Herzblut. Michaela Neumann

Herzblut - Michaela Neumann


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Falte zog sich über seine Stirn. Er ballte die Fäuste. Logan war sofort klar, was das bedeutete. MB. Matthew Boyed.

      Aber das konnte nicht sein, denn Boyed war seit seiner Verurteilung in einer psychiatrischen Anstalt untergebracht. Und das ohne Aussicht auf Entlassung. Zudem war die Anstalt gesichert wie Fort Knox. Das war damals James‘ größter Fall, der ihm die Beförderung zum Lieutenant einbrachte. Logan versuchte James die Anspannung zu nehmen und sagte: »Das kann etwas ganz Anderes bedeuten.«

      »Ich muss telefonieren«, knurrte James und ging davon.

      Logan schaute ihm hinterher.

      »Ist so ein Tatort Neuland für Sie?«, fragte Dr. Murphy.

      Aus seinen Gedanken gerissen antwortete er verwirrt: »Nein, nein … ich versuche alle Einzelheiten sinnvoll zusammenzufügen. Es gibt nur ein offensichtliches Problem an meiner Theorie. Und zwar des…«

      Dr. Murphy unterbrach ihn abrupt.

      »Logan, bitte verstehen Sie mich nicht falsch, Sie sind zwar Captain in LA, aber hier sind Sie nicht handlungsbefugt. Sie können also nicht erwarten, dass ich irgendwelche Informationen mit Ihnen teile. Halten Sie sich besser aus der Sache raus und überlassen sie die Ermittlungen Ihrem Bruder.«

      Logan nickte, rieb sich dabei die Stirn. »Ich weiß, Sie haben Recht.«

      Trotzdem konnte er nicht anders, als sich in den Fall einzumischen oder zumindest seinen Bruder zu unterstützen, denn das war er ihm nach der langen Funkstille schuldig. Sein Gehirn lief auf Hochtouren und war im Ermittlungsmodus, seine Gedanken rasten. Er versuchte alle Aspekte, die er kannte, zu ordnen und eine realistische Antwort zu finden. Doch wie man es drehte und wendete, es ergab alles keinen Sinn. Er betrachtete wieder die Leiche. Irgendetwas schien nicht ins Bild zu passen. Vielleicht lag es an ihrem Aussehen – sie war eine schöne Frau gewesen. Eine Stupsnase, geschwungene Wangenknochen und volle Lippen, die jetzt allerdings spröde und eingerissen waren. Logan fiel bei seiner Betrachtung etwas Anderes auf. Da war ein Hauch von Ungleichheit in ihrem Gesicht. Die linke Backe war dicker als ihre Rechte.

      »Dr. Murphy, könnten Sie bitte den Mund des Opfers öffnen?«

      »Ich habe Ihnen doch soeben gesagt, dass …«

      Logan winkt ab. »Ja, ich weiß, aber ich vermute, dass da … öffnen Sie doch bitte einfach den Mund.«

      Sie betrachte ihn einen Moment schweigend, dann nickte sie. »Halten Sie sich die Ohren zu. Diese Geräusche sind nichts für zarte Männerseelen.«

      Dr. Murphy fasste mit beiden Händen in den leicht geöffneten Mund und drückte mit starker Kraft gegen den Widerstand den Kiefer nach unten. Es verlangte all ihr Kraft, um den Kiefer zu öffnen.

      Ein Übelkeit erregendes Knacken durschnitt die Luft, als die Knochen unter dem Druck brachen. Ihr Kinn hing jetzt schlaff nach unten und brachte Ekelerregendes zum Vorschein. Murphy nahm eine lange Pinzette und brachte einen Brocken Fleisch aus dem Mund des Opfers zum Vorschein. Sie nahm einen Beweismittelbeutel und ließ das Fleisch in die Tüte fallen. Logan spürte, wie sein Magen rebellierte. Er holte tief Luft und riss sich zusammen. Er schaute noch einmal genauer hin. »Was ist das Weiße in ihrem Mund?«

      Dr. Murphy führte erneut die Pinzette hinein. Sie zog einen kleinen Fetzen Papier heraus, entfaltete ihn und hielt ihn Logan entgegen.

      »Ich bin zurück«, las Logan laut vor. Ein eiskalter Schauer lief ihm den Rücken hinunter. »Das ist gar nicht gut.«

      Dr. Murphy packte den Zettel in einen durchsichtigen Beweismittelbeutel.

      »Dr. Murphy, bringen Sie die Leiche in die Autopsie, ich möchte den Bericht so schnell wie möglich haben«, sagte Logan nun.

      Dr. Murphy musste lachen. »Logan, haben Sie es schon vergessen? Das ist nicht Ihr Tatort. Hier darf nur ein Reynolds Anweisungen geben.«

      Logan bekam sofort ein schlechtes Gewissen. »Tut mir leid. Es ist einfach mit mir durchgegangen.«

      Murphy nickte, kehrte ihm den Rücken zu und widmete sich wieder der Leiche.

