Umgebung war einem kleinen Park nachempfunden – Bäume spendeten im Sommer Schatten und an grauen Tagen Schutz vor Regen; eine starke Eiche war der Mittelpunkt des Platzes. Um sie herum standen einladende Holzbänke, die an manchen Stellen anfingen, sich vom Regenwetter grün zu verfärben. Auch wenn die Sonne strahlte, war es immer noch sehr kalt. Eine Handvoll Beamte verbrachten nichtsdestotrotz ihre Mittagspause draußen und aßen den von zu Hause mitgebrachten Lunch.

      Typisch für den neumodischen Gesundheitsdrang, dachte Logan, zog die Zigarette vom Ohr und steckte sie in den Mund. Ab an die frische Luft. Dass die Autos an ihnen vorbeirasen und die frische Luft daher gar keine frische Luft ist, bedenken sie nicht.

      Logan zog genüsslich an seiner gar so ungesunden Zigarette. Seine Gedanken wanderten wieder zu Hope. Ob ihr das komische Verhalten der Mitarbeiter im Revier etwas ausmacht? Äußerlich war ihr nichts anzumerken, aber wie sieht es in ihr drin aus? Ließ es sie kalt? Gerne hätte er sie gefragt, aber das gehörte sich nicht – Logan kam schließlich aus gutem Hause und wusste, was man sich erlauben konnte und was nicht.

      Er reckte den Kopf nach oben, betrachtete das Blau des Himmels und hoffte, auf andere Gedanken zu kommen.

      Sein Handy vibrierte in seiner Brusttasche. Er zog es heraus, schaute aufs Display. Eine Nachricht von Stacy, seiner kleinen, pummeligen Kollegin, die in der Aktenkammer arbeitete. Sie war ein Engel bei allen Gelegenheiten. Logan bezeichnete sie als seine geheime Assistentin.

      »Ich habe die Akte. Schicke sie heute noch nach Boston. Sollte in ein paar Tagen bei dir angekommen sein. Viel Glück.«

      Logan hatte die alte Akte seines Vaters angefordert. Bis jetzt waren alle Namen der Zeugen geschwärzt gewesen, unter Verschluss gehalten worden. Wie so oft verhinderte Bürokratie die Aufklärung eines Falles. Doch jetzt, nach all den Jahren, war sie freigegeben worden und seine Neugier brannte. Endlich konnte er richtig ermitteln, ohne immer auf ein Hindernis wegen geheimen Informationen zu stoßen. Er schrieb zurück: »Du bist ein Schatz. Ich schulde dir was, wenn ich zurück bin. Danke.«

      Er würde mit ihr schick Essen zu gehen, sobald er zurück in Los Angeles war. Als Dankeschön.

      Er steckte das Handy zurück in die Brusttasche. Vorerst würde er James in die Aktensache nicht einweihen, erst, wenn er auf brauchbare Hinweise stoßen würde. Aber allein die Tatsache, dass er die Akte nun hatte, erfüllte ihn mit enthusiastischer Zufriedenheit.

      Als den Eingang der Gerichtsmedizin erreichten, trat Logan die Kippe mit dem Schuh aus, hob sie auf und legte sie in seinen Taschenaschenbecher. James hielt ihm die Tür auf. Der Eingangsbereich hatte eine hohe Glasfront, die sich über drei Stockwerke ausbreitete. In den oberen Stockwerken befanden sich Privatpraxen vieler Hausärzte von der Allgemeinmedizin bis hin zur Urologie. Ob sich die Patienten hier unwohl fühlten, wenn sie daran dachten, dass sich direkt unter ihren Füßen die Gerichtsmedizin befand? Vermutlich nahmen sie das nicht einmal wahr. Der Großteil der Leute interessierte sich sowieso nur für den eigenen Kram.

      Die Empfangsmitarbeiterin wünschte den beiden einen guten Tag und legte das Anmeldeprotokoll auf den Tresen. James las sich kurz durch die Liste und unterschrieb es. In der Zwischenzeit lehnte Logan am Empfangstresen und lächelte die Frau unentwegt an. Ja, es machte ihm Spaß, Frauen aus der Reserve zu locken. Bei einigen ging es erschreckend schnell, bei anderen dauerte es eine gewisse Zeit. Mit einer gewissen Zeit waren Stunden gemeint. Logan war sich seiner Wirkung auf Frauen bewusst und nutze sie, wo es nur ging.

      Diese junge Dame gehörte zur ersten Kategorie. Ihre Wangen erröteten und sie strich sich die langen schwarzen Haare hinters Ohr.

      James boxte Logan gegen den Oberarm. »Lass das!«, zischte er.

      Logan seufzte. Hätte er ein bisschen mehr Zeit gehabt, dann hätte er sicher ihre Nummer bekommen. Aber manche Dinge mussten eben warten, also folgte er James zu den Aufzügen. Bevor sich die Türen schlossen, warf Logan der Frau noch einen Handkuss zu.

      »Musste das sein? Hier geht es um eine ernstzunehmende Sache.«

      »Ich bin voll bei der Sache. Ein Schnittchen ist sie trotzdem.« Logan schmunzelte und zwinkerte seinem Bruder zu.

      »Möchtest du nicht irgendwann einmal eine feste Beziehung eingehen?«

      »Wozu? Damit es mir so ergeht wie dir?«

      Es sollte als Scherz gemeint sein, aber an James‘ Gesicht war klar abzulesen, dass es so nicht angekommen war.

      »Sorry. War nicht so gemeint«, sagte er daher.

      James nickte, trotzdem spürte Logan, dass James verletzt war. Als sich die Türen endlich öffneten, kam ihnen ein kalter Luftzug entgegen, welcher die erhitzten Gemüter etwas abkühlte.

      James marschierte mit schnellen Schritten auf den Eingang der Obduktionshalle zu. Sie gingen durch den Vorraum direkt in den Obduktionssaal. »Was habe ich dir über das Anklopfen beigebracht?«, zischte eine raue Stimme aus dem hinteren Teil des Raumes.

      »Tut mir leid, Mathilda«, sagte James und klang wie ein kleines Kind, dass gerade eine Standpauke von seinen Eltern bekommen hatte.

      »Eure Unstimmigkeiten könnt ihr wo anders austragen«, entgegnete ihm die Gerichtsmedizinerin. Dann schaute sie zu Logan, fixierte ihn und zog dabei die linke Augenbraue nach oben.

      Logen hob abwehrend die Hände. Sofort hatte er das Gefühl, dass Dr. Murphy eine bessere Mutter abgab als ihre eigene.

      James atmete einmal tief durch und stellte sich an den Tisch auf dem die Leiche aufgebahrt lag. »In Ordnung. Was hast du gefunden?«

      Dr. Murphy richtete den Blick auf die Leiche. Man konnte es ihr ansehen, dass sie sichtlich bestürzt über das junge Opfer war.

      »Den Zahnunterlagen zu folge heißt das Opfer Jenny Blake, 24 Jahre alt, wohnhaft hier in Boston. Es wurde keine Vermisstenanzeige gestellt. Laut der Akte war ihr Allgemeinzustand sehr labil, mehrere Selbstmordversuche, was auf die Opferwahl unseres Täters schließen lässt. Alles Weitere über das Mädchen könnt ihr hier nachlesen.« Dr. Murphy reichte Logan eine dicke Akte und richtet sich dann wieder zu James. »Ich nehme an, du hast Hope informiert, da sie beim letzten Fall auch dabei war. Sie kann dir dann bestimmt mehr über den Verhaltenszustand des Opfers sagen können.« Sie nahm einen Zettel zur Hand »Das Blutbild von Jenny Blake


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