      Logan hasste es, wenn er nicht agieren konnte, wie er wollte. Er versprach sich, dass dies die letzte Einmischung in den Fall war, und nahm einen Officer beiseite. »Lassen Sie die Spurensicherung die komplette Umgebung absuchen, wir müssen einen Hinweis finden. Und befragen Sie die Leute, vielleicht hat irgendjemand etwas gesehen.« Der Officer nickte, stellte ihn und seine Anweisungen nicht in Frage und gab seinen Kollegen Anweisungen. Die Beamten und die Spurensicherung schwirrten in alle Richtungen aus. Es war schier unmöglich, etwas Brauchbares zwischen dem feuchten Laub zu finden.

      Logan betrachtete seine Umgebung, James war nirgends zu sehen.

      Der Fall Matthew Boyed, Logan wusste alle darüber. Er hatte damals einen Gefallen bei einem Detektiv in Boston eingefordert, der ihm eine Zusammenfassung des Berichts zukommen ließ. Wenn er schon keinen direkten Kontakt zu seinem Bruder hatte, wollte er wenigstens wissen, mit welchen Dingen er sich rumschlagen musste. Also wusste er, dass der Mörder die Opfer fürsorglich ablegte, nachdem sie tot waren.

      Sein Blick schweifte zu den Baumkronen. Ein heller Sonnenstrahl fiel durch die verbliebenen Blätter. Logan schirmte seine Augen mit der Hand ab und zündete sich mit der anderen eine Zigarette an. Der Mörder musste irgendwo geparkt haben, da er mit Sicherheit nicht mit einer Leiche über der Schulter einfach in den Park spaziert wäre und sich beim Abladen der Leiche im Verborgenen gehalten haben, falls jemand kam. Und sollte ihn doch jemand zu nahekommen, bevor er verschwinden konnte, musste er sich irgendwo verstecken können. Das einzig plausible Versteck waren die dichten Bäume, da es sonst keine Möglichkeit in diesem Park gab, um sich förmlich unsichtbar zu machen. Es galt also, die Verkehrskameras rund um den Park zu sichten und herauszufinden, ob dort jemand etwas abgeladen hatte. Sein Kopf brummte von den unzähligen Gedanken, die er hatte. Wichtig war, dass sie schnell handelten und keine kostbare Zeit mit bürokratischen Hindernissen verschenkten. Nicht nur, um den Täter schnell zu finden, sondern auch wegen James. Denn der Fall hatte ihm damals alles abverlangt und er hatte beinahe mit seinem Leben bezahlt. James hatte ihm zwar nie erzählt, wie es ihm damals ging, jedoch konnte man es ihm bei den Pressekonferenzen ansehen, wie nahe er einem Nervenzusammenbruch gewesen war.

      Logan rieb sich das Gesicht, die abgebrannte Zigarette immer noch zwischen den Fingern. Als er seinen Bruder bei der Straße hinter den Büschen entdeckte, fiel ihm ein Gegenstand auf. Besser gesagt, ein Ast. Er verstaute den Zigarettenstummel in seinem Taschenaschenbecher und ging langsam darauf zu. Neben dem Ast waren zwei tiefe Schuhabdrücke in der nassen Erde. Es sah ganz danach aus, als wäre jemand vom Baum heruntergeklettert und der letzte Ast unter der Last abgebrochen wäre. Die Abdrücke schienen zu klein für den Mörder, denn eine Leiche zu transportieren erforderte Kraft, außer, man hatte einen Schubkarren oder Ähnliches, welche Spuren sie sicher entdeckt hätten. Aber ein Versuch war es wert. Er rief Dr. Murphy zu Hilfe, die sofort zu ihm rüberkam.

      »Ich habe mich gerade etwas umgesehen und habe diese Fußabdrücke entdeckte. Was halten Sie davon? Könnte es nützlich sein?«

      Dr. Murphy sah ihn schief an, als wüsste sie genau, was er da tat. Im nächsten Atemzug holte sie einen jungen Mann von der Spurensicherung. »Können Sie davon einen Gipsabdruck machen und mich sofort über das Ergebnis informieren?«

      »Natürlich, Doc.«

      Murphy ging wieder zur Leiche zurück. Logan schaute zu James, doch der stand nicht mehr an der Straße. Er entdeckte ihn bei einem anderen Officer, welchen er mit hochrotem Gesicht anbrüllte. James sah sich um, entdeckte Logan und marschierte auf ihn zu.

      »Der Officer hat mir gerade berichtet, dass du hier die Leute rumkommandierst«, zischte er. »Das ist mein Fall und ich gebe die Anweisungen.«

      »Ich wollte dir nur helfen.«

      »Ich habe deine Hilfe noch nie gebraucht und brauche sie auch jetzt nicht!« James stampfe an ihm vorbei und entfernte sich von ihm.

      Logan konnte nicht verstehen, warum sein Bruder so übertrieben reagierte. Ja, er war in der Vergangenheit nicht


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